Norwegen bei der Biathlon-WM:"Die kämpfen sich durchs Leben"

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Michael Rösch, hier im Pressezentrum der Biathlon-WM im Oberhofer Stadion. (Foto: Korbinian Eisenberger)

Michael Rösch galt einst als größtes deutsches Biathlon-Talent. Inzwischen ist der 39-Jährige die bunte Figur der WM in Oberhof, er arbeitet als TV-Experte und hat eine Erklärung für die norwegische Dominanz.

Von Korbinian Eisenberger, Oberhof

Neulich hat Michael Rösch mal wieder Michael-Rösch-Dinge getan. Zusammen mit Sigi Heinrich kommentierte er gerade den Biathlon-WM-Sprint der Frauen. Und als klar wurde, dass die Sächsin Denise Herrmann-Wick Gold gewinnt, da erklärte der Sachse Rösch ins Eurosport-Mikro: "Sorry, dass wir vielleicht parteiisch sind, aber es sei uns vergönnt." Dann bückte er sich, zog ein glänzendes Stück Stoff hervor und warf es sich über die Schultern. Reporter-Legende Heinrich kommentierte live: "Der zieht sich jetzt hier 'ne goldene Jacke über, der Wahnsinnige."

Genau genommen handelte es sich um ein goldenes Sakko, in dem Rösch an diesem Tag noch länger im Stadion zu sehen war. Das Video hat er selbst gedreht, "Sigi wusste nichts von dem Sakko", sagt Rösch nun. Den weißen Pulli aus dem Video hat er bei diesem Treffen am Sonntagabend noch an, das Sakko ist indes verstaut. Es kommt aber eventuell abermals zum Einsatz. "Hoffentlich", sagt er.

Olympiasieger Rösch war einer der Besten, dann hat er die Biathlonkunst verloren

Unter all den bunten Anhängern, die den Weg nach Oberhof zur Biathlon-Weltmeisterschaft gefunden haben, ist Rösch die vielleicht auffälligste Figur dieser Tage. Mal sieht man ihn mit Luftballons geschmückt auf den Tanzflächen im Ort, mal golden glänzend zwischen den Fans im Stadion, als wäre er einer von ihnen. Tätig ist er ja als Experte für Eurosport und Sky, zusätzliche Engagements hat er beim Deutschen Skiverband, beim WM-OK und bei einem WM-Sponsor; hinzu kommen Aufgaben für seine rege bespielten Social-Media-Kanäle. Schlaf in Oberhof? "Ich penne im Schnitt drei Stunden pro Nacht."

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Manche würden Rösch womöglich als jemanden sehen, der durchaus zum Clown taugt. Das ist wohl nicht ganz verkehrt, aber eben auch nicht das gesamte Bild. Immerhin war der 39-Jährige einst einer der Besten seiner Branche, 2006 holte er mit der Staffel Olympiagold in Turin. Beobachter sahen in ihm einst das größte Talent im deutschen Biathlon, ehe ihm die große Kunst des Schnellfeuerns und -laufens abhandenkam. Nachdem es für ihn beim DSV kaum Zukunft gab, wechselte er zum belgischen Verband. Schon damals konnte er gut aus der Reihe tanzen. Tatsächlich schaffte er im belgischen Trikot den Sprung zurück in den Weltcup. Sein größter sportlicher Erfolg nach dem Nationenwechsel: 2016 in Pokljuka wurde er Sechster in der Verfolgung. 2019 dann wechselte er von der Loipe in die Kommentatorenkabine.

Im Oberhofer Stadion sitzt er nun an einem Tisch mit Blick auf die Reporter-Ecke, wo sich das norwegische Fernsehen samt Ole Einar Bjørndalen niedergelassen hat. Diese Norweger. Sie sind ja für die sportlichen Beobachter das Faszinosum dieser WM in Thüringen. Bei den Männern haben sie bislang fünf von sechs Medaillen abgeräumt, hinzu kommen Gold in der Mixed-Staffel und einmal Bronze bei den Frauen. Auch dafür, sagt Rösch, gebe es Erklärungen.

Winner Norway's Johannes Thingnes Boe (C) celebrates on the podium with second placed Norway's Sturla Holm Laegreid (L) and third placed Sweden's Sebastian Samuelsson after the men's 12,5 km pursuit event of the IBU Biathlon World Championships in Oberhof, eastern Germany on February 12, 2023. (Photo by Christof STACHE / AFP) (Foto: CHRISTOF STACHE/AFP)

Der Wahl-Dresdner ist im sächsischen Altenberg aufgewachsen, lebte und trainierte aber lange in Norwegen und war seinerzeit mit einer Norwegerin zusammen. "Sport ist gesellschaftliches Gut bei denen", sagt er. Norwegen hat ein eigenes Sportministerium, "bei uns ist das irgendwo im Innenministerium angegliedert", sagt er. In Röschs Wahrnehmung ist Deutschland in der Sportförderung "mit Abstand führend". Bundeswehr, Bundespolizei, Zoll und auch die Landespolizei hätten "so viele Stellen für Sportler geschaffen, das gibt's weltweit nirgends". Für den Medaillenspiegel ist diese Förderung aber womöglich nicht nur förderlich. Oder?

Die Norweger haben viel mehr Verständnis für ihren Körper und fürs Training

"In Norwegen kämpfen die Sportler um ihre Existenz, die nehmen Studienkredite auf, die wissen vorher nicht, ob sie durchkommen." Von Bjørndalen hört man ähnliche Interpretationen der Dominanz. Dadurch entstehe bei den Norwegern eine andere Denkweise, sagt Rösch. "Die werden nicht gefördert, sondern kämpfen sich durchs Leben." Die Folge sei - obwohl Deutschland fast 16 Mal so viele Einwohner hat - eine größere Auswahl an Sportlern, "die viel mehr Verständnis für ihren Körper und fürs Training haben und viel selbständiger sind". Das alles, so Rösch, zeige sich im Biathlon derzeit besonders, aber auch sonst im Wintersport. Etwa bei den Alpinen (Braathen, Kilde, Kristoffersen), den Skispringern (Granerud, Strøm) oder den Langläufern (Klæbo, Golberg, Weng-Schwestern).

Olympiasieger 2006, nun Biathlon-Experte und aktuell Faktotum bei der WM in Oberhof: Michael Rösch. (Foto: opokupix/imago/opokupix)

Der Biathlet Johannes Thingnes Bø hat bislang drei von drei möglichen WM-Titeln gewonnen. Er hat sich 2012 an der Hochschule Lillehammer immatrikuliert und besitzt so wie fast alle seiner Kollegen (ob mit Abschluss oder nicht) einen universitären Hintergrund. Bø und die anderen Norweger dazu zu befragen, fällt dieser Tage schwer, weil die norwegische Delegation internationale Presseanfragen weitestgehend ausschlägt. Michael Rösch beantwortet Gesprächsanfragen per Whatsapp mit einem vor Tränen lachenden Emoji. Im Sinn von: "ernsthaft jetzt?"

Rösch beschreibt das Innenleben seines Hauptes als "luftleeren Raum mit zwei Kugeln, die treffen sich ab und zu und erzeugen Geistesblitze". Bei all der Kindskopfigkeit kennt er auch andere Töne, ernstere. Rösch erzählt jetzt vom ukrainischen Biathleten Dmytro Pidrutschnyj, den er gut kenne - und der im Sommer vom ukrainischen Militär zur Landesverteidigung vor Russland eingezogen wurde. Rösch erwähnt diesen Punkt ganz bewusst.

Es geht um Aussagen des französischen Ex-Olympiasiegers Martin Fourcade, der dafür plädiert hatte, russische und belarussische Biathleten wieder antreten zu lassen. "Pidrutschnyj hat mir die Bilder seiner zerbombten Heimat gezeigt", sagt Rösch. Er habe von noch keinem russischen Sportler vernommen, der sich von Putins Krieg distanziert hätte. Klar, sagt Rösch, "das können sie wahrscheinlich auch nicht so leicht". Aber, auch und vor allem, um Richtung Russland ein Signal zu setzen: "Für mich gehören die russischen Sportler jetzt nicht hierher." Dann muss er weiter in die Kommentatoren-Kabine, wo das goldene Sakko wartet.

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