Die letzten drei Verbliebenen, die schon vorher gewusst hatten, wie man sich im Trikot von Borussia Mönchengladbach als Tabellenführer der Bundesliga fühlt, heißen Oscar Wendt, Tony Jantschke und Patrick Herrmann. Sie waren schon dabei, als Gladbach am dritten Spieltag der Saison 2011/12 die Tabellenspitze innehatte, für eine Woche. Es war womöglich auch diese lange unerfüllte Sehnsucht, die den mittlerweile 28 Jahre alten Herrmann am Sonntag anspornte, seine Gladbacher mit zwei frühen Toren auf den Weg zum 5:1 (4:0) gegen den FC Augsburg zu bringen - und damit nach acht Jahren erstmals wieder an die Tabellenspitze.
Herrmann ist oft nur noch Ergänzungsspieler bei der Borussia, aber nachdem er am Donnerstag als Joker in der Nachspielzeit den Ausgleich zum 1:1 in der Europa League bei Basaksehir Istanbul geschossen hatte, durfte er wieder mal von Beginn an mitspielen. Herrmann wertete den Auftritt der gesamten Mannschaft als wegweisend. Man habe diesmal "viel umgesetzt von dem Fußball, den wir spielen wollen".
Remis gegen Köln:Schalke verschiebt die Nachricht des Tages
Für etwas mehr als eine Viertelstunde ist Schalke 04 Tabellenführer - doch das 1:1 gegen Köln zeigt auch, dass es für die Königsblauen vielleicht besser ist, langsam zu wachsen.
Bereits in der zweiten Minute setzte sich der französische Zugang Marcus Thuram links durch und legte Denis Zakaria den Ball zur 1:0-Führung auf. Sechs Minuten später machte es ihm Alassane Plea in gleicher Weise nach und legte Herrmann zum 2:0 auf. Zur Abwechslung schoss Herrmann auf Vorlage von Plea in der 13. Minute das 3:0 über die rechte Seite. Das Tor zum 4:0-Halbzeitstand bekam Plea in der 39. Minute geschenkt, weil Augsburgs Torwart Tomas Koubek über einen Rückpass von Felix Uduokhai trat, und der lauernde Plea nur noch einzuschieben brauchte.
Damals, im August 2011, hieß Gladbachs Trainer Lucien Favre, der Torwart war Marc-André ter Stegen und der Spielmacher Marco Reus. Die drei haben zwischenzeitlich bei größeren Klubs umfangreiche Erfahrungen als Tabellenführer gemacht, die Gladbacher aber entbehrten jahrelang dieses wohlige Gipfelglück. Den Innenverteidiger Jantschke verführte dies am Sonntag allerdings nicht zur Euphorie. "Es ist ein guter Tag, weil wir unsere Fans in den Heimspielen zuletzt nicht allzu sehr verwöhnt hatten", sagte er, "aber mir bedeutet eine Tabellenführung am siebten Spieltag nicht allzu viel. Wir wissen, dass wir noch viel zu arbeiten haben."
Zumal der Klub den Sprung an die Tabellenspitze möglicherweise teuer bezahlt. In Stefan Lainer, Matthias Ginter und Alassane Pléa verletzten sich drei Stammspieler, "das ist das, was richtig wehtut", klagte Trainer Marco Rose. Nationalspieler Ginter verletzte sich an der Schulter und sagte dem Bundestrainer Löw für die anstehenden Länderspiele ab. Der Österreicher Lainer erlitt eine Außenbandverletzung im linken Sprunggelenk und fehlt seinem Nationalteam ebenfalls. Pléa hatte schon in Istanbul einen Schlag abbekommen
"So darf man sich nicht präsentieren": Beim FCA will Schmidt jetzt alles hinterfragen
Tatsächlich mutet Gladbachs Spitzenposition ein bisschen kurios an, denn in der ersten Saison unter Trainer Rose läuft längst nicht alles glatt. Beim 1:3 gegen RB Leipzig, beim 0:4 gegen den Wolfsberger AC aus Österreich und am Donnerstag beim 1:1 in Istanbul erweckten die Gladbacher stets den Eindruck, als täten sie sich mit Roses auf Sprints, Balleroberungen und schnelle Konter abzielenden Fußball immer mal wieder schwer. Die Augsburger machten es den Borussen aber leicht mit ihrem an zögerlichem Pressing und mangelnder Physis krankenden Auftritt. Die zweite Halbzeit verlief dann ausgeglichener und unspektakulärer, weil die Gladbacher bereits mit dem Ausruhen anfingen. Neun Minuten vor Schluss gestatteten sie Augsburgs Florian Niederlechner den Ehrentreffer, doch zwei Minuten später stellte Breel Embolo auf Herrmann-Vorlage mit dem 5:1 den alten Vorsprung wieder her.
Augsburgs Trainer Martin Schmidt wirkte nachher bedrückt: "So wie in der ersten Halbzeit darf man sich nicht präsentieren - ich musste in der Pause nicht mal laut werden." Er versprach, alles zu hinterfragen. Und während er klagte, dieses Spiel bedeute ein oder zwei Schritte zurück, nahm Gladbachs Rose die Metapher auf und sagte, seine Mannschaft habe mit diesem Spiel "ein, zwei Schritte nach vorne gemacht". Auch den Trainer riss die Tabellenführung nicht vom Stuhl, er erinnerte explizit, mit welch skeptischen Fragen er gerade mal vier Tage zuvor nach dem 1:1 in Istanbul konfrontiert worden sei: "Man muss die Dinge immer sachlich einordnen, heute hatten wir in unserem Entwicklungsprozess einen guten Tag." Vom Abwehrspieler Jantschke hätten die Journalisten nachher gerne noch erfahren, wie schön 2011 die Tabellenführung gewesen war und wie entbehrungsreich die acht Jahre dazwischen, aber er behauptete glatt, sich nicht mal daran erinnern zu können.