Brasiliens Stürmer Hulk:Muskeln wie ein Möbelpacker

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Brachial und meist glücklos: Hulk. (Foto: REUTERS)

Hulk bringt Fans des schönen Spiels auf die Palme. Aber einen besseren Stürmer hat Brasiliens Nationalcoach Felipe Scolari derzeit nicht. Er setzt auf seinen Muskelprotz, auch wenn Hulks Brachialversuche meist im Nirgendwo enden.

Von Thomas Kistner, Fortaleza

Die erste Dame im Staat hat Hulk einen Kuss zukommen lassen, eine vollmundige, blutrot gefärbte Stärkung für das Achtelfinale. Pâmela Bôrio ist sehr gerügt worden für diese ins soziale Netzwerk eingestellte Fotowidmung, immerhin hat sie mehr als 20 000 Follower. Die Stilkritik fiel fast so harsch aus wie im Herbst 2012, als sie im Internet ihre scharfen Dessous mit dem Vermerk präsentierte: "Ein Geschenk für mich, aber mein Gatte erfreut sich daran am meisten!"

Der solchen Genüssen zugeneigte Gatte ist Ricardo Coutinho, Gouverneur im gewöhnlich recht verschlafenen Paraiba. Wo es seit einigen Jahren diesen Liebling der Region gibt, nach dem auch seine Fußballschule benannt ist: Hulk Paraiba. Hier, sagt der Nationalstürmer, zahle er gerne zurück, was ihm die Heimat gegeben hat. Wobei Letzteres gar nicht so leicht ermittelbar ist, als Profi hat Hulk die Heimat ja nie erlebt. Schon als 15-Jähriger war er für ein Jahr nach Portugal gegangen, und die 70 Minuten, die er als Profi für den EC Vitória in Bahia gespielt hatte, haben sich eher nicht im nationalen Gedächtnis verankert.

Auch deshalb rief jüngst die Hinwendung der Vermarktungsagentur Hulk12, benannt nach des Profis präferierter Trikotnummer, zu den eigenen Fußballwurzeln einen anderen Großen der Seleção auf den Plan: Romário. Der sitzt als sozialistischer Abgeordneter in Brasilia, er ist ein harter Kritiker der WM und auch von Hulk. Romário will wissen, wieso aus Hulks 50-Millionen-Euro-Transfer zu Sankt Petersburg 2012 plötzlich eine Million Reais beim Provinzklub Campinense gelandet sind, vor Hulks Haustür. Zwar fallen laut Fifa-Regeln an Klubs, die Spieler zwischen zwölf und 23 ausbilden, fünf Prozent der Ablösesumme ab. Nur, wie sieht das aus, wenn Hulk nie für Campinense spielte und trotzdem so viel Geld dorthin floss?

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Kunstschütze James, zwei unbekannte Holländer und Lockenkopf Guillermo Ochoa: Die Fußball-WM in Brasilien bringt begnadete Spieler zum Vorschein, von denen man vorher kaum etwas gehört hatte. Elf Akteure, die bei diesem Turnier Karrieresprünge hinlegen.

Sitten und Geschäftsgebräuche im kargen, sonnenvernarbten Nordosten sind womöglich denen nicht unähnlich, die in der unkontrollierten Welt des Fußballs gepflegt werden. Wobei sich Hulk an das Tempo erst gewöhnen musste, in dem seine Einkünfte wuchsen. Sie schwollen, ließe sich sagen, mit seinen Muskeln an.

Diese Muskeln, die ihn wie ein kickender Möbelpacker erscheinen lassen: In der Zeitlupe treten sie hervor, wenn Hulk mit der Wucht eines American-Football-Spielers in Gegners Deckung einbricht. Diese imposante Statur begründet den Spitznamen, nach einem Comic-Helden, der vor Wut grün anzulaufen pflegt, wenn es ernst wird: Der unglaubliche Hulk. Givanildo Vieira de Souza, wie er richtig heißt, sagt, der Vater habe ihn so gerufen, seit der Dreijährige erzählte, dass seine Muskeln wachsen. Sieht man Papa Gilvan, wird klar, wo Hulks Liebe zum Bodybuilding herkommt. Und sei es nur, um sich gegen sechs Geschwister durchzusetzen, alles kräftige Mädchen.

Damals 2005, nach Abschluss des ersten Profivertrags bei Vitória, rief Hulk seine Mutter an und jubelte: "Mama, jetzt werden wir reich!" Das Monatssalär betrug 500 Reais, rund 180 Euro, und zeigt an, aus welchen Verhältnissen Hulk stammt. Kurz darauf wurde es deutlich mehr, ausbezahlt nun aber in Sapporo, wo Hulk in Japans zweiter Liga unterkam.

Er traf 25 Mal in 38 Spielen, dann ebnete er Tokyo Verdy mit 37 Tore in 42 Spielen den Aufstieg in die J-League. Er blieb noch ein Jahr und lernte dort seine Frau kennen, Iran, auch sie aus Paraiba. Heimat verbindet, heute hat das Paar zwei Söhne und die acht Jahre ältere Gattin kein Problem damit, dass Hulk von First Ladies geküsst wird und der Klatschpresse als Hintern der Nation gilt - mit offiziell im Fernsehen vermessenen 111 Zentimeter Umfang. Soeben würdigte ein Künstler das Naturwunder mit einer Puppe, die ähnlich viel Gesprächsstoff schuf wie Hulks Auftritt im Achtelfinale gegen Chile.

2008 rief der FC Porto Hulk nach Europa. Die 19 Millionen Euro Ablöse rentierten sich, Hulk wurde dreimal Meister, gewann 2011 die Europa League, holte zweimal den Pokal und dreimal Portugals Supercup. In Portos Estádio do Dragão hat keiner mehr Tore erzielt als er. Mit alldem drängte er ins Bewusstsein seiner Heimat, die immer wieder überrascht ist, wie viele Fußball- juwelen sie in der Welt verstreut hat. 2009 wurde Hulk in die Seleção berufen, was seitdem alle Anhänger des Jogo bonito, des schönen Spiels, auf die Palme bringt: Das mittlerweile in Russland kickende Muskelmonster mit dem schweren Tritt und den kantigen Bewegungen sei ein Rückfall in die Steinzeit, zumal wenn es neben dem schwebenden Neymar daher rumpelt.

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Die Ästhetik-Debatte hat sich seit dem Achtelfinale verändert. In der Schlacht mit Chile schlug sich Hulk am besten in der Offensive. Er verschuldete zwar hinten das Gegentor, vorne aber stand er mehrmals knapp vorm Torerfolg - den er sich im Elfmeterschießen am Ende selbst vermieste, als er den Ball mitten auf Chiles Torwart drosch. Seine Stärke ist zugleich sein Manko: diese Schussgewalt, die ihm von Japan bis Russland spektakuläre Treffer sicherte. In der Seleção aber verleitet sie ihn immer wieder zu Brachialversuchen, die im Nirgendwo landen - statt dass er überlegt den Abschluss sucht. Noch kein Treffer ist ihm bei diesem WM-Turnier gelungen, auch beim Confed-Cup 2013 ging er leer aus. Da ist eine stramme Rechnung offen im Verhältnis zu Felipe Scolari, dem Coach.

Der weiter auf Hulk baut. Bauen muss. Er hofft, dass sich der Bulle aus Paraiba vor dem WM-Tor endlich so durchsetzt wie in Europas Ligabetrieb. Sonst bleibt ja nicht viel. Gegen Chile war Neymar gezielt angeknockt worden; Mittelstürmer Fred ging unter wie oft, wenn er keine Bälle bekommt, Substitut Jo schritt teilnahmslos über den Rasen wie ein Storch, der Frösche sucht.

Scolari hat ein Problem, er hat keine starke Sturmspitze. Dass ihm die Medien komplette Nationalteams voll klingender Offensivkünstler vorbeten, hilft ja nichts, all diese Helden spielen nicht mehr. Er muss auskommen mit dem, was es gibt - und was er nominiert hat. Vorm Viertelfinale am Freitag gegen Kolumbien müssen jetzt manche der Jungs seiner Wahl von Teampsychologin Regina Brandao betreut werden, das aufwühlenden Elfmeter-Finale gegen Chile hat nicht nur in einem Tränenbad geendet, es hatte schon so begonnen.

Hulk geht so lange in den Fitnessraum.

© SZ vom 03.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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