Unter den Menschen in den gelben Skijacken war ein kollektives Zittern eingetreten, wenngleich es dafür in Nove Mesto eigentlich zu warm ist. Es hatte vielmehr mit dem Umstand zu tun, dass zwei norwegische Biathleten sich aufmachten, dem besten deutschen Teilnehmer dieser Veranstaltung noch die WM-Medaille wegzuschnappen. Sturla Holm Lagreid und Johannes Dale-Skjevdal hatten beide noch fünf Scheiben vor sich - und machten sich auf, sie alle zu treffen. Doch das gelang dann weder dem einen noch dem anderen. Und so war klar, dass Benedikt Doll soeben die zweite WM-Einzelmedaille seiner Karriere gewonnen hatte. Was den beiden Norwegern am Ende so misslang, hatte ihm selbst zuvor Freude bereitet, wie Doll nach seinem Zieleinlauf am ZDF-Mikrofon mitteilte. "Ich hab so Spaß gehabt am Schießen, um zu beweisen, dass ich es gut kann."
Der 33-Jährige hat oft bewiesen, wie gut er das kann. Lediglich bei dieser WM, eine nicht ganz unwichtige Veranstaltungsreihe im Biathlonzirkus, hatte er sich in den vergangenen Tagen einiges anhören dürfen. Deutschland ist eben nicht zuletzt ein Biathlon-Land, und Dolls Rolle ist nach wie vor jene des aussichtsreichsten Podest-Kandidaten. Und so kam ihm kaum entgegen, dass er bei den bisherigen Wettbewerben in Tschechien auffällig viele Scheiben verfehlte, zudem hatte das Skimaterial praktisch sämtlicher deutschen Starter Anlass zur Sorge gegeben. Es wirkte fast, als würden die Biathleten des Deutschen Skiverbands (DSV) mehr im nassen Schnee von Nove Mesto festpappen als hindurchgleiten. Mit dem Einzelrennen am Mittwochabend hat Doll all dieses Gerede beiseitegeschoben - falls es ihn überhaupt sonderlich interessierte. "Ich bin einfach unfassbar glücklich, dass ich mir das selbst noch mal beweisen konnte."
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Nachdem sie im Biathlon fast alles gewonnen hatte, zog sich Magdalena Neuner 2012 schon nach sechs Jahren wieder zurück. Nun erzählt sie von depressiven Phasen allein im Hotel, aber auch vom Wert des Humors - und dem damals für sie besonderen Wert der Ohrenstöpsel.
Fürs deutsche Biathlon-Team ist es die zweite Medaille dieser WM, nachdem am Dienstag überraschend Janina Hettich-Walz im Einzel der Frauen Silber gewonnen hatte. Doll zeigte einen bärenstarken Auftritt, vor allem am Schießstand, was im Einzelrennen von besonderem Wert ist, weil verfehlte Zielscheiben dort nicht mit 150 Zusatzmetern - also etwa 25 Sekunden Zeitverlust - bestraft werden, sondern mit einer pauschalen Strafminute, die zur Laufzeit addiert wird. Treffer waren also noch mehr erwünscht als sonst - und Doll hatte bereits 17 von 20 Scheiben makellos abgeräumt, ehe er beim 18. Schuss stehend knapp vorbei zielte. Doll musste jetzt die Kleinkaliberkugel noch zweimal in schwarze Ringe befördern, um die deutsche Medaillenchance zu wahren. Und genau das tat Doll dann auch - und schnappte so dem vor ihm gestarteten Letten Andrejs Rastorgujevs noch die Bronzemedaille weg.
"Wir haben gewusst, dass wir stark sind und dass irgendeiner durch kommt", sagt Doll
Viel mehr wäre nicht drin gewesen, weil zwei verbrüderte Schurken sich an diesem Mittwochabend von Nove Mesto auf und davon gemacht hatten: Johannes Thingnes Bö gewann das Rennen mit 59 Sekunden Vorsprung vor seinem älteren Bruder Tarjei Bö, der wiederum 54 Sekunden vor Doll ins Ziel gekommen war. Beide Norweger hatten wie Doll eine Scheibe verfehlt. Mit 20 perfekten Schuss - wie es tags zuvor drei deutschen Biathletinnen gelungen war - hätte der Baden-Württemberger den Gesetzen der Mathematik zufolge maximal auf Rang zwei laufen können. Aber dieses Detail beschäftigte Doll im Zielraum von Nove Mesto nun ganz offensichtlich überhaupt nicht, er wirkte gelöst wie lange nicht, wie er zwischen den Kollegen stand, Schulterklopfen entgegennahm und geduldig in die zahlreichen Reportermikros sprach. "Heute hat einfach alles zusammengepasst", sagte Doll. "Wir haben gewusst, dass wir stark sind und dass irgendeiner durch kommt."
Ziemlich zufrieden schaute auch der Breisgauer Roman Rees unter seinem Stirnband hervor, der sich erkennbar mit seinem Teamkollegen freute. "Ich hab schon gesagt, irgendeiner von den Norwegern muss jetzt mal schwächeln", sagte er. Rees selbst war mit zwei Fehlern im Liegendschießen ins Rennen gestartet, nach zwei fehlerlosen stehenden Einlagen aber noch als 13. ins Ziel gekommen. Für den 30-Jährigen war es nach einer längeren Pause der erste Auftritt bei dieser WM, mit seinem Comeback als zweitbester Deutscher dieses Rennens wirkte er nicht ganz unzufrieden. "Ich bin vielleicht ein bisschen zu schnell los, dann tat es relativ früh ganz schön weh", sagte er. "Aber ich hatte das Gefühl, ich kam gut durch."
Johannes Kühn, im Verfolgungsrennen noch Topathlet des DSV, vergab nun im Einzel im letzten Schießen ein vorderes Ergebnis, weil er zweimal daneben schoss. Der Ruhpoldinger kam so mit insgesamt vier Strafminuten im Gepäck als 19. ins Ziel. Den noch größeren Rucksack brachte der vierte deutsche Starter Philipp Horn in den Zielraum mit. Der Thüringer hatte gleich fünf Strafminuten angehäuft, was ihm Platz 43 bescherte. Doch mit dem Wissen, dass Kollege Doll 40 Ränge vor ihm ins Ziel eingelaufen war, konnte sich auch Horn ein verschmitztes Lächeln nicht verkneifen.