Er ist der Luchs unter den Wölfen, nie war das besser zu sehen als bei der Weltmeisterschaft von Nové Město. Massenstart im Ochozawald - und ein Luchs aus dem Schwarzwald zwischen norwegischen Wölfen. Jede Sehne, jeder Muskel dieses 178 Zentimeter großen Athleten kämpfte sich zwischen Nadelbäumen durch den Schnee, jeder Schub jeder Schritt strahlte das aus. Es war die letzte große Reise des Benedikt Doll, eine letzte Jagd, die im Biathlon immer auch etwas Martialisches hat, etwa weil mit Gewehren gezielt wird. Beinahe wäre es dem Luchs wie so oft im Biotop der Biathleten gelungen, dem Wolfsrudel zu enteilen. Doch in diesem Biotop wird eben auch und mitunter sehr präzise geschossen.
Die finalen Kilometer des Biathleten und Menschen Benedikt Doll in der WM-Loipe von Nové Město dürften so manche seiner langjährigen Beobachter und Begleiter berührt haben. Auch wenn er es zu diesem Zeitpunkt noch nicht kundgetan hatte, war zu erahnen, dass es sein letzter großer Auftritt als Sportler sein würde. Inzwischen ist die Weltmeisterschaft in Tschechien vorbei - und Benedikt Doll hat mitgeteilt, was viele erahnt hatten und nicht wenige seiner Anhänger befürchtet: Der aktuell beste deutsche Biathlet wird seine Profikarriere beenden. An den drei verbleibenden Weltcupstationen nimmt er noch teil, Norwegen, USA und Kanada, zur Vollendung der Saison. Von Donnerstag an nimmt der Luchs noch mal die Witterung auf, am Holmenkollen in Oslo, in der Heimat der norwegischen Wölfe.
Biathlon-WM:Eine Bronzemedaille mit Geschmack
Im Alter von 33 Jahren hat es Benedikt Doll bei der WM noch einmal allen gezeigt, als kaum einer mehr an ihn glaubte. Über einen Biathleten mit feinem Gespür, der nun wirkt, als hätte er von so manchen Dingen genug.
Benedikt Doll hat ein feines Gespür, nicht nur in kulinarischen Fragen, wo er sich - wie der deutsche Biathlon-Koch in Nové Město verriet - professionell in Zurückhaltung übte, sondern auch für so etwas wie das Zwischenmenschliche. Den Abschied verkündete der 33-Jährige seinen 86 000 Instagram-Fans per Videobotschaft mit einer umfassenden Erklärung. Er habe sich zuletzt immer häufiger gefragt: "Warum tu ich mir das noch an?" Dies sei aus sportlicher Sicht nicht ideal. "Man muss immer 100 Prozent motiviert sein, 99 Prozent reichen einfach nicht", sagte er. Aber, so Doll, seine Entscheidung habe noch viel persönlichere Gründe. Er war mehr als sein halbes bisheriges Leben "mehr oder weniger das halbe Jahr unterwegs" und hat "alles dem Sport hinten angestellt". Künftig plane er, "mit meiner Familie daheim mehr Zeit zu verbringen" und sich "beruflich neu zu orientieren". Im Video trug Doll einen Norwegerpulli, ein Luchs im Wolfspelz.
Der Feinschmecker und einstige Weltmeister Doll verlässt die Bühne ohne faden Beigeschmack, im Gegenteil. Im Massenstart von Nové Město hatte er beim letzten Schießen die Medaillenchance vergeben, aber wie könnte man ihm das vorhalten. Es wäre dramaturgisch natürlich hübsch gewesen. Wenn dieser drahtige Mann, der verglichen mit der Konkurrenz aus Norwegen fast schmächtig wirkt, eben wie ein Luchs unter Wölfen, noch mal zugebissen hätte. Der Einzige vom Deutschen Skiverband, der es in den vergangenen Biathlon-Wintern verstand, die ganz Großen fortwährend zu necken. Er wird die insgesamt drei verfehlten Scheiben im Stehen aber verschmerzen können. Er hatte ja zwei Tage zuvor fast alles getroffen und WM-Bronze im Einzelwettkampf abgeräumt.
Und vor allem: Er wusste da längst, dass die zähe Wolfsjagd sich dem Ende entgegenneigt. Und dass sich der schmale Luchs im neuen Biotop künftig beim Apfelstrudel größere Stücke mit einer gewaltigen Portion Vanillesoße erlauben darf.