Biathlon-WM:"Ich bin schon fast im Bus nach Hause gesessen"

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Die deutsche Bronze-Staffel von Nove Mesto: Janina Hettich-Walz, Sophia Schneider, Selina Grotian und Vanessa Voigt (von links). (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Nur weil ihre Teamkollegin krank wird, muss Sophia Schneider spontan als Schlussläuferin einspringen - und führt die deutsche Staffel zu WM-Bronze.

Von Korbinian Eisenberger, Nove Mesto

Lust und Qual sind Schwestern, und die Qual kommt im Biathlon immer zuerst. Am Samstagnachmittag zeigte die Mischdisziplin jedenfalls ihre fiese Fratze, zu sehen bekam sie die Skijägerin Janina Hettich-Walz. Während sich ihre Kollegin im Staffelrennen am Schießstand mit drei Nachladepatronen quälte, erklärte Hettich-Walz mit nicht minder quälendem Blick, wie wenig lustvoll sie sich gerade fühle. "Es war bei mir eine Kombi aus allem", sagte Startläuferin Hettich-Walz. "Es gab Stellen, wo es sulzig war. Da hatte ich mit meinen Skiern extrem zu kämpfen und dann hatte ich auch nicht den besten Tag", erklärte die 27-Jährige.

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Die Biathlon-Staffel der deutschen Frauen lag zu diesem Zeitpunkt auf Rang neun, es sah alles andere als gut aus. Doch am Ende war die Lust zurück. Die Weltmeisterschaft im tschechischen Nove Mesto ist aus deutscher Sicht zwar noch ohne Gold dekoriert, aber dass sich das Quartett Hettich-Walz, Selina Grotian, Vanessa Voigt und Sophia Schneider am Samstag noch die Bronzemedaille umhängen lassen durfte, war der vielleicht größtmögliche Erfolg dieses Tages.

Dabei hatte jener mit einer denkbar schlechten Nachricht begonnen: Die in dieser Saison bis dato beste deutsche Athletin Franziska Preuß, als Schlussläuferin vorgesehen, sagte ihren Start wenige Stunden vor Rennbeginn wegen Halsschmerzen ab. So kam es, dass Sophia Schneider für sie als Schlussläuferin einsprang. Die 26-Jährige musste also spontan die wichtigste Rolle in der Aufstellung eines Biathlon-Teams übernehmen, die Zielläuferin - im Fußball würde man sagen: Mittelstürmer.

"Auf der letzten Runde war es wie im Film", sagt Schneider

Schneider lief bis zu diesem Zeitpunkt eine solide Saison, in der Staffel gar eine gute. Aber am Schießstand hatte sie zuletzt alles andere als überzeugt. Und so ereignete sich in der Schlussphase dieses Staffelrennens eine Wende, die wohl die wenigsten prognostiziert hatten. Selina Grotian hatte sich nach vorn gekämpft und auf Vanessa Voigt als Dritte übergeben, Voigt allerdings büßte in der Loipe reichlich Zeit ein und übergab mit 51,5 Sekunden Rückstand als Fünfte auf Schneider. Sie musste es nun richten - und das tat sie.

Vanessa Voigt (rechts) wechselt auf Schlussläuferin Sophia Schneider. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

"Auf der letzten Runde war es wie im Film", sagte Schneider im ZDF. Und wie in einem guten Blockbuster schaukelte sich der Wettkampf dramaturgisch zu einem finalen Höhepunkt - und zwar beim letzten Schießen. Schneider duellierte sich mit der wenige Sekunden nach ihr am Schießstand eingetroffenen Estin Johanna Talihärm, zwei Frauen, zwei Gewehre. Schneider schoss schnell - aber nicht sonderlich präzise. Drei Scheiben verfehlte die Chiemgauerin - und musste drei Nachladepatronen in drei 11,5 Zentimeter schmalen schwarzen Ringen versenken, um eine Strafrunde und den Verlust der Medaille zu verhindern. Und jetzt, da es sportlich um alles ging, traf Sophia Schneider. Bumm, bumm, bumm.

"Ich habe einfach keine Worte dafür", sagte Voigt: "Hut ab vor Sophia, dass sie den letzten Schuss noch so reinsetzt. Ich glaube, wir haben uns das mehr als verdient." Schneider lief ins Ziel. Weltmeisterinnen wurden - wie von fast allen Beobachtern prognostiziert - die Französinnen um Justine Braisaz-Bouchet und Schlussläuferin Julia Simon, Silber gewannen die Schwedinnen. Die DSV-Athletinnen leisteten sich insgesamt neun Nachlader, im Ziel hatten sie 1:14,2 Minuten Rückstand. Nach dem zweiten Platz von Hettich-Walz im Einzel und Rang drei von Benedikt Doll bei den Männern - ebenfalls im Einzel - hat der Deutsche Skiverband die dritte Medaille bei den Titelkämpfen von Nove Mesto zu verzeichnen.

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Einmal mehr hatte das deutsche Quartett mit Problemen in der Loipe zu kämpfen. "Es flutscht einfach nicht", erklärte Vanessa Voigt. Der Ärger über das Material und die Strecke - im Vergleich der Laufzeiten fehlten den deutschen Läuferinnen 1:48 Minuten auf Frankreich - war aber alsbald verflogen. Im Ziel wurde Schneider von Voigt, Hettich-Walz und Grotian empfangen, indem sie mit einer schwarz-rot-goldenen Fahne auf sie zustürmten. "Wir waren ja immer so mittendrin, obwohl alle einen guten Job gemacht haben", sagte Grotian: "Ich habe selbst gar nicht verstanden, warum wir nicht so weit vorn waren. Aber Sophia hat es am Schluss einfach gerettet, hat die Nerven behalten und das Ding nach Hause gebracht."

Bei den vergangenen drei Weltmeisterschaften hatte das DSV-Quartett jeweils Silber gewonnen. 2019 reichte es in Östersund als Vierter zum letzten Mal nicht für Edelmetall. Er sei "dreimal gestorben und dreimal wiedergeboren worden", sagte Sportdirektor Felix Bitterling: "Es war eine brutal spannende Staffel. Ich glaube, die Mädels haben genau das umgesetzt, was wir besprochen haben. Das ist eine Medaille, die unglaublich guttut."

Und Sophia Schneider? Schrie erst alles heraus, die Qual, das Adrenalin. "Ich habe es erst um halb elf erfahren, und ich bin schon fast im Bus nach Hause gesessen", sagte sie. Später dann kullerten ihr Tränen die Wange herunter, es war die pure Freude in Flüssigform.

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