Borussia Dortmund:Gesten des Haderns

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Im Handumdrehen ein paar Meter zurück: Mats Hummels (links) gegen den flinken Leverkusener Moussa Diaby. (Foto: Martin Meissner/AP)

Der BVB steht wieder dort, wo er sich vor Weihnachten befand: weit weg von den Erwartungen. Für Trainer Edin Terzic wird es Zeit, die Sinnfragen seines unsteten Teams zu lösen.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Kaum zum Nachfolger von Lucien Favre bestellt, sah sich Edin Terzic bereits fundamentalen Attacken ausgesetzt. Der Zeitgeist-Kritiker Mehmet Scholl nahm Anstoß an Terzics Rhetorik, die ihm allzu phrasenlastig vorkam. "Ich kann es nicht mehr hören", sagte Scholl ein paar Tage vor dem Weihnachtsfest und erzählte dazu eine Geschichte aus seiner eigenen Schulzeit: Im DFB-Trainerlehrgang habe er sich geweigert, die verordnete Fach- und Floskelsprache anzunehmen.

Falls Scholl am Dienstagabend nach Dortmunds 1:2-Niederlage bei Bayer Leverkusen zugehört haben sollte, dann hat er sich vermutlich wieder die Ohren zugehalten. Terzic, 38, listete viele populäre Stereotypen auf: Etwa, dass sich sein Team jetzt "schütteln" und im nächsten Match - am Freitag gegen Mönchengladbach - "eine Reaktion zeigen" müsse. Über den Torschützen Julian Brandt sagte er, dieser habe "sich belohnt" für fleißiges Gegenpressing, und über das Spielfeld berichtete er fachkundig, dass es zwischenzeitlich "sehr groß" gewesen sei.

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Der BVB kassiert beim 1:2 in Leverkusen den nächsten Rückschlag - weil er sich durch Abwehrschwächen selbst in Schwierigkeiten bringt. Siegtorschütze Florian Wirtz zeigt einen erstaunlichen Auftritt.

Von Philipp Selldorf

Andere Aussagen hingegen könnten sogar Scholl gefallen haben. "Wir wollten den Ball ins Tor tragen, anstatt ihn volles Pfund ins Tor zu jagen", entfuhr es dem Sauerländer Terzic in der Sprache der Fußball-Vorväter, bevor er ebenso deutlich das ewige BVB-Thema veranschaulichte: Es sei wirklich "nicht zu akzeptieren, dass wir immer versuchen, den Ball quer zu spielen und noch mal quer zu spielen, und ein unglaublich schönes Tor über 48 Stationen zu schießen". In der Schule würde es dazu heißen: Thema verfehlt. Terzic sah es während der zweiten Halbzeit mit Grausen und wachsendem Zorn, also ungefähr in dem Zustand, den bis Dezember der Vorgänger Lucien Favre regelmäßig durchlitten hatte.

Erling Haaland fehlt die Abstimmung mit den Mitspielern

Zum gelungenen Entertainment und zur internationalen Sendefähigkeit dieses Spitzenspielprodukts hatten die Dortmunder ähnlich viel beigetragen wie die Leverkusener. Tempo und Angriffsgeist bestimmten die Partie, es war eine Freude zuzusehen. Die BVB-Elf hätte als Sieger den Platz verlassen können, wenn sie ihre beste Zeit rund um Brandts Ausgleichstreffer (67. Minute) genutzt hätte, aber dass sie als Verlierer nach Hause fuhr, das entsprach dennoch der Logik und dem Hergang des Abends.

Bayer 04 hatte nicht nur wegen seiner Hochgeschwindigkeitskonter und der außergewöhnlichen Flügelzange mit Leon Bailey und Moussa Diaby die besseren Anlagen vorzuweisen. Das Leverkusener Spiel besaß mehr Ordnung und Zielbewusstsein. Zur dingfesten Vollendung ihrer Vorteile fehlte nach dem 1:0 durch Diaby (14.) lediglich der mehrfach mögliche zweite Treffer, und ähnlich wie beim unglücklichen 1:2 gegen den FC Bayern vor ein paar Wochen hätte sich das beinahe gerächt.

Die Dortmunder kamen wild und entschlossen aus der Pause und drängten die zwangsläufig etwas lahmer gewordenen Hausherren in die Abwehr, aber es sollte sich als Problem herausstellen, dass sie dabei eher wild als entschlossen vorgingen. Auch Erling Haaland bildete dabei keine Ausnahme, außer eigener Inspiration fehlte ihm die Abstimmung mit den Mitspielern. Im Duell der 17-jährigen Spielmacher war Florian Wirtz klarer Punktsieger gegenüber Jude Bellingham, nicht nur deshalb, weil er das 2:1 schoss (82.), sondern weil er dank seiner Spielintelligenz starken Einfluss nahm. Mit Nadiem Amiri und Charles Arranguiz bildete er eine Kooperative im Zentrum, die der gegnerischen Konstruktion - mit Bellingham und Delaney als gegensätzliches Duett zwischen den Blöcken - deutlich voraus war.

"Kann Flo noch weitermachen?", hatte sich Peter Bosz in der zweiten Halbzeit gefragt, als Wirtz ermüdete. Dann lernte der niederländische Trainer eine deutsche Redensart kennen: "Er hat, das kannte ich noch nicht, die zweite Luft bekommen." Für den abgeklärten Torschuss beim Konter zum 2:1 reichte sie allemal, und Bosz kam um ein Geständnis nicht herum: "Obwohl er erst 17 ist, war er wieder wichtig für uns." Der Trainer würde seinem wundersamen Teenager die vielen Jubelarien zwar lieber ersparen. Aber auch diesmal galt: Ehre, wem Ehre gebührt.

Für Reus spielt das Thema Meisterschaft "keine relevante Rolle" mehr

Der BVB steht nun nach diesem Abend wieder dort, wo er sich vor Weihnachten bereits mit Favre befand. Ein weites Stück entfernt von den Erwartungen an Leistung und Ertrag und auf einem Tabellenplatz, der nicht mehr die Verfolgung des FC Bayern in Aussicht stellt, sondern Sorgen um die Champions-League-Qualifikation bereitet. Gegen den kauzigen Fußballprofessor Favre hatten sich starke Kräfte aus der Mitte der Spielerkabine zusammengetan, in Leverkusen sah man Mats Hummels und Marco Reus wieder vereint - in Gesten des Haderns, die jede Menge Unzufriedenheit mit dem eigenen Auftritt enthielten. Dass Hummels im Sprintduell mit Moussa Diaby im Handumdrehen ein paar Meter zurücklag, das beruhte nicht nur auf der naturgemäß überlegenen Beschleunigungskraft des 19-jährigen Franzosen, sondern auch auf dem immer wieder konfusen Stellungsspiel des Abwehrchefs.

Neulich hatte sich Hummels beschwert, die jugendlichen Mitspieler ließen es auf dem Platz an "erwachsener" Haltung fehlen, diesmal war eingedenk mehrerer großväterlicher Momente Schweigen angebracht. Das Wort ergriff stattdessen ein demütiger Reus, der zugab, man müsse sich grundsätzliche Fragen "gefallen lassen". Angesprochen auf die Position im Titelkampf erklärte er, das Thema Meisterschaft habe schon vor dem 1:2 "keine relevante Rolle" gehabt. Die Selbstbeschränkung mag Terzic die Arbeit ein wenig erleichtern, aber es wird trotzdem Zeit für ihn, die Sinnfragen seines unsteten Teams zu lösen. Außer dem Kritiker Scholl muss er allmählich auch die BVB-Chefs überzeugen.

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