Borussia Dortmund:Witsel ist einer wie Matthias Sammer

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Bei der WM schon mal in Schwarz-Gelb zu sehen: der belgische BVB-Kandidat Axel Witsel (l.) im Zweikampf mit Englands Torjäger Harry Kane. (Foto: Natacha Pisarenko/AP)
  • Borussia Dortmund verpflichtet den Belgier Axel Witsel für 20 Millionen Euro.
  • Seit Januar holte der BVB damit vier Spieler für die zentralen Positionen in der Defensive. Selten dürfte ein Klub so radikal seine Schwäche bekämpft haben.
  • Das Ruhrgebiet hatte tatsächlich so etwas wie einen Standortvorteil.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Als Axel Witsel 2009 Standard Lüttich fluchtartig verließ, stand er schon eine Weile unter Polizeischutz. Sein brutales Foul, mit dem er Marcin Wasilewski vom RSC Anderlecht krankenhausreif getreten hatte, beantworteten Fans des Rivalen mit Morddrohungen gegen Witsel. Die belgische Presse schrieb von einem "Anschlag" des damals 20-Jährigen, der Verband sperrte ihn für zehn Spiele. Seit diesem Tag im September verlief die Karriere des Fußballers Witsel ziemlich ungewöhnlich. Am Montag, auf dem Weg ins Trainingslager von Borussia Dortmund in Bad Ragaz in der Schweiz, war es ein bisschen wie eine Rückkehr aus dem Exil. Oder aus dem goldenen Käfig.

Witsel mag kein de Bruyne, kein Ronaldo, kein Neymar sein, trotzdem könnte Borussia Dortmund ein Transfer-Coup gelungen sein mit dem 29-Jährigen, der einen Vierjahresvertrag unterschrieben hat. Als der Belgier am Montag auf dem Flughafen Altenrhein/St. Gallen landete, wurde das zu einer seltsamen Gewissheit. Seit Monaten hatten Dortmunds Manager Michael Zorc und Hans-Joachim Watzke um Witsel gebuhlt, nachdem vor drei Jahren ein erster Anlauf gescheitert war, den inzwischen 96-maligen Nationalspieler zum BVB zu holen. Jetzt klappte es, ausgerechnet nach Witsels bisher größtem Erfolg als Fußballer, mit dem dritten Platz der WM in Russland. Aber die Ungewissheit steckte den Dortmunder Bossen trotzdem lange in den Gliedern: Wird ein Spieler, der bisher alle seine Karriere-Entscheidungen nach der Höhe des Gehalts zu treffen schien, tatsächlich diesmal auf eine Menge Geld verzichten und in Dortmund anheuern?

Es kommt immer auf die Philosophie eines Trainers an, ob er seinen zentral defensiven Mann, seinen Spielmacher oder seinen Mittelstürmer für die wichtigste Figur hält. Von Dortmunds neuem Coach Lucien Favre ist bekannt, dass er auf defensive Stabilität noch mehr Wert legt als auf offensiven Glamour. Und beim BVB denken sie spätestens seit der vergangenen, verunglückten Saison unter Peter Bosz und Peter Stöger ähnlich.

Von den Dortmundern wird mehr Mumm erwartet

Schon nach der Trennung von Bosz stand in Dortmund fest, dass die jahrelange Strategie ausgedient hatte, allein mit ballistischen Feinmotorikern den eigenen Stil prägen zu wollen. Die Parole heißt derzeit deshalb: Physische Präsenz geht über Tiki-taka. Und Physis hat der 1,88 Meter große Witsel reichlich zu bieten. Sein Foul von damals hat er lange hinter sich gelassen, aber er gilt noch immer, und nicht erst seit der WM, als wuchtiger Balleroberer, der zugleich einen feinen Fuß hat, als Spielaufbauer, der zugleich jeden Zweikampf sucht, der sich in erreichbarer Entfernung anbietet. Matthias Sammer, seit ein paar Monaten Berater der Dortmunder Chefs, soll sich besonders für Witsel stark gemacht haben. Als Spieler war Matthias Sammer ein ähnlicher Typ.

Der andere körperbetonte Mittelfeldspieler, den der BVB für den geplanten Stilumbruch aus Bremen geholt hat, ist Thomas Delaney. Man darf vermuten, dass Witsel als etwas defensiverer Sechser agieren wird, während der Däne Delaney als Pendler zwischen den Strafräumen (neudeutsch als "Box-to-box"-Spieler) Bälle jagen und schleppen soll. Etwa so, wie das der frühere Kapitän Sebastian Kehl beim BVB jahrelang tat. Kehl ist seit einigen Wochen Leiter der Lizenzspieler-Gruppe.

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Diese Anreicherung mit kämpferischem Mumm, mit sogenannter "Mentalität", wird auch von anderen neuen Spielern erwartet. Etwa von den Verteidigern, dem aus Mainz geholten Franzosen Abdou Diallo und dem Schweizer Manuel Akanji. Ebenso von dem aus Frankfurt gekommenen Marius Wolf oder dem von Real Madrid ausgeliehenen Achraf Hakimi.

Selten dürfte ein Klub so radikal seine Defensivschwäche bekämpft haben

Witsel aber bringt den angestrebten Wandel am deutlichsten auf den Punkt. Die 20 Millionen Euro an Ablösesumme, die sein chinesischer Klub Tianjin vor eineinhalb Jahren auch an Zenit St. Petersburg für den Belgier überwiesen hatte und die sich Witsel in seinen Vertrag als Ausstiegsklausel hatte schreiben lassen, wirken für einen Spieler seiner Qualität fast preiswert. Für den Dänen Delaney kassierte Werder Bremen 20 Millionen aus Dortmund, Diallo kostete 28, Akanji 20. Selten dürfte ein Klub so radikal seine Defensivschwäche bekämpft haben.

Nach seinem üblen Foul 2009 war Witsel für ein Jahr zu Benfica Lissabon gewechselt. Dann ging er, trotz einer Offerte von Real Madrid, lieber zu Zenit St. Petersburg, für angeblich 7,5 Millionen Euro Netto-Jahresgehalt. Viereinhalb Jahre später ließ er Angebote von Juventus Turin und Manchester United verstreichen und zog nach China, für nunmehr 17 Millionen Euro Jahresgehalt. In beiden Ländern musste sich Witsel häufig Schmähungen von Fans anhören - wegen seiner dunklen Hautfarbe. Seine Mutter ist weiße Belgierin, sein Vater dunkelhäutiger Franzose aus Martinique. In Dortmund soll Witsels Grundgehalt bei 7,5 Millionen liegen, mit der Option, mit Prämien auf an die neun Millionen zu kommen. Brutto, wie in Deutschland üblich. Aber irgendwie hat der Mann ja schon in jungen Jahren vorgesorgt.

Dass Witsel sich für Dortmund entschied, soll auch an der Beharrlichkeit des BVB gelegen haben, aber wohl noch mehr daran, dass die Witsels zwei kleine Kinder haben - und Witsels Frau Rafaella nicht mehr in bewachten Wohnquartieren in Russland und China leben wollte, sondern wieder in der Nähe der Heimat. Lüttich liegt nur zwei Autostunden von Dortmund. Das Ruhrgebiet hatte tatsächlich so etwas wie einen Standortvorteil.

© SZ vom 07.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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