DFB-Pokal:Fühlt sich an wie echt

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In der Zeit der Entfremdung zwischen dem Fußball und seinen Ursprüngen muss der BVB den Pokalsieg ohne Fans feiern - und liefert trotzdem große Gefühle. Doch für die ganz große Party bleibt keine Zeit.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Die Abflugzeit am Berliner Flughafen unterschied sich nicht groß von früheren Jahren. Am frühen Nachmittag ging der Flieger, am Tag nach dem Pokalsieg. Nur sonst war alles anders. Keine Zuschauer, kein Auto-Corso, keine Konfetti-Parade, kein Saisonende, kein Heimflug nach Dortmund. Und vor allem: keine große Fete für all die wichtigen Sponsoren und Möchtegerns, wie sie der BVB sonst nach Finals aufstellt, egal, ob gewonnen oder verloren. Und trotzdem, oder gerade deshalb, schien es ein Abend der puren, überwältigenden Fußball-Gefühle zu sein, mit Tränen, mit einem Lukasz Piszczek, von den Kameraden durch die Lüfte geworfen, mit Tänzen auf dem Tisch, Bierduschen und hemmungsloser Albernheit in der Kabine.

Das 4:1 gegen RB Leipzig, mit zwei Toren von Erling Haaland, zwei von Jadon Sancho und einer grandiosen Leistung des Erz-Dortmunders Marco Reus, war nur ein blankes Ergebnis einer Fußball-Saison, die - wegen Corona - als die Zeit ohne Zuschauer in die Geschichte eingeht, ohne Fans, ohne Eintrittsgelder, ohne Begeisterung der Massen. Als die Zeit der Entfremdung zwischen dem Fußball und seinen Ursprüngen. Aber an diesem Abend erschien plötzlich alles ganz anders, prall gefüllt mit den Emotionen eines immer etwas altmodischen Vereins, über den Mats Hummels schon etwas länger sagt: "Ein Titel mit Dortmund ist wie fünf mit dem FC Bayern."

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Gegen halb vier Uhr morgens waren die letzten aber schon ins Bett verschwunden. Eigentlich die Zeit, zu der sich Dortmunds frühere Pokalsieger-Mannschaften allmählich aus der großen Feier wegstahlen, um es im Mannschaftskreis danach noch in einer Disko krachen zu lassen. Die paar wackelnden Bilder aus der BVB-Kabine aber zeigten, dass es vor allem bei den vielen jungen Spielern ein Weilchen hoch her ging. Jadon Sancho als Vorsänger auf dem Tisch - und jetzt alle: "Don't you worry about a thing, everything's gonna be alright", johlte der Chor die alte Kiffer-Hymne von Reggae-Legende Bob Marley. Mach dir keine Sorgen, über gar nichts, alles wird gut.

Ein Kuss für den Pokal: Marco Reus zeigte gegen Leipzig eine herausragende Leistung. Zwei Treffer bereitete er direkt vor. (Foto: Martin Rose/dpa)

Und auf den Handybildern sieht man dieselben ausgelassenen jungen Männer, die sich vorher an diesem nassen, regnerischen Pokalsieger-Abend geherzt und umarmt hatten, oder, schon wieder unter Anleitung von Jadon Sancho, in voller Mannschaftsstärke ihren Trainer mit Bier übergossen hatten, "Campeones, campeones" brüllend. Oder sich den Veteranen Lukasz Piszczek geschnappt hatten und ihn immer wieder in die Luft schleuderten, auf dem Trampolin der Emotionen. Dem 35-Jährigen, der seit 2010 für den BVB spielt und der schon 2012 und 2017 in Berlin gewonnen und ebenso oft hier auch verloren hatte, waren mit dem Abpfiff die Tränen in die Augen geschossen. Weil das Leben als Fußballprofi im Sommer vorbei sein wird und für ihn nun noch mal "ein Traum" wahr geworden war. Nochmal zurück in die erste Elf kämpfen, "und noch ein letztes Mal einen Titel gewinnen". Für die Siegerehrung hatte Piszczek sich auch noch ein Trikot des lange verletzten Marcel Schmelzer übergezogen. Um für noch mehr Rührseligkeit zu sorgen.

"Er hat eine halb tote Mannschaft wieder zum Leben erweckt", sagt Geschäftsführer Watzke über Terzic: "Und wie."

Und so konnte man bei dieser Mannschaft auf einmal das Gefühl haben, dass Fußball selbst für den millionenschweren Fußballer manchmal noch das ist, was es für jeden Jugendkicker ist, der mit großen Hoffnungen, ohne Geld, ohne Zuschauer einfach nur spielen und besser sein will als der Gegner. Wer hätte da kein Verständnis für Piszczeks Tränen. Und auch für die, die sein gerade mal drei Jahre älterer Trainer Edin Terzic mühsam verdeckte. Über Piszczek, der erst seit vier Spielen wieder zu den ersten Elf gehört, schwärmte Terzic wie ein Fan: "Man kann gar nicht in Worte fassen, was Piszczu in den letzten Jahren für Borussia Dortmund bedeutet, welchen Anteil er hatte an all den Titeln." Und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, der sich vor Jahren als "Fußball-Romantiker" bezeichnet hatte, aber seither manchen Rückschlag in seiner naiven Liebe erleben musste, fasste es in einem Satz zusammen: "Piszczu ist mein persönlicher Held."

Und so ging das weiter: Erling Haaland, dem Wunderkind, dessen gewiefter Berater Mino Raiola seinen Klienten schon mal vorsorglich bei den noch zahlungskräftigeren Klubs wie bei einer Auktion anbietet, kam zu Piszczek vor die Fernseh-Kameras getrottet und sagte den Fernsehleuten: "Räumt ihm Zeit ein. Dieser Mann ist eine Legende." Vorher hatte Haaland nach seinem ersten Tor schon BVB-Kapitän Reus umarmt, und den Fernsehkameras überdeutlich gezeigt: Der hier war's, der legt einem die Bälle auf, der ist der eigentliche Star hier.

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Die Generation Selfie genügt vielleicht manchmal zu sehr sich selbst, aber Typen wie Sancho, 21, und Haaland, 20, die wohl nicht zu Unrecht bisweilen als kleine Ich-AGs eingestuft werden, sie wissen zugleich, wie man Kameras ohne Worte signalisiert, was man sagen will und was man fühlt. Die anderen, zum Teil noch jüngeren, schwammen mit diesen beiden hochbegabten Selbstdarstellern mit, ob Jude Bellingham, 17, Gio Reyna, 18, oder Mo Dahoud, 24. Und am Ende schien sich alles zu fokussieren auf den einen Mann, der diese Mannschaft so unaufdringlich und authentisch zum Erfolg gecoacht hat: Edin Terzic.

"Edin ist in der Kommunikation großartig, alles ist echt, was von ihm kommt."

"Vor nicht mal einem halben Jahr", sagte Watzke, "hat er eine halb tote Mannschaft übernommen, und er hat sie wieder zum Leben erweckt. Und wie." Und Lizenzspieler-Chef Sebastian Kehl sah sich auch ein wenig selbst bestätigt, weil gerade er sich für den Wechsel von Lucien Favre zum weithin unbekannten Co-Trainer Terzic ausgesprochen hatte: "Der Stimmungswechsel ist unglaublich, die Arbeit hat sich so geändert. Edin ist in der Kommunikation großartig, alles ist echt, was von ihm kommt. Und er weiß so was von genau, was er machen will."

Alle Stimmen, die man aus der Spieler-Gruppe, wie das heutzutage so gerne genannt wird, zu hören bekommt, signalisieren eines: Alle stehen auf Terzic, alle hören auf sein Kommando. Mag sein, dass auch andere Faktoren in den letzten fünf Monaten seit Amtsübernahme eine Rolle gespielt haben, aber Terzic hat in jedem Falle Jadon Sancho, Marco Reus und Mo Dahoud zu alten Leistungshöhen zurück geführt. Gerade Reus, dem er das Gefühl gegeben hat, tatsächlich sein Kapitän zu sein, revanchiert sich derzeit mit der Form seines Lebens. Selten sind Reus so spektakuläre Dribblings und so aggressive Balleroberungen gelungen. Mit der "grundlegenden Änderung des Spielsystems", die Terzic etabliert hat, war Reus schon von Anfang an besonders einverstanden.

Faust aufs Herz: Fünf Monate nach seinem Einstand als BVB-Cheftrainer gewinnt Edin Terzic mit der Borussia den DFB-Pokal. (Foto: Martin Rose/dpa)

Typisch Terzic aber auch, auf die Reporterfrage, ob er nicht jemanden herausheben wolle von seinen Pokalsiegern: "Da würde ich höchstens Roman Bürki herausheben. Den haben wir letzten Samstag ins eiskalte Wasser werfen müssen, er hatte keine leichte Zeit auf der Ersatzbank, und heute hat er überragend gespielt." So ist der Mann offenbar. Nicht ganz umsonst hatte Mats Hummels vor Wochen, als man den Jung-Trainer in Zweifel zu ziehen begann, unumstößlich behauptete: "Er hat noch eine ganz große Trainer-Karriere vor sich." Beider Boss Watzke ließ am Abend nach dem Spiel wissen, dass Terzic "wohlwissend um die Situation" seinen Vertrag beim BVB verlängert habe.

Die Saison ist für Dortmund aber längst nicht vorbei. Die beiden letzten Spiele, am Sonntagabend bei Mainz 05 und am letzten Spieltag dann zu Hause gegen Bayer Leverkusen, sind noch immer "K.-o.-Spiele" für den BVB. In der Bundesliga, die es ja auch noch gibt, hat sich die Mannschaft nach zuletzt fünf Siegen in Serie endlich wieder auf den vierten Platz gerobbt. Das, immerhin, ist als Zwischenziel geschafft. Zwei Siege, und man wäre dort uneinholbar - und die wahre Leistung von Mannschaft und Trainer hängt an der Qualifikation für die nächste Champions-League. Dass der BVB unter Terzic nun dreimal den aktuellen Zweiten RB Leipzig geschlagen hat und zweimal den Drittplatzierten VfL Wolfsburg, es nützt alles wenig. Die Champions League muss her.

Völlig ungewohnt reiste die Mannschaft deshalb nach dem Pokalsieg von Berlin aus direkt nach Frankfurt, um schon ins vor-desinfizierte und hermetisch abgeriegelte Hotel in Mainz zu reisen. Die Frage, ob es eine wirklich gute Idee ist, Terzic im Sommer dann durch Marco Rose ablösen zu lassen, dürfte weitere Fahrt aufnehmen, wenn der BVB auch das Saison-Muss der Champions-Qualifikation mit Terzic schafft. Der Turnaround wäre dann extrem markant. Nicht wenige finden in Dortmund allmählich, dass man den für Millionen Ablöse bei Mönchengladbach losgeeisten Rose ja einfach wieder aufs rotierende Trainer-Karussell zurück setzen könnte. Bisher nur ein gängiger Scherz in Dortmund. Aber nicht aus der Luft gegriffen.

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