Borussia Dortmund:Tuchel macht jetzt auf Genießer

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  • Vor dem Spiel gegen Real Madrid haben sich in Dortmund wieder alle lieb.
  • Sogar der zuletzt so wütende BVB-Trainer Tuchel verteilt Liebesbotschaften an seine Spieler.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Nach der Pressekonferenz ging der Scherz um, man dürfe sich nun an Grimms Märchen erinnert fühlen. Der böse Wolf habe verkleidet im Federbett von Rotkäppchens Großmutter gelegen - und mit kreidehoher Stimme Antworten gegeben auf Fragen wie: "Großmutter, warum hast du so große Ohren?" In Wirklichkeit aber durfte man Thomas Tuchel nach dem 4:1 gegen Borussia Mönchengladbach natürlich nicht mit dem großen, bösen Wolf aus dem Märchen vergleichen. Letzte Woche, nach der Pleite in Frankfurt, hätte er seine Spieler verbal am liebsten aufgefressen. Dieses Mal nahm man Borussia Dortmunds spektakulär ehrgeizigem Trainer so etwas wie Läuterung ab.

Während seiner Mannschaft gegen die ergebniskriselnden Gladbacher eine streckenweise beeindruckende Wiedergutmachung gelang, war Tuchel bemüht, seine Frust-Rede vom vergangenen Spieltag zu relativieren. Nach dem 1:2 in Frankfurt hatte er seiner Mannschaft attestiert, ein einziges "Defizit" gewesen zu sein; nach nicht einmal einer halben Stunde hatte Tuchel dort gleich drei Feldspieler gewechselt. Tuchels Kahlschlag hatte manche in Dortmunder offenbar irritiert. Tuchels Vorgesetzte, Klubchef Hans-Joachim Watzke und Sportdirektor Michael Zorc, ließen ihn vier Tage lang mit dem heftigen medialen Echo allein. Die Kritik an seiner Kritik könnte am Ende bei Tuchel vielleicht genauso viel bewirkt haben wie umgekehrt seine Wutrede bei seiner Mannschaft.

Marco Reus, der sich nun auch in der Bundesliga mit einer sehr guten Vorstellung aus seiner halbjährigen Verletzungspause zurückmeldete und drei der vier Treffer vorbereitete, antwortete auf die Frage, was Tuchels Frankfurter Ausbruch bewirkt habe, knapp: "Gar nichts." Es sei "das Recht des Trainers zu kritisieren", man wisse als Spieler außerdem "selbst am besten, was wir falsch machen". Gegen Gladbach gerieten Reus und seine Kollegen zwar durch eine missglückte Abwehr von Marc Bartra auf Gladbachs Raffael schnell in Rückstand, glichen aber im nächsten Angriff aus, als Reus den Ball für Pierre-Emerick Aubameyang auflegte.

Tuchel ließ seinen beachtlichen Charme spielen

Danach brachte es der BVB auf 15:3-Torschüsse. Aubameyang traf ein weiteres Mal, zum 15. Mal in dieser Saison, nach Hackenvorlage von Reus; Lukasz Piszczek und der ebenfalls herausragende Ousmane Dembélé besorgten den Rest.

Thomas Tuchel hatte schon vor dem Spiel erklärt, wie sehr er seine Mannschaft "möge". Es sei "ein Genuss, diese Mannschaft, in diesen gelben Trikots, in diesem Stadion zu coachen". So viel Schwelgen über seinen Klub hat man von Tuchel selten gehört. "Geduld gehört nicht zu meinen stärksten Eigenschaften", räumte er nun auch ein. Dieses Mal, kein Wunder nach dem beinahe makellosen 4:1, hatte er eine "komplette Leistung in allen Bereichen" gesehen. Thomas Tuchel ließ seinen durchaus beachtlichen Charme spielen, als er schmunzelnd anmerkte: "Wir wissen ja nicht, ob wir so gut trainiert und gespielt haben, obwohl ich das gesagt habe - oder weil ich das gesagt habe."

Taktisch hatte Tuchel zwar erneut umgestellt, auf Mario Götze und André Schürrle verzichtete er und ließ stattdessen mit drei Innenverteidigern und erstmals nach längerer Pause mit zwei Sechsern spielen. Ob er damit auf interne Kritik reagierte? Er nominierte sogar erstmals in dieser Saison Publikumsliebling Nuri Sahin, der vorher bei ihm kaum eine Chance zu haben schien. Der spielte bis zu einer Knieprellung überzeugend, ging aber nach 38 Minuten angeschlagen vom Platz.

Sahin fällt zwei Wochen aus und bekam ein warmherziges Lob von seinem Trainer: "Nuri hat in den letzten drei Wochen seine Ausstrahlung noch mal verbessert, trotz der harten Entscheidungen auch gegen ihn. Jetzt ist er stärker als zuvor." So ist das Dortmunder Umfeld halt: Solch menschelnde Kommentare wünscht es sich nun einmal von jedem seiner Trainer.

Den seit acht Spielen sieglosen Gladbachern, die am Dienstag in der Champions League beim FC Barcelona antreten, fehlte es in der Offensive an Durchschlagskraft. Vieles wirkte im Prinzip richtig, aber vor allem die miserable Auswärtsbilanz bringt immer wieder Kritik an Trainer André Schubert auf. Allmählich trudelt Gladbach in der Liga Richtung Abstiegszone. Lars Stindl fand: "Es sind immer nur Kleinigkeiten, an denen müssen wir arbeiten." Den 8000 mitgereisten Fans waren diese Haarspaltereien offenbar egal.

In beeindruckender Weise feierten sie trotz der Niederlage minutenlang die "Elf vom Niederrhein" ab. Weltmeister Christoph Kramer gingen die Ovationen sichtlich nah: "Für solche Szenen spiele ich Fußball", sagte er. "Das war unglaubliche Empathie. Sie tragen den Verein im Herzen." So nahmen wohl beide Lager an diesem Tag die frohe Botschaft mit, dass Zusammenhalt im Fußball manchmal wichtiger ist als jede Ergebnis-Arithmetik.

© SZ vom 05.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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