Boykott-Aktionen im Sport:Als sich Russland für 1980 rächte

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Die deutsche Politik diskutiert über einen Boykott der Fußball-EM in Polen und der Ukraine. Proteste gegen Sport-Großveranstaltungen gab es früher schon - sogar bei Olympischen Spielen. Und die waren politisch noch brisanter als der Fall der ukrainischen Oppositionsführerin Julia Timoschenko.

Carsten Eberts

Oleg Woloschin ist der Direktor für Informationspolitik im ukrainischen Außenministerium. Woloschin ist bislang nicht sonderlich in Erscheinung getreten, am Montag lieferte er jedoch ein durchaus diskussionswürdiges Zitat. Woloschin sagte, er hoffe doch sehr, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sei in ihren jüngsten Aussagen zur Fußball-EM in Polen und der Ukraine falsch wiedergegeben worden. Denn: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die heutigen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Deutschland sich der Methoden des Kalten Krieges bedienen."

Eröffnung der Olympischen Sommerspiele in Moskau - ohne die USA und 61 weitere Nationen. (Foto: DPA)

Woloschins Bemerkung war pointiert, gewiss, als Informationsdirektor macht Woloschin seinen Job offenbar gut. In einem Punkt hatte der Mann zweifellos Recht: In früheren Jahren gab es bereits Boykottversuche von sportlichen Großveranstaltungen - und die waren politisch äußerst brisant. Es ging um wichtige Zeichen im drohenden atomaren Krieg zwischen politischen Großmächten (Olympia 1980 und 1984) oder den Umgang mit dem blutigen Umsturz in einem Austragungsland der Fußball-WM (Argentinien 1978). Den Fall der ukrainischen Oppositionsführerin Julia Timoschenko damit zu vergleichen, wirkt dann doch eher überspitzt.

Das zeigt ein Rückblick auf die Olympischen Spiele 1980 in Moskau. Ein halbes Jahr zuvor, am Neujahrstag 1980, waren in Brüssel die Nato-Vertreter zu einer Dringlichkeitssitzung zusammengekommen. Der Grund: Es herrschte Kalter Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion - und das russische Politbüro hatte vier Tage zuvor die Verlegung sowjetischer Truppen in den Norden Afghanistans angeordnet. Dies war eine gewaltige Provokation der westlichen Kräfte.

Zwar war es der deutsche Nato-Botschafter Rolf Pauls, der bei dem Brüsseler Treffen erstmals die Möglichkeit eines Boykotts der Sommerspiele in Moskau erhob. Es waren jedoch nicht die Deutschen, die die Angelegenheit anschließend vehement vorantrieben: US-Präsident Jimmy Carter begeisterte die Idee, den politischen Rivalen öffentlich zu brüskieren, so sehr, dass er die Umsetzung vehement vorantrieb und für Unterstützung warb.

Nicht alle Länder zogen mit - und so scheiterte der Plan der USA, mindestens 100 Nationen zum Boykott der Spiele zu bewegen. Am Ende waren es 62: Neben den USA, Kanada und zahlreichen südamerikanischen Staaten schlossen sich aus Europa lediglich Albanien, Liechtenstein, Monaco, Norwegen und Israel an. Und die Bundesrepublik Deutschland. Bundeskanzler Helmut Schmidt stellte sich zunächst gegen den Protest, ließ sich jedoch bei mehreren Treffen mit seinen US-Verbündeten umstimmen. Auf der entscheidenden Sitzung stimmten schließlich 40 von 59 Mitgliedern des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) für den Boykott. Schmidt wollte vor allem eines nicht: die guten Beziehungen nach Übersee gefährden.

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So wurden die Olympischen Spiele 1980 zum Symbol des Kalten Krieges - und es war natürlich eine spezielle Dramaturgie, dass die darauf folgenden Sommerspiele ausgerechnet in Los Angeles stattfinden sollten. Für die UdSSR und ihre Bündnispartner ergab sich die schnelle Chance zur Revanche. Offiziell eskalierte der Konflikt, als das US-Außenministerium dem sowjetischen Olympia-Attaché Oleg Jermischkin die Olympia-Akkreditierung verweigerte (wegen dessen Vergangenheit als KGB-Offizier). Doch es darf vermutet werden, dass die Sowjet-Regierung auch einen anderen Grund gefunden hätte, sich den Spielen zu verweigern. Neben der UdSSR reisten auch die Sportler der DDR, Afghanistan, Tschechoslowakei, Polen, Ungarn, Bulgarien, Vietnam, Nordkorea und Kuba nicht in die USA. Im sowjetischen Fernsehen wurde nicht eine Minute an Berichterstattung ausgestrahlt. Immerhin stellten die Spiele einen sportpolitischen Wendepunkt da: Es waren die bislang letzten Olympischen Spiele, die von einem groß angelegten Boykott überschattet wurden.

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Auch die Diskussionen um den möglichen, wenn auch letztlich nicht erfolgten Boykott der Fußball-WM 1978 in Argentinien entstand in einer politisch hochbrisanten Situation. 1976 hatte sich die argentinische Militärjunta unter General Jorge Rafael Videla blutig an die Macht geputscht und ließ Tausende Regime-Gegner foltern und ermorden. Für den konservativen Fifa-Präsidenten Joao Havelange zunächst kein Grund zur Sorge. "Jetzt ist Argentinien in der Lage, die Weltmeisterschaft auszurichten", freute sich Havelange.

Die WM verlief jedoch anders. Mit dem Niederländer Johan Cruyff war ein stilprägender Akteur dieser Zeit nicht angereist - offiziell aus privaten Gründen. Erst 15 Jahre später berichtete Cruyff, ihm sei bei einem Einbruch in sein Haus in Barcelona eine Pistole an den Kopf gehalten worden. Die Niederlande hatten zuvor ernsthaft über einen WM-Boykott nachgedacht, auch Cruyff hatte seiner Missgunst über die politischen Verhältnisse in Argentinien Ausdruck verliehen.

Die Niederlande traten ohne ihn an und schafften es tatsächlich ins Endspiel - gegen Argentinien. Die Südamerikaner waren zwar zuvor auf seltsame Weise ins Finale gelangt, Jahre später berichteten Spieler von Zwischenrundengegner Peru, sie seien bestochen worden. Von der Militärjunta, die sich im Gegenzug um die "Beseitigung" peruanischer Dissidenten kümmern wollte. Argentinien gewann die Partie 6:0, zog ins Finale ein und schlug dort ausgerechnet Holland. Die Fifa wollte von all den Zwischentönen nichts wissen. "Die Welt hat das wahre Gesicht von Argentinien gesehen", schwärmte Havelange. Und traf sich mit den Vertretern des Regimes zum Bankett.

Das wahre Gesicht? Einige sahen dies anders, nicht zuletzt die argentinischen Nationalspieler. Sie blieben der Siegerehrung fern, Nationalcoach César Luis Menotti sorgte gar für einen Eklat. Der verweigerte Junta-Chef Videla demonstrativ den Handschlag, sagte später: "Meine Spieler haben die Diktatur der Taktik und den Terror der Systeme besiegt." Erst fünf Jahre später war das Regime am Ende.

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