Bundesliga:Derzeit gar kein Fußball - bald zu viel Fußball?

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Die Bundesliga hofft in der Not auf Geisterspiele - wie am 11. März zwischen Mönchengladbach und Köln. (Foto: Roland Weihrauch/dpa)
  • Sollte die Saison noch einmal angepfiffen werden, dürfte ein Programm folgen, das im Schicht- und Akkordbetrieb die Termine in Meisterschaft und Europapokal abarbeitet.
  • Das Motto lautet: Je schneller, desto besser.

Von Philipp Selldorf, Frankfurt/Köln

Viele Menschen, die zurzeit darüber klagen, dass es keinen Fußball zu sehen gibt, werden demnächst vielleicht darüber klagen, dass es viel zu viel Fußball zu sehen gibt. Sobald die Politik - in welchem Rahmen auch immer - den Sport wieder freigibt, könnte auf den totalen Stillstand der Wettbewerbe ein Programm folgen, das im Schicht- und Akkordbetrieb die liegen gebliebenen Termine in Meisterschaft und Europacup abarbeitet. Nicht ausgeschlossen, dass dann die Bundesliga-Konferenzschaltung aus deutschen Geisterspielstätten am Abend desselben Samstags mit Liveübertragungen von K.-o.-Spielen aus der Champions League fortgesetzt wird.

Champions League am Wochenende - das war bisher ein Tabu. Neuerdings aber ist alles denkbar, um die Einnahmeausfälle im Profifußball zu minimieren.

Dass der FC Bayern am Nachmittag bei Bayer Leverkusen und am Abend beim FC Barcelona spielt, wird zwar nicht passieren, grundsätzlich gilt aber die Devise, die der Schalker Finanzchef Peter Peters vorgestellt hat: "Jedes Spiel, das gespielt wird, hilft uns." Nur dann können die beiden Bundesligen ihre vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den TV- und Sponsoring-Partnern erfüllen und die vereinbarten Zahlungen empfangen. In Rede steht ein Betrag von mindestens 750 Millionen Euro, der den 36 Klubs bei einem ersatzlosen Abbruch der Saison fehlen würde.

"Wir werden nicht spielen, wann wir wollen, sondern wann wir können"

Peters, Finanzvorstand des FC Schalke 04 und Präsidiumsmitglied der Deutschen Fußball Liga (DFL), prophezeit, dass manches sportliche Prinzip für eine Weile ausgesetzt werden könnte: "Wir werden nicht spielen, wann wir wollen, sondern wann wir können." Dies gilt außer für die Bundesliga und die anderen nationalen Ligen auch für den europäischen Dachverband Uefa, der ebenfalls hofft, seine Wettbewerbe zu Ende bringen zu können - notfalls in loser Terminfolge.

Von jenem Tag X, an dem der Ball wieder rollen darf, sind die großen und die kleinen Ligen in Europa allerdings noch weit entfernt. Es gibt zurzeit nirgendwo verbindliche Informationen, wann wieder Profifußball stattfinden kann. Die spanische Primera Division verabschiedete sich am Montag von jeglicher Terminspekulation und teilte mit, der Spielbetrieb werde für unbestimmte Zeit ausgesetzt. Dieser Beschluss gelte, bis die Regierung die Ansicht gewinne, den Wettbewerb ohne gesundheitliche Risiken wieder aufnehmen zu können. In Spanien stehen noch elf Spieltage aus, um die Saison abzuschließen.

In der englischen Premier League ist die Saison vorerst bis zum 30. April storniert. Planspiele besagen, die Saison notfalls bis in den Juli hinein zu verlängern. Den meisten Vereinen fehlen zur ordnungsgemäßen Komplettierung der Tabelle noch neun, einigen noch zehn Spiele.

Die Mitglieder der DFL haben den Betrieb bisher bis zum 2. April ausgesetzt, niemand rechnet jedoch damit, dass dann in Deutschland schon wieder gespielt werden kann. Am Mittwoch nächster Woche wollen die 36 Klubs in einer Videokonferenz das weitere Vorgehen beraten. Spektakuläre Modelle für die Wiederaufnahme des Betriebs - wie eine Quasikasernierung der Profiteams oder eine Konzentration auf einige wenige Spielorte - stehen dann sicherlich nicht zum Beschluss an.

Bereits am Dienstagvormittag wird das Präsidium der DFL die aktuellen Fakten zusammentragen, um die Debatte in der kommenden Woche vorzubereiten. Außer DFL-Geschäftsführer Christian Seifert gehören acht Vereinsvertreter dem Präsidium der Dachorganisation an. Wegweisende Erkenntnisse oder Pläne sind von der Unterredung nicht zu erwarten, es geht zunächst um einen Informationsaustausch. Zur Beratung steht unter anderem, welche Signale die DFL und die Vereine von ihren Gesprächspartnern in der Politik empfangen haben. Während Seifert, soweit möglich, regelmäßig in Verbindung mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in Berlin steht, unterhalten viele Vereine Kontakte mit den Landesregierungen und den örtlichen Bürgermeistern.

Auch die Position der Medienunternehmen - dem wichtigsten Wirtschaftspartner des Profifußballs - wird zu erörtern sein. Selbstverständlich sind auch Sky, Dazn, ARD und ZDF von der Krise betroffen. Zur Sprache wird außerdem die wirtschaftliche Situation der Vereine kommen. Auf der Mitgliederversammlung in der vorigen Woche waren die Klubs gebeten worden, Szenarien ihrer finanziellen Situation zu entwerfen - im Besonderen für den schlimmsten anzunehmenden Unfall, den ersatzlosen Saisonabbruch. Eine Frist für diese spekulativen Berechnungen hat die DFL nicht gesetzt, es gelte ein doppeltes Motto: Je schneller, desto besser. Und: Je gründlicher, desto besser.

Die Kalkulationen könnten an Bedeutung gewinnen, falls die Klubs in nächster Zeit über ein Solidarmodell zur Existenzsicherung notleidender Klubs diskutieren sollten. Einer eventuellen Hilfsaktion innerhalb der Ligen steht mittlerweile auch Hans-Joachim Watzke offen gegenüber. Borussia Dortmunds Geschäftsführer hatte sich in dieser Frage zuerst skeptisch geäußert. "Wir müssen jetzt gemeinsam Konzepte erarbeiten. Am Ende eines Prozesses kann man dann über die Hilfe des einen Vereins für den anderen Verein sprechen, und da wird der BVB sicher nicht unsolidarisch sein", sagte Watzke dem Spiegel.

In der Bundesliga ist man sich weitgehend einig, dass in Anbetracht der umfassenden Krisensituation staatliche Hilfen für den Profifußball kaum infrage kommen werden. Gleichwohl hofft man, dass die Politik nicht nur die wirtschaftlichen Erfordernisse des Fußballs anerkennt und hinsichtlich einer möglichst zügigen Freigabe des Spielbetriebs berücksichtigt - auch die soziale und psychologische Bedeutung des Sports in schweren Zeiten wird immer wieder als Argument angeführt.

Fußball als Medizin für das entwöhnte Volk, das ist ja gar kein abwegiger Ansatz. Notfalls würden die Fans vermutlich auch gegen eine Überdosis im kommenden Sommer nichts einzuwenden haben.

© SZ vom 24.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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