Bundesliga:Bochum zweifelt am System

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Herbstliche Verunsicherung: Bochums Anthony Losilla (r.) kauert nach dem Schlusspfiff gegen Gladbach auf dem Boden. (Foto: David Inderlied/dpa)

Nach dem missratenen Saisonstart des VfL in der Fußball-Bundesliga wird in Bochum gerätselt: Passt der moderne Fußballstil von Trainer Letsch zu dieser Mannschaft?

Von Ulrich Hartmann, Bochum

Kürzlich feierte der VfL Bochum seinen 175. Geburtstag, weil das Jahr 1848 einmal als Gründungsdatum eines örtlichen Turnvereins niedergeschrieben stand. Diese Jahreszahl trägt der Klub jedenfalls heute stolz in seinem Namen und mit ihm auch all das Gute, das im Begriff Tradition steckt. Auf Tradition legen sie im Herzen des Ruhrgebiets auch beim Fußball wert: Das gute alte Ruhrstadion wird von vier antik anmutenden Flutlichtmasten illuminiert, die Castroper Straße ist kein Neubaugebiet, und an den Kiosken im Stadionumlauf gibt es weder Sushi noch Quinoa-Bowls.

Flutlicht, Bier, Bratwurst, Malocherfußball - auf diese Komponenten lässt sich ein perfektes Fußballerlebnis im Ruhrstadion reduzieren. Am Samstagabend stand der Bochumer Trainer Thomas Letsch, ein studierter Sport- und Mathelehrer, im Medienzentrum hinter der Haupttribüne und dachte laut darüber nach, ob der moderne Pressingfußball, den er sich für die neue Saison für seine Bochumer Mannschaft zurechtgelegt hat, wirklich Sinn ergibt.

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Von den ersten sechs Saisonspielen hat der VfL Bochum keines gewonnen, in Stuttgart (0:5), in München (0:7) und jüngst gegen Borussia Mönchengladbach (1:3) setzte es, angesichts der Gegentrefferzahl, regelrechte Demütigungen. Solche Ergebnisse ziehen eine Systemumstellung in erhebliche Zweifel. Nach dem Gladbachspiel sagte der Mittelstürmer Philipp Hofmann: "Wir machen ja, was der Trainer uns sagt - aber wenn wir das nicht alle zu einhundert Prozent machen, dann wird's schwer!"

Der Schwabe Letsch wurde vor elf Jahren Jugendtrainer und Nachwuchsmanager bei RB Salzburg, trainierte das Farmteam FC Liefering sowie das Salzburger Youth-League-Team und war nebenher eine Zeit lang Assistent vom Salzburger Cheftrainer Roger Schmidt. Letsch hat bei RB einen modernen Fußballstil erlernt, der auf hohem Pressing, Balleroberung, Umschaltmomenten und schnellen Abschlüssen basiert.

Solchen oder zumindest einen ähnlichen Fußball würde er beim VfL in dieser Saison gerne sukzessive implementieren - doch nach dem missratenen Saisonstart fragt sich halb Bochum: Passt das überhaupt zu dieser Mannschaft?

Gegen Borussia Mönchengladbach wirkte das überforderte Team wie das Opfer eines misslungenen Experiments. Die zehn Feldspieler rückten nicht alle weit genug mit auf, waren nicht eng genug vernetzt und verloren in zu großer Zaghaftigkeit hinten entscheidende Zweikämpfe. Bereits zur Pause stand es 0:3. "Das war eine Katastrophe", sagte Letsch nach dem Spiel, "wir müssen jetzt Tacheles reden! Wir müssen uns fragen, ob unser Ansatz aktuell der richtige ist oder ob andere Spieler auf dem Platz stehen müssen."

Beim VfL Bochum diskutieren sie über die Systemfrage

Zu Beginn der neuen Woche wird beim VfL Bochum intensiv über den künftigen Ansatz diskutiert - doch egal, wie die Debatte ausgeht, das nächste Spiel am kommenden Samstag bei RB Leipzig wird ein extrem herausforderndes. Womöglich demonstrieren die Leipziger den Bochumern genüsslich, wie ihr Fußball funktioniert.

"Unser jetziges System unterscheidet sich eigentlich nur marginal von dem der letzten Saison", relativiert Letsch. In der Vergangenheit spielten sie meistens ein 4-3-3, dem der im September 2022 angetretene Letsch zum Zwecke des Klassenerhalts treu blieb. Jetzt auf ein 3-5-2 umzustellen, hält Letsch für keinen so kapitalen Umbruch, eher für eine Erweiterung. "Wir brauchen dafür unbedingt alle Grundtugenden", forderte er nach dem 1:3 gegen Gladbach.

Letztlich geht es aber auch darum, in welchem System sich dieses Team am wohlsten fühlt. Das gilt es zu erörtern. Letsch sagt: "Die Mannschaft wird das System nicht vorgeben, aber ich will ihr auch nicht ohne Rückfrage etwas überstülpen." Er stelle jetzt "alles infrage". Nach dem Gastspiel in Leipzig führt die Bochumer die darauffolgende Partie zum SC Freiburg. Erst Ende des Monats gibt es wieder ein Heimspiel im Ruhrstadion, und das wird gegen das derzeitige Schlusslicht Mainz voraussichtlich ein heißes Kellerderby. Mit Bier, Bratwurst und Malocherfußball würde man in Bochum dann gern zu dem zurückkehren, was Heimspiele hier ausmacht.

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