Bundesliga: Elf des Spieltags:Im Auftrag des Aristoteles

Spätrömische Dekadenz im Abstiegskampf, ein Niederländer als Archimedes der Bundesliga und ein Professor, der das Rechnen nicht lassen kann. Die Philosophen-Elf des Spieltags

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Louis van Gaal (FC Bayern München)"Louis van Gaal ist ja nicht nur Cheftrainer, sondern auch Philosoph. Manchmal teilt er das der Öffentlichkeit mit, und das ist wunderbar", sagt Manager Christian Nerlinger über den Fußballlehrer des FC Bayern. Welche Fußballphilosophie der Niederländer während der 90 Minuten Spielzeit verfolgt, ist in Deutschland mittlerweile hinlänglich bekannt. Welcher philosophischen Denkschule van Gaal aber nach Schlusspfiff anhängt, ist noch nicht endgültig geklärt. Seit Samstag immerhin kann endgültig ausgeschlossen werden, dass er in die Reihe der Stoiker einzuordnen ist. Ein 1:1 gegen Nürnberg hätten Seneca oder Mark Aurel mit mehr Gelassenheit ertragen als der Trainer, der nach der Partie in das Fernsehmikrofon schimpfte: "Sie können nicht sagen, dass Bayern München schlecht gespielt hat. Das kann nicht wahr sein, das ist unglaublich." Des Trainers Tirade klang eher wie: "Störe meine Kreise nicht." Van Gaal als Archimedes der Bundesliga? Das könnte ihm gefallen, doch das Prinzip, mit dem er Betonabwehrreihen wie in Nürnberg aus den Angeln hebt, sucht der Coach noch vergeblich.Foto: ddpTexte von Fabian Heckenberger und Michael König

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Thomas Müller (FC Bayern)War am Samstag der Platon-Beauftragte des FC Bayern und in Sachen Ewigkeit unterwegs. Sie ist laut Platon die Bezeichnung für das Grenzenlose, in dem alle Phänomene angesiedelt sind, deren Ende oder Anfang nicht gedacht werden kann - so wie die Siegesserie der Bayern in der Bundesliga, an deren Anfang sich kaum mehr einer erinnern kann und deren Ende bis Samstag unvorstellbar schien. Während zehn Bayern-Spieler nur mäßig an der Fortsetzung dieser Ewigkeit interessiert schienen, weckte Müller mit dem 1:0 Hoffnungen auf den Bundesliga-Rekord von zehn Erfolgen in Serie. Nach dem 1:1 vergab der 20-Jährige jedoch die letzte Chance zum Siegtreffer, weil ihm der Ball vom Fuß sprang. Platons Athener Akademie wäre der unachtsame Schüler nach solch einem Fehler wohl verwiesen worden. In van Gaals Münchner Nachwuchsakadamie sind sie nachsichtiger.Fotro: rtr

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Ilkay Gündogan (1. FC Nürnberg)Das philosophisch Gegenstück zu Thomas Müller - quasi das Nürnberger Yin zum Münchner Yang. Der 19-jährige Mittelfeldspieler egalisierte die Führung des Rekordmeisters und verhinderte damit die Fortsetzung der Münchner Siege in alle Ewigkeit. Aus Nürnberger Sicht war Gündogan allerdings nicht das düstere Yin, sondern das helle Yang, das für Wärme und Helligkeit steht. Und ob man jetzt an solch philosophische Zusammenhänge glaubt oder nicht: Beides kann Nürnberg im kalten Tabellenkeller derzeit bestens gebrauchen.Foto: Reuters

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Cacau (VfB Stuttgart) Hat mit Philosophie nicht viel am Hut, sieht sich eher als einfacher Arbeiter im Weinberg des Herrn, beziehungsweise als erfolgreicher Stürmer unter den Weinbergen von Stuttgart. War zuletzt allerdings viel verletzt und wenig erfolgreich. Durfte nach seinen vier Toren am Samstag gegen den 1. FC Köln aber verkünden: "Jesus hat mir die Kraft gegeben." Der gebürtige Brasilianer ist Prediger in einer christlichen Gemeinde in Stuttgart und trägt unter seinem Trikot gerne T-Shirts mit der Aufschrift "Jesus lebt und liebt Dich". Trug zuletzt allerdings keine Trikots, sondern nur Trainingsanzüge, weil VfB-Trainer Christian Gross nicht an Cacau glaubte. Hofft nun, dass er am Dienstag auch in der Champions League gegen Barcelona spielen darf, was nach seiner Leistung vom Samstag kein Akt der Nächstenliebe, sondern ganz einfach logisch wäre. Foto: Reuters

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Grafite (VfL Wolfsburg)Bei einem Stürmer mit dem Namen Bleistiftmine verbietet sich die Frage, ob er in die Reihe wissenschaftsbegeisterter Fußballer gehört. Von einem früheren Trainer bekam Grafite den Spitznamen verpasst, angeblich, weil er so lang und dünn war. In der Bundesliga wurde Grafite dann zum Jumbo-Marker, der so viele Tore markierte, dass man ihm den Titel Torschützenkönig antrug - eine Art Ehrendoktor des deutschen Fußballs. In dieser Saison ließ Grafite die Ausübung seiner Disziplin zeitweise etwas schleifen, auch eine Exkursion nach Brasilien im Hinrunden-Semester brachte nur bedingt neue Erkenntnise, doch seit kurzem scheint der alte Genius zurück: Ausgerechnet gegen seinen früheren Mentor Felix Magath traf Grafite beim 2:1 gegen Schalke gleich zweimal.Foto: Reuters

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Per Mertesacker (Werder Bremen)Den Satz, dass ein Kopfball die Kopfarbeit der Fußballer ist, gut, den hat man wirklich schon öfter gehört - Per Mertesacker ganz besonders, denn mit 1,98 Meter ist er einer der größten Spieler der Liga. Der Satz klingt meist abschätzig, doch in Bremen wissen sie spätestens seit Sonntag, als Mertesacker in der Nachspielzeit das 2.2 gegen Leverkusen erzielte, den Wert eines perfekten Kopfstoßes zu schätzen. Mertesacker selbst streckt sich übrigens gar nicht nach höchsten denkerischen Spähren. "Mein Abi-Schnitt war 2,8. Im Sport-Leistungskurs war ich immer top, der Rest war ganz in Ordnung. In Mathe, meinem zweiten LK, war ich so lala. Aber ich war zufrieden", hat er einmal in einem Interview gesagt. Wer braucht schon höhere Mathematik, wenn er solche Kopfbälle spielen kann?Foto: Reuters

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Cicero (Hertha BSC)Es sind schwere Zeiten für Herthas Cicero - nicht deshalb, weil sich Berlin in Abstiegsnot befindet. Das Problem liegt vielmehr in der Politik, die in Berlin ja schon geographisch recht nahe liegt. Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle hat eine Debatte um die Hartz-IV-Regelsätze losgetreten und vor "spätrömischer Dekadenz" gewarnt. Nun ist Cicero ein Brasilianer und alles andere als bedürftig, aber sein Name ist untrennbar mit einem Römer verbunden: Marcus Tullius Cicero, Politiker, Anwalt, Schriftsteller und Philosoph. Und so hat es Cicero wegen seines Namens auf den Fußballplätzen zuletzt nicht leicht gehabt. Im Spiel gegen den SC Freiburg hingegen schüttelte Cicero die bösen Gedanken ab, erinnerte sich einfach an die vielen Verdienste seines Namensvetters und traf gleich zwei Mal ins Tor. Das Spiel endete 3:0 für Berlin - im Abstiegskampf geht das durchaus als dekadent durch.Foto: Getty

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Mirko Slomka (Hannover 96)Wenn die Philosphie der Versuch ist, die Welt zu verstehen, dann ist Hannover 96 schon länger philosophisch tätig. Der letzte Sieg liegt eine gefühlte Ewigkeit zurück, er gelang am 31. Oktober beim 1:0 gegen Köln. Am 19. Januar wurde Mirko Slomka neuer Trainer in Hannover, doch auch unter seiner Regie hat 96 noch keinen Sieg gelandet - genauer gesagt fünf Mal in Serie verloren, dabei 15 Tore kassiert und nur vier selbst geschossen. In der Tabelle ist die Mannschaft auf Platz 16 seit Wochen so festgenagelt wie Luthers Thesen am Tor der Schlosskirche zu Wittenberg. Chefphilosoph Slomka hat nach dem jüngsten 1:4 gegen Dortmund nun zum letzten Mittel gegriffen und sich von Jörg Berger das Lehrbuch der Philosophie für Abstiegskämpfer geborgt. Darin steht folgende Weisheit, die Slomka am Samstag zum Besten gab: "Das ist Abstiegskampf und da muss man jedes Tor vermeiden und nicht einfach das nächste zulassen." Der Profi-Philosoph würde hier vermutlich kritisieren, dass es streng genommen kein "nächstes Tor" geben kann, wenn doch "jedes" Tor verhindert wird. Doch so genau nehmen es die Fußballer nicht. Das weiß Slomka. Nun muss er nur darauf hoffen, dass das auch die nächsten Gegner wissen.Foto: Getty

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Altin Lala (Hannover 96)Auf der Internetseite seines abstiegsgefährdeten Vereins ist zu lesen, Altin Lala werde in Hannover "Mister 100 Prozent" oder "Kampfzwerg" genannt. Er erledige die "Schmutzarbeit im Mittelfeld". Auch verbal scheut sich Altin Lala nicht vor Schwerstarbeit. Diesmal hat er sich bei Alfred "Adi" Preißler bedient, einem Ruhrgebietsfußballer der fünfziger und Ruhrgebietsfußballtrainer der sechziger und siebziger Jahre. 1969 führte Preißler Rot-Weiß Oberhausen als Coach in die Bundesliga. Man darf deshalb vermuten, dass Preißler ein Kenner der Materie war, womöglich gar ein Philosoph, der den Sinn und das Wesen des Fußball verinnerlicht hatte. Von ihm ist folgende Weisheit überliefert: "Grau ist alle Theorie - entscheidend ist auf'm Platz." Der Hannoveraner Lala hat das auf die Situation seines Vereins übertragen. Dort kamen zuletzt Psychologen zum Einsatz, und dennoch verlor 96 mit 1:4 bei Borussia Dortmund. Lala schlussfolgerte: "Psychologe hin, Psychologe her - die Entscheidung fällt auf dem Platz." Adi Preißler wäre sicher stolz auf ihn gewesen.Foto: dpa

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Neven Subotic (Borussia Dortmund)Neven Subotic hätte da einen Tip für Aristoteles parat, der sich zeitlebens mit der Suche nach der Eudaimonia, der Glückseligkeit, beschäftigt hat. Der Dortmunder hat einen ganz neuen Zugang zum Erreichen dieses Glückszustandes aufgezeigt: Bei einem Friseurbesuch trennte er sich von unnötigem Ballast, sprich: von seiner Denkermähne. Wie positiv sich solch phänotypischen Veränderungen auf die Glückseeligkeit auswirken können, zeigte der Abwehrspieler in der Partie gegen Hannover, als er das türöffnende 1:0 erzielte. Seinen Ansatz brachte Subotic nach der Partie prägnant auf den Punkt: "Neuer Haarschnitt, neues Glück."Foto: ddp

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Ralf Rangnick (1899 Hoffenheim)Der Professor unter den Trainern, seit er mal im ZDF an einer Tafel erklärte, wie Fußball funktioniert. Das ist zwölf Jahre her, und Rangnick hängt diese Geschichte zum Hals raus. Es hängt ihm aber noch vielmehr zum Hal raus, wenn seine Mannschaft benachteiligt wird, weswegen er sich vehement für technische Unterstützung des fehlerhaften Menschen ausspricht. "Ich weiß nicht, warum sich der Fußball davor immer noch verschließt. Stattdessen gibt es einen vierten Offiziellen, der sich damit beschäftigt, ob ein Trainer aufspringt", sagte Rangnick nach dem 2:2 gegen Gladbach, in dem es diverse strittige Pfiffe bzw. Nichtpfiffe gab, und er ergänzt: "Wenn man das in Punkte umrechnet, ist das schon heftig. Um ausgleichende Gerechtigkeit zu erfahren, müssten wir bis Juli oder noch länger weiterspielen." Worte, bei denen man förmlich hören kann, wie die Kreide mathematische Formeln auf die Tafel kritzelt, um all die Ungerechtigkeit dieser Welt zu berechnen.Foto: dpa

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