Bundesliga:Systemabsturz der Werkself

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Schwerer Gang vor die Fans: Die Leverkusener Amine Adli, Jonathan Tah und Lukas Hradecky (von links) nach dem 1:5 gegen Frankfurt. (Foto: Jürgen Kessler/Imago)

Von der Euphorie unter Neu-Trainer Xabi Alonso ist nicht mehr viel übrig: Beim 1:5 gegen Frankfurt spielt Leverkusen wie ein Absteiger. Die Spieler finden deutliche Worte.

Von Frank Hellmann, Frankfurt

Es sah bereits nach einem Akt von Verzweiflung aus, als Lukas Hradecky die Arme vor dem Gästeblock in der Frankfurter Arena ausbreitete wie ein Einweiser auf dem Vorfeld des nahe gelegenen Flughafens. Dabei wollte der Torhüter von Bayer Leverkusen - wenige Kilometer Luftlinie weiter im Stadtwald - lediglich Abbitte für die nächste Bruchlandung leisten. Der wütenden Anhängerschaft war der Absturz der Werkself indes weder mit Worten noch mit Händen zu erklären, auch wenn sich der Finne Hradecky an seiner ehemaligen Wirkungsstätte tapfer um Schadensbegrenzung bemühte.

Das Leverkusener Debakel hat beim 1:5 bei Eintracht Frankfurt besorgniserregende Ausmaße angenommen, der Ist-Zustand eröffnete Raum für düsterste Untergangsszenarien. Nach der Champions-League-Lehrstunde gegen den FC Porto (0:3) hatte der mit so viel Vorschusslorbeer empfangene Trainer Xabi Alonso den zweiten Systemausfall binnen vier Tagen zu verkraften. Alonso blieb gar nichts anderes übrig, als die Demontage einzugestehen. "Wir sind von Beginn an in Probleme geraten. Wir hatten nicht die Intensität, die es auf diesem Level braucht. Wir sind daran schuld, uns kann kein anderer helfen - keine Ausreden", sagte der 40-Jährige, dessen Aura allein kaum ausreichen dürfte, um Leverkusen die Lethargie auszutreiben.

Klare Worte der Spieler: "Mit dem Trainer gehen nicht die Probleme"

Mittelfeldspieler Kerem Demirbay wählte sehr bewusst drastische Worte: "Wir sind ganz tief in der Scheiße drin. Profis mit Qualität müssen jeden Tag abliefern, das kriegen wir im Wettkampf nicht hin." Zudem adressierte Demirbay einen indirekten Weckruf an den mal wieder indisponierten Torjäger Patrik Schick, dessen fehlende Körperspannung ein Kernproblem skizziert: "Wir verteidigen schlecht, aber das fängt ganz vorne an: Wenn ich ein Stürmer mit super Technik bin, muss ich zuerst ackern und rackern." Einige Protagonisten schienen sich allerdings vorgenommen zu haben, ihre Trikots an diesem regnerischen Nachmittag nicht allzu sehr zu beschmutzen. Alles in allem war Leverkusens Leistung kaum bundesligatauglich. Demirbay wertete den Auftaktsieg unter Alonso gegen Aufsteiger FC Schalke 04 (4:0) rückwirkend als arg trügerisch: "Schalke ist nicht unser Maßstab."

So ist nun sie Indizienlage erdrückend, dass dem maßgeblich von Sportdirektor Simon Rolfes zusammengestellten Kader gewisse Kernelemente abgehen, die in der prekären Lage eigentlich nötig wären. "Um wettbewerbsfähig zu sein, müssen wir uns verbessern. Wir haben jetzt eine intensive Woche vor uns", sagte Alonso, dem durch das frühe Pokal-Aus seines Vorgängers Gerardo Seoane immerhin eine Woche Vorbereitung aufs Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg vergönnt ist. Bis dahin muss geklärt werden, wie die fehlgeschlagene "connection" von Kopf und Körper gelingen kann, die Alonso als Erklärungsmuster bemühte. Alles hänge ja miteinander zusammen, dozierte er weltmännisch.

Temporeicher Angreifer mit feinem Füßchen: Jesper Lindström (Zweiter von rechts) traf per Lupfer zum zwischenzeitlichen 3:1 für Frankfurt. (Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

Doch wie sehr sich die Führungsspieler auch nach konkreten Konsequenzen sehnen, machte Robert Andrich deutlich. "So läuft Fußball nicht", monierte der selbst vergeblich um Zugriff bemühte Mittelfeldkämpfer, "das muss jedem klar werden. Das müssen wir ganz, ganz klar in der Mannschaft ansprechen, sonst sehe ich schwarz für uns." Für den Führungsspieler war der nächste Offenbarungseid nicht mal eine Überraschung, denn: "Mit dem Trainer gehen nicht die Probleme. Es sind ja immer noch die Leute auf dem Platz, die dafür verantwortlich sind." Und davon haben zu viele den Ernst der Lage scheinbar gar nicht begriffen. Deutlich regte Andrich den Verzicht auf "schönen Fußball" an.

Der VAR greift wegen neuem Regelwerk ein: Elfmeterparade bringt Bayer nichts

Vermutlich wird der neue Coach dafür einige unbequeme Personalentscheidungen fällen müssen, um die bislang von hinten bis vorne missratene Saison zu retten. Selbst das schmeichelhafte 1:1 durch Piero Hincapie (56.) half nicht: Der Ecuadorianer verursachte eine Viertelstunde später nach einer von unzähligen tollpatschigen Abwehraktionen einen Elfmeter und sah noch Gelb-Rot. Das Frankfurter Erfolgsrezept fasste Eintracht-Trainer Oliver Glasner so zusammen: "Wir haben mit Tempo und Tiefgang die Schnittstellen attackiert." Weil der zerzauste Alonso-Trupp kaum Widerstandskraft aufbrachte, fand das energetische Glasner-Team lauter freie Wege vor.

Dem tapfer haltenden Hradecky nutzte letztlich nicht mal ein gehaltener Elfmeter gegen Randal Kolo Muani, da die Parade nach der neuen Regelauslegung durch VAR-Intervention annulliert wurde - sein Fuß befand sich wenige Zentimeter vor der Torlinie. So verwandelte Daichi Kamada halt die Wiederholung (45.+4). Danach belohnten der nie zu bremsende Mittelstürmer Muani entschlossen per Kopf (58.), Jesper Lindström kunstvoll per Lupfer (65.), Kamada erneut per Strafstoß (72.) und sogar der bei Bayer zuvor ausgemusterte Lucas Alario (86.) die erdrückende Frankfurter Überlegenheit. Bald darauf stimmten die Eintracht-Fans Hohngesänge auf einen "Absteiger" an. So hatte der Champions-League-Teilnehmer Bayer Leverkusen mit einem Welt- und Europameister auf der Trainerbank tatsächlich gespielt.

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