Biathlon-WM:Plötzlich eine Wiederauferstehung

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Janina Hettich-Walz wird nach ihrem überraschenden Silberlauf in Nove Mesto von ihren Teamkolleginnen Vanessa Voigt (links) und Selina Grotian auf Händen getragen. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Biathletin Janina Hettich-Walz gewinnt Silber, ihre erste Medaille bei einer WM - und die erste fürs deutsche Team in Nove Mesto. Die Techniker haben offenbar den richtigen Schliff für die Skier gefunden, mit einer Ausnahme.

Von Korbinian Eisenberger, Nove Mesto

Die Italienerin Lisa Vitozzi hat schon häufig auf Siegerbühnen gestanden und gesessen, oft genug, um zu wissen, dass ein Sprechmikrofon vor dem Sprechen eingeschaltet werden sollte. Das sei erwähnt, weil neben Vitozzi am Dienstagabend jemand saß, die überhaupt noch nie bei einer Pressekonferenz der besten Drei ein Mikro ein- oder ausgeschaltet hat: eine Frau namens Janina Hettich-Walz, Baden-Württembergerin und Profibiathletin, nur eben podiumsunerfahren. Platz zwei, Silber, und dann auch noch bei der WM: Wie es ihr damit gehe, wurde sie gefragt. Hettich-Walz sprach alsbald ins Mikro, doch im Saal war nichts davon zu hören, ehe sich ihre Sitznachbarin Vitozzi mit einem Lächeln zu ihr hinüberbeugte - und den Schalter umlegte.

Genau darum ging es: "Ich habe keine Ahnung, wie ich es geschafft habe, den Schalter umzulegen", sagte Hettich-Walz nach ihrem Silberlauf bei der Biathlon-Weltmeisterschaft von Nove Mesto. Und sie meinte nicht den Anschaltknopf am Mikro. "Ich kann es immer noch nicht wirklich glauben", sagte sie - dass sie sogar vor der Französin Julia Simon landete, die in Nove Mesto zuvor alle Rennen gewonnen hatte. Hinter der Ziellinie schlug Hettich-Walz erstaunt die Hände vors Gesicht.

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Janina wer? Da glänzt nun eine Frau in Silber, die bisher eher Biathlon-Insidern ein Begriff war. Dabei ist sie schon einige Jahre im Weltcupzirkus zu finden. 2019 gab sie im Alter von 23 Jahren ihr Debüt im französischen Le Grand-Bornand. Ihre beiden - bis dato - größten Erfolge verbuchte Hettich-Walz jeweils in der Staffel: der Sieg beim Weltcup von Oberhof 2021/22 und Silber bei der anschließenden WM in Pokljuka, Slowenien. In den vergangenen Jahren hatte sie sportlich zu kämpfen, inzwischen hat sie sich etabliert und gibt den jungen Athletinnen im Deutschen Skiverband (DSV) Ratschläge. Nur auf einem Einzelpodest, da sah man die Teamplayerin Hettich-Walz nie, bis Dienstagabend. Gefeiert werde das mit Gin Tonic und Mallorca-Musik, ganz im Stile der abgetretenen Altmeisterin Denise Herrmann-Wick.

Für das Team des DSV steht dank ihrer Medaille eine erste zählbare Marke zu Buche. Gelegentlich war schon zynisch geraunt worden über eine potenziell historisch schwache Bilanz der deutschen Skijäger. Dieses Geraune dürfte nun mindestens vorerst verstummen. Und das lag nicht nur an Janina Hettich-Walz.

"Das ist ein Wahnsinnstag für die Deutschen", sagt Selina Grotian

Ähnlich verblüfft wie die 27-jährige Silbergewinnerin stand die jüngste WM-Athletin im Team des DSV hinter dem Zielstrich: Die 19-jährige Selina Grotian aus Mittenwald war bei ihrem Debüt sogleich als Vierte ins Ziel gekommen. Auch Grotian hatte wie ihre Teamkollegin Vanessa Voigt sämtliche Scheiben getroffen und war fünf Sekunden vor der Fünften Voigt ins Ziel gekommen. "Das ist ein Wahnsinnstag für die Deutschen", sagte Grotian unter dem Getöse der knapp 20 000 Zuschauer in der Vysocina Arena, sie war mit ihrer leisen Stimme kaum zu verstehen. Dass eine halbe Minute zu Bronze fehlte? Geschenkt.

In der ersten Hälfte dieser WM hatten nicht wenige DSV-Biathleten mit ihren Skiern gehadert. Verglichen mit dem norwegischen oder französischen Material wirkten die DSV-Latten bisweilen, als wären die Beläge mit dem Fruchtkompott der tschechischen Kolache-Muffins eingerieben. Nach dem Tiefpunkt in der Männerverfolgung am Sonntag hatte der DSV Extraschichten im Service-Truck angekündigt. Und tatsächlich scheint den deutschen Skitechnikern in kurzer Zeit ein kleines Wunder gelungen zu sein.

Bei vier Grad kühleren Temperaturen als zuletzt glitten die Skier von Vanessa Voigt ähnlich geschmeidig durch die runderneuerte Loipe wie zu Saisonbeginn. "Ein dickes Lob an die Techniker", sagte Voigt, die nach der Verfolgung noch vor Enttäuschung geweint hatte und nun eine Freudenträne im Auge hatte. "Das Material war so viel besser", befand auch die Sportsoldatin Hettich-Walz. Nur bei der bis dahin Besten im deutschen Team, da pappte das tschechische Fruchtkompott irgendwie nach wie vor unter dem Ski. Und das hatte offenbar einen Grund.

Preuß' Skier waren mit einem anderen Schliff versehen als beim deutschen Erfolgstrio - und wirken langsamer

Franziska Preuß, am Ende Fünfzehnte (2 Fehler), konnte sich mit ihren Teamkolleginnen freuen, auch ihr war die Erleichterung über die deutsche Medaille anzusehen, aber auch die Enttäuschung über ihr persönliches Ergebnis. "Ich habe es auf der Strecke mitbekommen, dass ich wahnsinnig viel Zeit verliere, obwohl ich mich gar nicht so schlecht fühlte", sagte Preuß. Am späteren Dienstagabend war aus verlässlicher Quelle zu erfahren, dass ihre Skier einen anderen Schliff erhalten hatten als die von Grotian, Voigt und Hettich-Walz. Das war ja das Rätsel der ersten WM-Woche gewesen: Warum laufen die deutschen Skier plötzlich nicht mehr?

Offenbar ging es dabei im Kern weniger ums Wachs als um den Schliff. Langlaufskier werden mit einem maschinellen Grundschliff versehen, ehe die Skipräparatoren dem Belag den Handschliff verpassen. Für den DSV sind laut Eurosport-Experte Michael Rösch Tester im Einsatz, die am Renntag verschiedene Schliffe ausprobieren, also mit den geschliffenen Probeskiern selbst auf die Loipe gehen. "Die fahren am Tag im Schnitt 30 Kilometer", so Rösch. Entscheidend ist, wie sich die Struktur des Schliffs auf den Schneekristallen verhält - und in welchem Zustand diese Schneekristalle zum Zeitpunkt des Rennens sind. Das ist so knifflig, weil das Wetter nicht restlos vorhersehbar ist - und sich die Schneedecke im Verlauf eines Rennens stark verändern kann. "Ein Schliff kann die ersten fünf Kilometer funktionieren und dann nicht mehr", sagt Rösch. Ganz offenbar war der Schliff des Trios um Hettich für das Unternehmen "Schalter umlegen" eine gute Wahl.

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