Borussia Dortmund:Tack, Tack, Tack, Tabellenführer

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Beschwingt: BVB-Angreifer Paco Alcacer wurde eingewechselt und schoss zwei Tore. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Borussia Dortmund dreht einen 0:2-Rückstand gegen Bayer Leverkusen und gewinnt 4:2.
  • Sven Bender, einst Dortmunder, nun bei Bayer 04, hadert laut und deutlich mit seiner Mannschaft.
  • BVB-Trainer Lucien Favre ist dagegen sehr zufrieden. Vor allem seine Einwechslungen sorgen für Tempo.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

"Das werden wir innerhalb der Mannschaft besprechen", "das bleibt in der Kabine", "das werden wir intern analysieren" - Stereotypen wie diese gehören zum Standard-Repertoire der Fußballprofis im öffentlichen Gespräch, aber am Samstagabend war die Kabine noch einige Schritte entfernt, als Sven Bender ausgesprochen extern die Begegnung zwischen Bayer Leverkusen und Borussia Dortmund analysierte. So explizit wie Bender hat seit Jahren kein prominenter Bundesligaprofi mehr ein Spiel kommentiert, allerdings wurde er dabei so laut, dass die vielen Dutzend Zuhörer zunächst nur die Flüche verstanden, die seine Analyse einrahmten. Offenkundig vertrat Bender die Ansicht, seine Kollegen hätten während der zweiten Halbzeit auf der linken Leverkusener Seite den Dienst verweigert. "Links spielen wir nicht mehr mit", schrie er mindestens so kraftvoll wie Bayers Wappentier, der Löwe, wenn dieser in der Wildnis brüllt.

Das ist vermutlich nicht das, was Heiko Herrlich gemeint hatte, als er am Freitag erklärte, es müsse öfter mal krachen in seinem Team. Leidenschaft will der Trainer von seinen chronisch unter Lethargie-Verdacht stehenden Spielern ja nicht nur sehen, sondern auch hören, und tatsächlich wurde reichlich Leidenschaft geboten beim wilden, hochklassigen, sogar berauschenden 2:4 der Leverkusener gegen Borussia Dortmund - in Benders Fall vielleicht ein bisschen zu viel davon.

Mag sein, dass es sich bei diesem öffentlichen Wutausbruch um einen Verstoß gegen den Vertraulichkeits-Kodex handelte, es müssen jedoch mildernde Umstände gelten für den 28 Jahre alten Abwehrspieler, denn diese Niederlage war schwer zu verkraften für einen Sportler, der Fußball nicht nur des Geldverdienens wegen spielt. Bis zur 65. Minute führte Bayer mit 2:0 und hatte den Gegner dabei bis zum Rande seiner Verzweiflung beherrscht. Gegen das 0:3 leistete nur noch der grandiose Dortmunder Torwart Roman Bürki wirksam Widerstand, ein bisschen Glück kam auch noch dazu, als Kevin Vollands Schuss am Pfosten landete. Dass Bender später die mangelhafte Arbeit von Linksverteidiger Wendell und dessen Zuarbeitern Dominik Kohr und Leon Bailey geißelte, das entsprach dem Tatgeschehen, unterschlug aber den Beitrag der Dortmunder, die sich den Erfolg im letzten Drittel der Spielzeit auch verdienten. Es machte ihren Sieg noch größer, dass sie die Partie schon verloren zu haben schienen. Ja, sagte Dortmunds junger Flügelstürmer Jacob Bruun-Larsen, Leverkusens Dominanz habe dem Team hart zugesetzt, doch "wir haben gezeigt, dass wir einfach besser sind".

Vielleicht sollte man es lieber so sagen: Die Leverkusener waren in diesem Spitzenspiel voller Nervenkitzel nicht die schlechtere Elf als der BVB, aber der BVB hatte die effektivere Reserve zu bieten und die entscheidenden Momente auf seiner Seite. "Du machst ein Tor, und es wechselt alles", beschrieb es Lucien Favre. Jenes bahnbrechende Tor waren aber eigentlich zwei Tore, es fiel in zwei Etappen in der 65. wie in der 68. Minute. Die Kombination der Treffer von Bruun-Larsen und Marco Reus hatte auf die Leverkusener die Wirkung von Faustschlägen, die mitten im Gesicht landen. Auf einmal bemerkten sie, dass sie für ihren 2:0-Vorsprung sehr hart hatten arbeiten müssen, ihr Spieltrieb, ihre Leichtigkeit und ihre Bewegungsfreude erloschen schlagartig, "Nach dem 1:2 hatten wir Kacke in der Hose. Eine Mannschaft wie Frankfurt hätte letztes Jahr so ein Spiel nicht mehr verloren", zog Torwart Lukas Hradecky einen unschmeichelhaften Vergleich mit seinem vormaligen Team - womöglich muss Trainer Herrlich darauf achten, dass es seine Jungs in der Kabine nicht ganz so oft krachen lassen.

Aus der Nähe besehen, brachten die Einwechselspieler den Unterschied. Neueinkauf Paulinho und der an akutem Formverlust leidende Bailey sorgten bei Bayer 04 eher für Schwächung als für Verstärkung, Jadon Sancho und Paco Alcácer hingegen sorgten für die Dortmunder Tore, der eine als zweimaliger Vorbereiter, der andere als zweimaliger Schütze. Sanchos Duett mit Reus zum 2:2 ließ Favre lautmalerisch schwärmen. "Tack, Tack, Tack" habe es gemacht, als sie in Hochgeschwindigkeit über das halbe Spielfeld kombinierten, während Wendell und Kohr wie ohnmächtig zurückblieben. Sancho zu Reus, Reus zu Sancho, Sancho zu Reus, und schon flog der Ball ins Netz, es schien nur einen Augenblick gedauert zu haben. Oder wie Sancho später sagte: "I trusted him, he trusted me, easy goin'", ich habe ihm vertraut, er hat mir vertraut, so läuft's einfach. Ein Treffer und fünf Vorlagen stehen auf dem Saisonkonto des 18 Jahre alten Engländers, summiert aus 124 Minuten Einsatzzeit als Einwechselspieler. Sancho, aus der Schule von Manchester City stammend, gilt noch als etwas flatterhaft und muss einstweilen mit dem Titel "Ass im Ärmel" vorliebnehmen, das ihm sein Förderer und Lehrmeister Marco Reus am Samstag verpasste.

So verließ der BVB das Stadion nicht nur als lange Zeit unvermuteter Sieger, sondern auch als Tabellenführer. Sofort kamen die üblichen Fragen. Sofort kamen die üblichen Antworten. "Es ist eine schöne Momentaufnahme, aber die Saison ist noch jung", sagte Torwart Bürki einen Satz aus dem Standard-Repertoire. Aber nach dieser aufregenden Woche sieht es so aus, dass die Jugend eher für als gegen den BVB spricht: Diese Mannschaft steht womöglich erst am Anfang ihres Werdegangs.

© SZ vom 01.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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