Enrico Kliesch sieht auf dem Foto wie ein Sieger aus, er ballt die rechte Hand zur Faust, um seinen Hals hängt eine goldene Medaille. Der Weltergewichtsboxer guckt jedoch ziemlich streng, was an allen möglichen Umständen liegen könnte, unter anderem daran, dass er gerade erst einen Boxkampf hinter sich gebracht hat. Sein von allen Emotionen freies Gesicht passt jedoch zu der Gesamtlage, in der Kliesch vor Kurzem in Eindhoven in den Ring gestiegen ist. Es sind gerade ernste Tage für alle deutschen Boxer.
Der "Eindhoven Box Cup" hat in der Geschichte des olympischen Boxens bisher allenfalls Platz in den Ergebnislisten gefunden, obwohl er das größte niederländische Turnier ist. Vom Pfingstwochenende lassen sich bislang nicht einmal Ergebnislisten finden, nur die Siegerfotos - und doch war es ein historisches Turnier, zumindest für die Athleten des Deutschen Boxsport-Verbandes (DBV). Es war das erste Turnier, nachdem der Verband von der International Boxing Association (IBA) suspendiert worden war.
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Warum ein Boxer einer suspendierten Nation an einem Turnier teilnehmen und dieses sogar gewinnen darf, nur eben nicht mit dem Logo seines Verbandes auf der Brust, das führt direkt hinein in das oft undurchsichtige Vorgehen des Weltverbandes.
Seit Jahren erfüllt die IBA alle Klischees, die mit dem Boxen verbunden werden: dubiose Machtstrukturen, fehlende finanzielle Transparenz. 2019 wurde der Verband vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) suspendiert, durfte nicht das olympische Boxturnier bei den Sommerspielen 2021 in Tokio organisieren. Dies übernahm eine Taskforce unter dem Vorsitz von Morinari Watanabe, dem Präsidenten des Internationalen Turnverbandes. Ähnlich dürfte es 2024 in Paris laufen. Für die Sommerspiele 2028 in Los Angeles wurde das Boxturnier sogar gestrichen.
Ende Juni tagt das Exekutivkomitee des IOC in Lausanne, dann soll eine Empfehlung formuliert werden, wie das IOC mit der IBA weiter verfahren will. "Was da rauskommt, das müssen wir sehr ernst nehmen", sagt Michael Müller, der Sportdirektor des DBV. "Die Geschichte zeigt, dass diese Empfehlungen genau so angenommen werden." Die endgültige Entscheidung wird im Oktober bei der IOC-Sitzung in Mumbai getroffen.
Ein neuer Weltverband soll all das bieten, was der IBA fehlt
Nun sind einige Nationalverbände nicht tatenlos geblieben angesichts all der Vorkommnisse rund um die IBA, und das führt in diesem komplizierten Verbandshickhack zurück dazu, warum der DBV vor eineinhalb Wochen suspendiert worden ist, genauso wie Schweden, die Niederlande und Neuseeland. (Die USA waren bereits Ende April aus der IBA ausgetreten.) Keiner der nun suspendierten Verbände, teilte die IBA mit, "lehnte seine Beteiligung an dem abtrünnigen Gremium entschieden ab".
Dieses Gremium, das die IBA so fürchtet, ist ein alternativer Weltverband, die World Boxing. Dieser soll die IBA ablösen, darüber zumindest denken die suspendierten Nationen nach, allen voran die USA, eine der wichtigsten Box-Nationen der Welt, die bei den Heimspielen in Los Angeles auf keinen Fall zusehen möchte. Die World Boxing ist angeblich bereits in der Schweiz registriert, alle nötigen Dokumente sollen eingereicht, allen 204 Nationalverbänden soll ein Aufnahmeformular geschickt worden sein. Bieten soll der Verband all das, was der IBA fehlt: demokratische Strukturen, eine transparente Finanzierung.
Der DBV ist bis jetzt nicht eingetreten, Sportdirektor Müller sitzt aber, wie es heißt, in beobachtender Funktion im erweiterten Vorstand. Offiziell möchte Müller nichts zu dem neuen Verband sagen, aus Rücksicht vor der IBA, nur so viel: "Wir sind den Athleten und Trainern verpflichtet, alle Möglichkeiten auszuloten, damit das olympische Boxen auch 2028 und 2032 im Programm bleibt."
Ohne Olympische Spiele, sagt er, würde den Sportlern "mit einem Schlag das höchste Ziel fehlen" - und dem Verband die finanzielle Grundlage. Der DBV wird vom Bundesinnenministerium und vom Deutschen Olympischen Sportbund gefördert, laut Müller mit knapp zwei Millionen Euro pro Jahr. Ohne olympischen Status würden diese Gelder über zwei, drei Jahre abgebaut werden, am Ende hätte der Verband noch eine Förderung von ungefähr einer halben Million Euro pro Jahr. Zu wenig.
Dass in diesem Streit der Verbände nun der DBV suspendiert worden ist, sagt Müller, liege jedoch an einem "Missverständnis". Die IBA hatte dem DBV an einem Sonntag im Mai eine Mail geschickt, mit der Bitte um eine Stellungnahme. Frist: drei Tage. Am Sonntag aber hatte die Geschäftsstelle geschlossen, niemand hatte die Mail gelesen. Und der DBV ist ehrenamtlich organisiert, so schnell konnten sie nicht antworten. "Wir haben aber einen konstruktiven Dialog angeboten", sagt Müller. Eine Antwort sei daraufhin nicht gekommen.