Biathlon-WM:Julia Simon bremst die "Herrminatorin"

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Bisher noch ohne Einzel-WM-Medaille, nun Weltmeisterin in der Verfolgung: die Französin Julia Simon. (Foto: Christof Stache/AFP)

Nach Gold im Sprint muss sich Biathletin Denise Herrmann-Wick in der Verfolgung mit Silber hinter der schnellschießenden Französin begnügen. Das Rennen deutet an, dass das deutsche Team noch weitere Medaillenhoffnungen bereithält.

Von Korbinian Eisenberger, Oberhof

Die Stärke der Biathletin Julia Simon ist es, schneller zu schießen, als die Zuschauer ihre Treffer bejubeln können. Zumal, wenn mehr als 23 500 gleichzeitig brüllen, so wie am Sonntagnachmittag in Oberhof. Es waren deutlich mehr in die WM-Arena gekommen als an den bisherigen Tagen. Nicht wenige von ihnen hatten im Sinn, die Deutsche Denise Herrmann-Wick zur zweiten Goldmedaille zu inspirieren. Aber da war eben diese Julia Simon aus Frankreich, die sich den Rhythmus nicht vom Publikum diktieren lässt. Den Rhythmus diktiert sie.

Beim letzten Stehendschießen der Verfolgung von Oberhof fiel die Entscheidung über Gold und Silber. Zwei Frauen im direkten Duell, links Herrmann-Wick, rechts Simon, und beide präsentierten nicht nur das Gewehr, sondern zwei durchaus konträre Herangehensweisen. Von Schuss eins bis fünf vergingen bei Herrmann-Wick 21 Sekunden, bei Julia Simon nur acht. Diese 13 Sekunden hätte die Deutsche eventuell noch in der Loipe wettmachen können. Doch Simon feuerte ihre Kugeln nicht nur schneller, sondern auch präziser ab: vier Treffer bei fünf Schüssen, eine Strafrunde; Herrmann-Wick indes handelte sich deren zwei ein. Gold war damit verloren. Die von hinten kommende Norwegerin Marte Olsbu Röiseland konnte Herrmann-Wick jedoch nicht mehr einholen und wurde Dritte.

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Denise Herrmann-Wick liefert sich beim Sprint von Oberhof ein packendes Duell mit der Schwedin Hanna Öberg. Zwischenzeitlich liegt sie zehn Sekunden zurück - und gewinnt noch. Sie sagt, es sei noch vor Olympiagold ihr größter Karriereerfolg.

Von Korbinian Eisenberger

Als Motivationsstütze für ihre zweite Medaille bei dieser WM diente einmal mehr das Musikstück "Der Zug hat keine Bremsen". Das von der sportlichen Teamleaderin Herrmann-Wick auserkorene deutsche Mannschaftslied ist aus dem Ballermann-Fundus entnommen, wenngleich ja im deutschen Biathlon derzeit vor allem die Ballerfrauen gut in Schuss sind.

Die andere Geschichte ist die der Französin Julia Simon, die noch nie zuvor eine Individual-Medaille bei einer Weltmeisterschaft gewonnen hat. "Die Atmosphäre war total verrückt", sagte sie. "Ich bin eine offensive Biathletin, ich habe viel riskiert." Simon war von Rang zehn aus in die Verfolgung gestartet - und verfolgte irgendwann nur mehr Herrmann-Wick, ehe sie die deutsche Lok samt Zug am Schießstand einbremste. Bei der letzten Einlage im Stehen sei sie erleichtert gewesen über den zweiten Fehlschuss der Deutschen. "Sorry", raunte sie ihrer Konkurrentin bei der Pressekonferenz im Stadion zu. "Aber ich weiß, dass Denise sehr gut auf den Skiern ist."

Faire Zweite: Denise Herrmann-Wick, rechts, musste diesmal Julia Simon zum Sieg gratulieren. (Foto: Alexander Hassenstein/Getty)

Zum Stehen gebracht worden ist der deutsche Tross indes nicht. Auch am Sonntag waren wieder "Herrminatorin"-Banner im Stadion zu sehen, angelehnt an den Spitznamen des einstigen österreichischen Alpin-Dominators Herrmann Maier. Im Oberhofer Nebel entstand eine Lautstärke mit Hörsturzgefahr, wann immer sich eine deutsche Athletin im Stadion blicken ließ. Und das zeigte - weitgehend positive - Wirkung.

Zum Beispiel bei der Chiemgauerin Sophia Schneider. Die 25-Jährige zeigte eine der besten Darbietungen ihrer Karriere - und hatte vor dem letzten Schießen noch Chancen auf die Bronzemedaille. Doch dann, als ahmte sie Herrmann-Wick nach, ließ auch sie am Schießstand zwei der letzten fünf Scheiben stehen - und kam am Ende als Fünfte ins Ziel. "Ganz hab ich es zum Schluss nicht geschafft, wo es halt gezählt hätte, das ärgert mich schon ein bisschen", sagte sie nach dem Rennen. "Die Masse trägt einen nach oben, und dann ging's wie von alleine." Ähnlich euphorisch war Hannah Kebinger aus Garmisch-Partenkirchen, die erst kurz vor Oberhof noch ins Team rutschte und seither für viele unerwartet konstant in der Weltspitze unterwegs ist. "Einmal bei einer WM am Start stehen zu dürfen, das ist ein Riesenkindheitstraum, der in Erfüllung geht", erklärte sie. Die Thüringer Lokalmatadorin Vanessa Voigt winkte als einzige deutsche Starterin enttäuscht ab. Fünf Strafrunden bedeuteten für sie Rang 46.

Dennoch hinterließ dieser Tag verstärkt Hinweise, dass der viel beschworene deutsche "Zug" mehr zu bieten hat als seine starke Dampflok: vier Deutsche unter den besten 20 der insgesamt 60 gestarteten Läuferinnen bei diesem WM-Rennen. Nach fünf von zwölf Wettbewerben liegt Deutschland im Medaillenspiegel auf Rang zwei hinter Norwegen, die dank der drei WM-Titel für Johannes Thingnes Bö praktisch uneinholbar vorne liegen - ihm gelang das Doppel-Gold aus Sprint und Verfolgung.

Lokführerin Denise Herrmann-Wick hätte ihrerseits die erste Deutsche seit Andrea Henkel werden können, der dieses Kunststück gelingt. Sonderlich enttäuscht wirkte sie aber nicht, nun da im Stadion wieder altbekanntes Liedgut erklang. "Heute war es im Team eine grandiose Leistung", erklärte sie. "Für die jungen Mädels ein richtig gutes Zeichen, die haben richtig was drauf, und da geht der Zug nach vorne los."

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