Manchmal reicht ein Wort, um ein ganzes Leben zu zerstören. Ein kleines, oft gesagtes, schnell wieder vergessenes Wort. Manchmal reicht ein: Nein.
Im Untergeschoss eines Münchner Hinterhofhauses weht ein warmer Sommerwind den Schweißgeruch davon. Retroposter kleben an den Wänden, Ledersandsäcke hängen von der Decke, dazwischen steht ein nicht mehr ganz junger Mann und lässt die Fäuste fliegen. Lautlos, schwerelos, mühelos. Die Schläge fließen ineinander über, als wären die Fäuste des Mannes eins mit dem Sommerwind. In einem Spiegel betrachtet der Mann sich selbst, die Kunst seines Seins, die Eleganz, die Leichtigkeit. Er sieht im Spiegel den Mann, der als Letzter den besten und reichsten und schönsten Boxer dieses Jahrtausends besiegt hat. Es hätte einer der größten Tage seiner Karriere werden können. Es wurde der Tag, an dem er sein Leben zerstörte.
Der beste und reichste und schönste Boxer dieses Jahrtausends, Floyd Mayweather Jr., kämpft an diesem Samstag, 21 Jahre später, in Las Vegas gegen Conor McGregor, der kein klassischer Boxer ist, der für dieses Duell aus dem Ultimate Fighting kommt. Für Mayweather ist es der 50. Profikampf, wahrscheinlich wird er ihn wie alle 49 zuvor gewinnen. Ganz sicher wird er seinen Ruf als bester Geschäftsmann des Sports bestätigen. 200 Millionen Dollar soll er verdienen, mindestens.
Drei Männer wollten ihn als Profi. Todorow lehnte ab.
Fünf Tage vor dem Kampf in Las Vegas lässt Serafim Todorow, der Mann, der als Letzter gegen Mayweather gewonnen hat, im Münchner Boxwerk seine Fäuste eins werden mit dem Wind. 48 Jahre ist Todorow inzwischen alt, seine Haare werden weniger, er hat ein Bäuchlein, aber wenn er seine Fäuste fliegen lässt, bewegt er sich weiterhin wie der junge, talentierte, begehrte Boxer, der er einmal war.
Das Boxen zieht seinen Reiz daraus, dass auch ein Verlierer schnell zum Gewinner werden kann, durch einen Abend, durch eine Minute, vielleicht sogar allein durch einen Schlag. Es ist aber auch ein Sport, in dem der Gewinner schnell zum Verlierer werden kann. Davon handelt die Geschichte von Serafim Todorow.
Sommer 1996, die Olympischen Spiele in Atlanta. Der Bulgare Todorow reist als Favorit im Federgewicht an. Er, der mit dem Boxen angefangen hatte, um der Armut seiner Kindheit zu entkommen, hat sich einen Namen als einer der hoffnungsvollsten Boxer des Planeten gemacht. "Es gab keinen Weißen, der ein größerer Künstler war als ich", sagt Todorow in München.
Dreimal hatte er bei einer WM gewonnen, dreimal bei einer EM, "ich hatte niemand gesehen, der mich in Atlanta hätte schlagen können". Einmal war er zum besten Techniker der Welt gewählt worden, über alle Gewichtsklassen hinweg. "Ich hatte sehr gute Reflexe, eine unglaubliche Linke, ich war wie eine Katze beim Jagen", erinnert sich Todorow. Die Olympischen Spiele, da war er sich sicher, würden der Höhepunkt seiner Karriere als Amateurboxer werden. So sicher war er sich, dass er in den Wochen davor auch immer mal wieder ein paar Bierchen trank. Das Leben war gut zu ihm, was hatte er zu befürchten?
In Atlanta besiegte er die ersten drei Gegner mühelos. Im Halbfinale wartete Mayweather, damals 19 Jahre alt, es war das erste große Turnier des Amerikaners. Todorow sah ihn erstmals im Viertelfinale, er sah "keinen überdurchschnittlichen Boxer". Das Finale, dachte er, sei ihm sicher.
Doch der junge Amerikaner überraschte ihn in den ersten Runden, er schlug schnell, und er traf. Todorow antworte mit harten Einzelschlägen. In der letzten Runde ging er mit zwei Körpertreffern in Führung, ein weiterer Haken zur Leber, ein Treffer am Kopf. Nach dem letzten Gong griff der Ringrichter sich die Hände der beiden Boxer, er hob den Arm des Siegers. Den von Mayweather. Todorow schlurfte in seine Ecke, voller Wut, er dachte an einen Betrug. Sekunden später kam der Ringrichter zu ihm, hob seinen Arm. Ein Versehen. Todorow hatte das Finale erreicht. In den USA behaupten manche, dieses Urteil sei der eigentliche Betrug gewesen. Todorow sagt: "Unsinn."
Es war ein Kampf, den Todorow längst vergessen hätte. Hätte sich nicht anschließend diese eine Szene abgespielt, über die er seitdem so oft nachgedacht hat.
Die beiden Boxer warteten gemeinsam in einem Raum auf die Dopingkontrolle, als drei Männer hereinkamen. Sie gingen zu Todorow, einer sprach ihn auf Bulgarisch an. Seine beiden Begleiter, sagte er, seien zwei der wichtigsten Boxpromoter der USA, sie würden ihn gerne als Profi nach Amerika holen. Todorow hörte von einem fetten Bonus bei der Unterschrift, von einem Auto, von einem Haus. Er und seine Familie müssten nie wieder arm sein.
Todorow sagte: Nein.
Die Männer standen auf, gingen zu Mayweather, sie boten ihm das, was sie auch Todorow geboten hatten.
Mayweather sagte: Ja.
In München, 21 Jahre nach seinem Nein, schweigt Todorow. Dann sagt er mit weicher, leiser Stimme: "Ich wollte unbedingt Profi werden. Ich bin mir sicher, dass ich ein weißer Muhammad Ali geworden wäre. Aber ich wollte zurück nach Bulgarien. Mir waren die Menschen wichtiger als das Geld. Vielleicht war es unüberlegt, ja. Aber ich war überzeugt, dass ich so ein Angebot in meiner Heimat bekommen würde. Und ich wollte mich auf das Finale konzentrieren. Die Goldmedaille, darum ging es mir."
Im olympischen Finale traf er auf den Thailänder Somluck Kamsing, gegen den er schon einmal gewonnen hatte. Am Finaltag kam ein Kampfrichter in seine Kabine, ein Thailänder. Sein Gegner, soll dieser gesagt haben, gehe leicht k. o., er müsse aufpassen. Danach habe der Bulgare gewusst, dass er chancenlos sei. Er, Todorow, sei ein filigraner Boxer gewesen, keiner, der andere umhaut. Die Geschichte hat Todorow früher anders erzählt, damals war der Kampfrichter ein Bulgare, der gesagt hatte, dass er nur durch einen Knock-out gewinnen könne. Aber die Details der Geschichte sind vielleicht auch nicht mehr so wichtig, 21 Jahre später. Für Todorow war es der Tag, an dem das Leben aufgehört hatte, gut zu ihm zu sein. Darum geht es ihm. Er sagt: "Ich bin beschissen worden."
Er erinnert sich, dass er zu flink gewesen sei für Kamsing, dass er ihn oft getroffen habe. Ausgeknockt hatte er ihn nicht. Die Punktrichter werteten 8:5 für Kamsing. "Ich war verzweifelt", sagt Todorow. Er fing sofort nach dem Finale an zu saufen, drei Tage lang hörte er nicht auf, besoffen stieg er in den Flieger nach Bulgarien. "Ich dachte, sobald ich gelandet bin, wird mein Leben wieder das alte sein", sagt er. "Es wurde die Hölle."
Mayweather definiert sich über seinen Reichtum. Todorow lebt von ein paar Hundert Euro
Der bulgarische Verband, behauptet Todorow, habe finanzielle Zusagen nicht eingehalten, überhaupt habe er sich gegen ihn gewendet. Mit einer Silbermedaille, sagt er, sei er als Versager behandelt worden. 1997 wollte er daher für die Türkei boxen, das Land seines Vaters. Dort versprach ihm der Verband für den WM-Titel eine Million Euro, ein privater Sponsor habe weitere 1,5 Millionen angeboten, eigentlich war alles geklärt. Dann verlangte der bulgarische Verband eine Ablöse, 300 000 Euro. Die Türkei zog ihr Angebot zurück. Wieder war Todorow verzweifelt. Wieder flüchtete er sich in den Alkohol, es wurde eine jahrelange Flucht.
Bulgarien war Ende der Neunzigerjahre kein reiches Land, niemand wollte Todorow eine Karriere als Profiboxer bezahlen. Nicht ihm, den der Verband wie einen Versager behandelte. Todorow wechselte dennoch zu den Profis, aber er nahm es nicht ernst. Er war faul, trank weiterhin viel zu viel, es ging ja nur um ein paar Hundert Euro. Er wurde kein weißer Muhammad Ali. Nach sechs Kämpfen reichte es ihm.
Todorow erwartete nicht mehr viel vom Leben. "Ich wurde depressiv", er betäubte sich, mit Alkohol, mit Heroin. Freunde, die er einst finanziell unterstützt hatte, gaben ihm Geld, er hatte Gelegenheitsjobs. In einer Wurstfabrik, als Fahrer. Irgendwann erhielt er eine Sportlerrente, 400 Euro im Monat. Manchmal bekam er Angebote von Straßengangs. Er sagte: Nein.
Dass er der Letzte war, der Mayweather besiegte hatte, hörte er erstmals 2007. Damals boxte der Amerikaner gegen Oscar De La Hoya, er gewann. Und er verdiente dabei eine Summe, die für Todorow unvorstellbar war: 25 Millionen Dollar. Ob er neidisch sei auf das Leben des Mannes, den er besiegt hat? Todorow schüttelt den Kopf.
Natürlich, hätte er mehr Geld gehabt, hätte er ein leichteres Leben geführt. "Aber meine Ehre und mein Stolz waren mir immer wichtiger. Hätte ich so viel Geld gehabt, hätte ich vielleicht andere Probleme." Er kennt jetzt ja das Leben von Mayweather. Dass dieser mit seinem Reichtum angibt, dass er sich über diesen definiert. Dass er gehasst wird. Dass er im Gefängnis saß, weil er seine Freundin geschlagen haben soll. "Ich hatte nicht viel", sagt Todorow, "aber ich habe immer versucht, ein Guter zu sein." Werte sind der einzige Luxus, den er sich leisten kann.
Vor wenigen Monaten ist Todorow mit seiner Familie nach München gezogen. Früher hatte er ein paarmal in der Bundesliga geboxt, er hatte das Land in Erinnerung als eines, in dem es den Menschen gutgeht. Seine Frau arbeitet jetzt in einem Supermarkt, seine Tochter als Friseurin, sein Sohn bei der Post. Er hat eine Wohnung. Todorow selbst trainiert einen Boxer, mit ihm gründete er eine Promotionfirma. Er will auch andere Athleten betreuen. Er sagt: "Ich bin ein Kämpfer geblieben." An dem Sommerabend in München ist er fröhlich, er kichert oft. Er darf im Leben eine weitere Runde kämpfen, obwohl er schon so oft kurz davor war, ganz aufzugeben.
Zwischen den Ledersandsäcken hört Todorow auf, seine Fäuste fliegen zu lassen. Seine dünnen Arme hängen am Körper herab, über den Fäusten die dicken Boxhandschuhe, die ihm einmal ein besseres Leben versprochen hatten. Es sieht so aus, als ob sie ihn zu Boden ziehen würden.