Bundesliga:Die Bayern sind so frei

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Auch Abwehrspieler Rafinha trifft für den FC Bayern. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Ist es ein Vor- oder ein Nachteil, dass Carlo Ancelotti den FC Bayern lässiger führt als sein Vorgänger? Die Mannschaft schießt schöne Tore, macht aber auch Fehler, die Pep Guardiola niemals toleriert hätte.

Von Christof Kneer, München

Der Schiedsrichter hat später keinen Sonderbericht angefertigt, der DFB-Kontrollausschuss wird keine Ermittlungen aufnehmen. Ungesühnt wird also dieser unerhörte Vorfall bleiben, der sich in der Münchner Arena zutrug, gut sichtbar für Zuschauer und Schiedsrichter. Ja, die kleinen Ingolstädter hatten sehr respektabel gespielt beim großen FC Bayern, aber musste man ihnen deswegen alles durchgehen lassen? Bei allem Respekt, aber das konnte nicht regelkonform sein: Geht dieser Ingolstädter Trainer in der 63. Minute einfach her und wechselt einen Stürmer ein, und er nimmt keinen Stürmer raus, sondern einen Mittelfeldspieler.

Lezcano, Leckie, Hartmann und jetzt also auch noch Hinterseer: Vier sehr offensive Offensivspieler hatte Trainer Kauczinski jetzt auf dem Platz, und er schämte sich kein bisschen. Warum auch? Er wollte halt dringend punkten, auswärts, beim FC Bayern.

Bayern drei, Ingolstadt eins: Hinter einem recht normalen Ergebnis steckte ein ausgesprochen unnormales Spiel. "Maximal geärgert" habe man die Bayern, sagte Kauczinski später, aber die Frage nach Henne und Ei konnte er genauso wenig beantworten wie der erfahrene Kollege Carlo Ancelotti. Was war zuerst da? Es war die Frage, die für den weiteren Saisonverlauf durchaus noch relevant werden könnte: Hatte der FC Bayern solche Schwierigkeiten, sein FC-Bayern-Spiel aufzuziehen, weil die Ingolstädter den Münchnern früh und frech auf den Füßen standen? Oder fiel es den Ingolstädtern nur deshalb so leicht, die Bayern mit kessem Pressing durcheinander zu bringen, weil die Bayern ohnehin so unklar, unpräzise und ungeordnet spielten? Auf geradezu sensationelle Weise fehlerhaft präsentierte sich der deutsche Meister, und wenn man es nicht besser wüsste, könnte man auf die Idee kommen, Carlo Ancelotti habe die Philosophie seines Vorgängers ins Gegenteil verkehrt.

Ribéry genießt das Spiel unter Ancelotti

Pep Guardiola wollte Ballbesitz und Kontrolle, er war besessen davon und konnte nie genug bekommen. Und dieses Spiel gegen den FC Ingolstadt sah jetzt also so aus, als sei sein Nachfolger Ancelotti ein glühender Verehrer des Ballverlusts.

Das ist natürlich Schmarrn. Nach allem, was man weiß, will auch Ancelotti den Ball haben, und er will auch, dass man schöne Sachen mit ihm macht. Ancelotti ist ein Vollprofi, aber er ist keiner, der diese schönen Sachen wie Guardiola bis ins Kleinste definiert und dirigiert, er will halt, dass sie passieren. Und sie passieren ja tatsächlich, selbst an einem schwächeren Bayern-Tag. Robert Lewandowskis Heber zum 1:1 (12.) war zum Beispiel eine sehr, sehr schöne Sache, schön angebahnt von Franck Ribéry; auch die Schüsse von Xabi Alonso (50.) und Rafinha (84.) zum 2:1 und 3:1 konnte man gut anschauen, und es war gewiss mehr als Zufall, dass es beide Male wieder Ribéry war, der den Schützen die Bälle rüberlegte.

Ausgerechnet der gute, alte Ribéry ist der Spieler, der im Moment am meisten für die neue Zeit beim FC Bayern steht. Ribéry genießt es, nicht definiert und dirigiert zu werden, er liebt diesen Freestyle-Fußball, der den schönen Sachen einen gewissen professionellen Rahmen gibt und ihnen ansonsten ihren Lauf lässt.

Die Frage, die sich gegen Ingolstadt aufdrängte, war aber diese: Wird es auch der gesamte FC Bayern genießen, dass künftig keinem mehr am Spielfeldrand vor lauter Dirigieren die Hose reißt?

Angesichts des wie immer großartigen Münchner Saisonstarts war im Bayern-Umfeld zuletzt eine leise Debatte aufgekommen, in deren Verlauf Guardiola immer kleiner geworden war. Stellvertretend fürs Bayern-Umfeld hatte der TV-Experte Mehmet Scholl nach Bayerns Auftakt-6:0 gegen Bremen erleichtert festgestellt, dass Ancelotti die Elf "frei gelassen" und ihr endlich die Fesseln abgenommen habe.

Inzwischen ist jedoch bekannt, dass man gegen Bremen durchaus mal gewinnen kann und dass im Übrigen auch Borussia Dortmund das 6:0 im Repertoire hat; und wer dieses wenig strukturierte 3:1 gegen Ingolstadt verfolgte, der hätte sich für dieses Spiel gerne ein paar hübsche Fesseln gewünscht. So manche Lässig- und/oder Schlampigkeit hätte Guardiola niemals toleriert.

Kleine Fragen bei den Bayern

"Ein zweischneidiges Schwert" nannte Manuel Neuer später das Lob, das nach ein paar unwirklichen Paraden auf ihn einprasselte. Er wusste ja selbst am besten, dass seine Vorderleute diesmal erhebliche Hilfe gebraucht hatten, von ihm und auch von Schiedsrichter Ittrich, der nach Thiagos Aktion gegen Leckie (77.) keinen Elfmeter pfiff. "Für mich persönlich ist es gut, dass ich mich auszeichnen konnte", sagte Neuer, "andererseits ist es nicht gut, dass wir heute so viel zugelassen und von hinten heraus so viele Fehlpässe gespielt haben."

In die englische Woche nehmen die Bayern neben ihrer schönen Startbilanz nun also ein paar kleine Fragen mit. War das nur eines dieser Kann-ja-mal-vorkommen-Spiele, erklärbar durch die Absenz der erkrankten Lahm, Müller, Alaba, Hummels? Oder war das ein kleiner Blick in die Zukunft, in der die Bayern zwar freier, aber auch weniger ausgefeilt, weniger kontrolliert und - vielleicht - weniger präzise sein werden? Douglas Costa wird am Mittwoch gegen Hertha wegen einer Muskelverletzung fehlen, aber die gute Nachricht ist: Der befreite Ribéry wird natürlich spielen.

© SZ vom 19.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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