SV Darmstadt 98:Frustrierte Realisten

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So geht Abstiegskampf: Jonathan Burkardt (rechts) vom 1.FSV Mainz behauptet sich gegen den Darmstädter Matthias Bader. (Foto: Neil Baynes/Getty Images)

Beim SV Darmstadt 98 erkennen alle an, dass es für die Bundesliga nicht reicht. Trainer und Mannschaft versprechen, die Saison mit Anstand zu Ende zu spielen - bei Mainz 05 dagegen kommt neue Hoffnung auf.

Von Frank Hellmann

Außer zu einem kurzen Händedruck mit seinem Kollegen Bo Henriksen konnte sich Torsten Lieberknecht mit Schlusspfiff zu nichts mehr richtig aufraffen. Nicht mal den obligatorischen Kreis auf der Platzmitte berief der frustrierte Fußballlehrer des SV Darmstadt 98 ein - die Bühne sollte hernach allein den zu Fiesta-Klängen tanzenden Hausherren des FSV Mainz 05 gehören. Apathisch hatte der Gästecoach bereits die Schlussphase des Nackenschlags im Nachbarschaftsduell (0:4) an der Seitenlinie erlebt.

Lieberknecht, 50, gewöhnlich ein Ausbund an Energie und Emotionen, war schlicht nicht in der Lage, Zuversicht und Kampfgeist auszustrahlen. Als der konsternierte Kurpfälzer später in der Pressekonferenz seinen Platz einnahm, kehrten die Lebensgeister erst zurück, als es um den fehlenden Widerstand seiner Mannschaft nach dem 0:2 von Brajan Gruda ging (60.) - vorausgegangen war ein schlimmer Rückpass des in die Abwehr versetzten Mittelfeldspielers Bartol Franjic. Trotz weiterer Gegentreffer durch den überragenden Jae-Sung Lee (80. und 84.), der bereits das Führungstor durch Andreas Hance-Olsen eingeleitet hatte (32.), fand Lieberknecht Begriffe wie "Auflösungserscheinungen" nicht statthaft: "Unser Energielevel war aufgebraucht, der Stecker gezogen." Und so sendete der von jeder Versorgung abgeschnittene Aufsteiger die klaren Signale, dass der Überlebenskampf in der Bundesliga verloren ist.

"Wir müssen extrem realistisch bleiben", mahnte der Coach. Angesichts von neun Punkten Rückstand auf den Relegationsplatz wäre die Rettung "mehr als ein allergroßes Wunder". Lieberknecht versprach indes, "die Jungs als Team zusammenzuhalten und die Aufgaben, die jetzt kommen, sauber und sorgfältig zu beenden". Dies dürfte äußerst schwer für diesen Kader werden, der bislang bloß 14 Punkte auf der Habenseite und überhaupt nur zweimal - gegen Werder Bremen und beim FC Augsburg in der Hinrunde - gewonnen hat. Hoffnung besteht nach 21 Spielen ohne Sieg kaum mehr.

Der Drittletzte Mainz glaubt derweil sogar an den direkten Klassenerhalt

Es entbehrte nicht einer gewissen Pikanterie, dass der Darmstädter Offenbarungseid am 28. Spieltag zeitgleich mit dem Heidenheimer Ausrufezeichen gegen die Bayern zusammenfiel. Warum ist der eine Neuling aber so viel besser als der andere, wo sich doch die Strukturen und die Etats dieser beiden Klubs gar nicht so unähnlich sind? Darauf angesprochen brachte Lieberknecht interessante Erklärungen an. Zum einen hätten es die Verantwortlichen auf der Schwäbischen Ostalb geschafft, nach dem Aufstieg ihre Leistungsträger Tim Kleindienst oder Jan-Niklas Beste zu behalten, während ihm der Torjäger Philipp Tietz in Richtung Augsburg entschwand. Zum anderen habe es im Winter ja "eine neunstündige Kaderplanung" gegeben, in deren Anschluss der Sportdirektor Carsten Wehlmann mitgeteilt habe, "er möchte gehen". Der Trainer hat dem Ex-Manager bis heute diesen Entschluss offenbar nicht verziehen. Aber ob diese öffentliche Spitze wirklich sein musste?

Der fest im Norden verwurzelte Wehlmann kehrt ja auch aus privaten Gründen zu Holstein Kiel zurück und wird ab Sommer vermutlich bei einem Erstligisten als Sport-Geschäftsführer arbeiten. Das von Lieberknecht angesprochene Vakuum im Management soll offenbar nun Paul Fernie vom Zweitligisten SV Wehen Wiesbaden schließen.

Gewohnt emotional: Darmstadts Trainer Torsten Lieberknecht. (Foto: Torsten Silz/dpa)

Präsident Rüdiger Fritsch wollte keinerlei offizielle Einordnungen abgeben und sprach im Vorbeigehen lediglich davon, dass man ja die Tabelle lesen könne. Klartext redete hingegen Innenverteidiger Christoph Klarer: "Wir sind einfach nicht gut genug - schon die ganze Saison." Nur eines wollte der Österreicher noch versprechen: "Wir werden es mit Stolz und Ehre zu Ende spielen." Dann machen die Südhessen wahrscheinlich als Tabellenletzter am 18. Mai das Licht aus.

Der Drittletzte Mainz glaubt derweil vor einem weiteren Heimspiel gegen die TSG Hoffenheim sogar an den direkten Klassenerhalt. Die Fans feierten ja nicht nur ihre Mannschaft, sondern auch die späten Tore der Kölner, als diese über die Videowände flimmerten. "Alles ist möglich", sagte Gruda mit heiserer Stimme nach seinem umjubelten ersten Heimtreffer. Der für Gegner kaum zu fassende Trickser Gruda, 19, ist einer, der auch im Abstiegskampf auf spielerische Lösungen setzt. Gesundbeter Henriksen adelte den Zauberzwerg aus den eigenen Reihen flugs zum "Weltklassespieler mit Ball". Torsten Lieberknecht schwieg in diesem Moment lieber wieder.

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