Borussia Dortmund:Auf Regenschauer folgen Angriffswellen

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Zwei Angreifer, ein Umschwung: Nationalspieler Niclas Füllkrug (links) und Jamie Bynoe-Gittens drehten mit je einem Tor und einer Vorlage die Partie gegen Gladbach. (Foto: Laci Perenyi/Imago)

Nach 30 orientierungslosen Minuten dreht Dortmund das Spiel gegen Mönchengladbach. Das 4:2 nach 0:2-Rückstand löst Erleichterung aus und animiert BVB-Boss Watzke zu forschen Ansagen. Aber die echten Härtetests kommen erst.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Als der Regen aus dem Himmel zu stürzen begann, und das Wasser auf dem Stadionrasen Blasen warf, drehte sich das Spiel. 30 Minuten lang hatte Borussia Mönchengladbach die westfälische Borussia in Dortmund beinahe schon vorgeführt. Ein ums andere Mal wurde die BVB-Defensive überlaufen. 2:0 stand es nach dieser halben Stunde. Dann eroberte Marco Reus, einst selbst Gladbacher, am eigenen Strafraum den Ball, passte auf Julian Brandt, der wühlte sich gegen Gladbachs Maximilian Wöber zur Torauslinie, flankte mit der Genauigkeit eines Roboters auf Marcel Sabitzer, und der schoss humorlos zum 1:2 ein.

Genauer kann man das Umkippen eines Fußballspiels selten beobachten. Am Ende gewann Dortmund 4:2 und fing damit den Sturzflug der vergangenen Wochen noch überzeugend auf. Auf den Treffer von Sabitzer folgte eine Kopie dieses Konters, als Dortmunds Jamie Bynoe-Gittens, 19, per Kopf einen langen Pass von Ramy Bensebaini ablegte und Mittelstürmer Niclas Füllkrug im strömenden Regen den Ball volley, mit dem Spann und exakt temperiert ins Tor praktizierte. Ein technisches Meisterstück. Dieses 2:2 entschied das Spiel, obwohl es gerade einmal unentschieden stand.

Gladbach hatte das erste Drittel der Spielzeit so erschütternd klar dominiert, dass sich Dortmunds Fans und sicher auch Dortmunds Bank erinnert fühlen mussten an das letzte Spiel vor der Länderspiel-Pause, als der BVB beim VfB Stuttgart spielerisch unterging, aber dank seines Torwarts Gregor Kobel nur 1:2 verlor. Diesmal gelangen den Gladbacher Borussen zwar zwei schnelle Tore, so wunderbar erzielt, wie dann später Dortmunds Treffer. Zuerst blieb Rocco Reitz cool vor Kobel, nach 28 Minuten ließ Kouadio Koné gefühlte vier Dortmunder stehen und wuchtete den Ball dann gegen scheinbar regungslose Gegenspieler ins BVB-Tor. Aber dann begann der Starkregen, Dortmund erwachte aus der Lethargie, Gladbach glitschte die Spielkontrolle aus den Händen.

Das 2:2 saß wie ein Wirkungstreffer bei einem Boxer. Mönchengladbach hatte seine eigene Gala aus den ersten 30 Minuten völlig vergessen, im Gehirnspiel Fußball hatten der Starkregen und die zwei fast nicht zu verteidigenden Tore jede Erinnerung daran weggespült. Kurz vor der Pause revanchierte sich dann auch noch Füllkrug bei Bynoe-Gittens, der einen verdeckten Flachschuss zum 3:2 ins Tor von Moritz Nicolas setzte.

Auch nach der Pause fand Gladbach nicht mehr ins Spiel. Das Momentum war verloren. Dortmund kontrollierte. In der Nachspielzeit konnte Donny Malen nach einem Mutterseelenalleingang auf leere Gladbacher Tor und noch zum 4:2 vollenden.

BVB-Sportchef Sebastian Kehl dürften Steine vom Herzen gefallen sein. Eine weitere Niederlage hätte den Druck vor der kräfteraubenden Endphase des Jahres noch einmal erhöht, mit weiteren sieben Spielen in vier Wochen. Kehl konnte erleichtert sagen: "Wir haben wieder Comeback-Qualitäten gezeigt. Für uns war es sehr wichtig, dass wir nach dem 0:2 wieder zurückgekommen sind, das Spiel in den Griff bekommen und in unsere Richtung gedreht haben."

Am Sonntagmittag, bei der Jahresmitgliederversammlung des Ballspielvereins Borussia Dortmund, wurden die Spieler mit allenfalls höflichem Applaus empfangen. Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke sah wohl auch deshalb seine Aufgabe darin, Optimismus zu verbreiten. Mit Optimismus, ein paar kritischen Bemerkungen zur Videobeweis-Praxis und dem Hinweis auf Umsätze von "rund 500 Millionen Euro" beim angegliederten BVB-Profibetrieb lässt sich in den Westfalenhallen zuverlässig Zustimmung mobilisieren. Vor allem aber mit einem Seitenhieb auf vermeintlich nicht wohlgesonnene Medien. Wie im richtigen Leben: Medienschelte geht immer.

"Ich lese immer noch viel", sagte Watzke süffisant vom Rednerpult aus. Die Berichterstattung über angebliche Uneinigkeit in der Führungsriege, mit dem zuletzt öfter kritisierten Trainer Edin Terzic, Sportdirektor Sebastian Kehl und eben Watzke selbst, der sich in den vergangenen Monaten öffentlich nur noch selten geäußert hatte, sei grundsätzlich falsch. Dass er selbst sich weniger zu Wort melde, habe vor allem mit dem "Vertrauen" zu tun, das er in seine beiden leitenden Angestellten habe. Er selbst, sagte Watzke, sei "immer präsent", auch dann, wenn er für die DFL oder den DFB unterwegs sei, oder für die ECA, die Vereinigung der europäischen Spitzenklubs, zu denen Dortmund zählt.

Angriffslustig kündigte Watzke für den nächsten Spieltag und das Treffen beim Tabellenführer Bayer Leverkusen an: "Da wollen wir dann mal sehen, ob diese Mannschaft wirklich so unschlagbar ist." Und auch für das Champions-League-Spiel am Dienstag beim AC Mailand wollte er Zuversicht und den Einzug ins Achtelfinale heraufbeschwören. Das Hinspiel endete glücklich 0:0.

Mit der richtungs- und ratlosen Spielweise der ersten halben Stunde gegen Gladbach oder den vorherigen Auftritten gegen Stuttgart (1:2), die Bayern (0:4) und in Frankfurt (3:3) dürfte der BVB gegen Milan und Leverkusen allerdings eher Schiffbruch erleiden. Bis Weihnachten stehen auch noch Heimspiele gegen RB Leipzig und in der Champions League gegen Paris St. Germain an, zudem das DFB-Pokal-Achtelfinale beim VfB Stuttgart (6. Dezember). Bisher gelang es der Mannschaft nicht, aus den häufigen Schwächephasen nachhaltig Lehren zu ziehen. Gegen Gladbach half der Regen, das zweite, andere Gesicht der Mannschaft freizulegen. Für Mailand ist trockenes Wetter vorher gesagt. Und Geschäftsführer Watzke ist - auch nach eigener Ansicht - als ausgewiesener Pessimist bekannt. Nur, dass Optimismus auf Mitgliederversammlungen, eine Woche vorm ersten Advent, einfach stimmungsvoller ist.

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