Sport in der Krise:Sandsturm im Beachvolleyball

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Stark in Rom: Svenja Müller und Cinja Tillmann gewannen bei der WM überraschend Bronze. (Foto: Nicol Marschall; imago/IMAGO/Beautiful Sports)

Eigentlich sollten sich die deutschen Strand-Duos auf die EM in München freuen. Stattdessen herrschen Streit, Missgunst und Polemik - die Freistellung des Sportdirektors könnte für den Sport noch bedrohliche Folgen haben.

Von Sebastian Winter, München

Dieser Sommer ist eigentlich ein sehr schöner Sommer für die hiesige Beachvolleyball-Gemeinde. Sie darf sich auf die EM freuen, die im Rahmen der European Championships auf den Münchner Königsplatz drapiert wurde und deren Finalspiele am 20. und 21. August längst ausverkauft sind. Nur zehn Tage später feiert die Deutsche Meisterschaft in Timmendorfer Strand ihr 30-jähriges Bestehen. Die Vorfreude ist gerade allerdings sehr verhalten.

Der olympische Sport, dem durch die WM-Bronzemedaille von Cinja Tillmann und Svenja Müller in Rom kürzlich ein großer Erfolg gelungen ist, gibt auf nationaler Ebene ein äußerst disharmonisches Bild ab. Das jüngste Beispiel: Sportdirektor Niclas Hildebrand wurde vorerst vom Deutschen Volleyball-Verband (DVV) freigestellt, bis auf Widerruf. Der Grund: "Die Basis für eine gemeinschaftliche Zusammenarbeit war nicht mehr gegeben", sagte die neue DVV-Sportvorständin Julia Frauendorf der SZ. Offizielle Mitteilungen in dieser Sache gibt es bislang nicht, eine Hintertür bleibt offen.

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In Hildebrands vierjährige Amtszeit fiel die WM-Silbermedaille von Julius Thole und Clemens Wickler 2019 in Hamburg, auch WM-Bronze von Tillmann und Müller. Allerdings ist Tillmann just jene Spielerin, die jahrelang gegen den DVV geklagt hatte. Der Grund: Sie fühlte sich mit ihrer früheren Partnerin vom Verband ungerecht behandelt, weil er unabhängig von der Weltranglistenposition seinen Nationalteams ein Startrecht bei internationalen Turnieren zusicherte, aber nicht Tillmann, obwohl sie mitunter besser in der Weltrangliste stand. Die Schadenersatzklage hatte zunächst Erfolg, wurde Ende April aber letztinstanzlich abgewiesen.

Einige Menschen im Verband und um ihn herum freuen sich nun über Hildebrands Vorerst-Demission, auch der dreimalige EM-Fünfte und deutsche Meister von 2021, Alexander Walkenhorst, den Hildebrand einst wegen fehlender Perspektiven nicht mehr berücksichtigt hatte. "Der hat in alle Richtungen gelogen. Es gibt zwei, drei Vertraute, die ihm hinterherhecheln, alle anderen sind froh. Dieser Typ war qualitativ nicht gut genug, um Sportdirektor zu sein", sagte Walkenhorst der SZ. Unparteiisch ist er in der Sache definitiv nicht. Hildebrand wollte sich auf Anfrage aufgrund seines laufenden Arbeitsvertrages nicht weiter zur Sache äußern, die aber längst zum Politikum geworden ist. Denn auch Jürgen Wagner, der als Trainer die Olympiasieger Julius Brink / Jonas Reckermann und Laura Ludwig / Kira Walkenhorst betreute und inzwischen als "Head of Beachvolleyball" am zentralen Stützpunkt in Hamburg arbeitet, droht nun mit seinem Abschied: "Wir haben vor circa zwei Jahren ein von Niclas und mir erstelltes Konzept Höchstleistungssport auf den Weg gebracht. Ohne Niclas sehe ich kaum die Möglichkeit der Umsetzung. Falls sich dies bestätigt, werde ich mich in dem Rahmen nicht mehr weiter engagieren."

Wenn auch Wagner ginge, wäre das ein mittleres Erdbeben im deutschen Beachvolleyball.

Befindlichkeiten und persönliche Fehden spielen hinein in diese Causa. Aber hinter den Kulissen tobt auch ein Kampf um Medienrechte, Posten und die Deutungshoheit.

Retter? Provokateur? Alexander Walkenhorst (links) ist zu einer zentralen Figur im deutschen Beachvolleyball geworden. (Foto: Florian Treiber/Eibner/Imago)

Und über allem steht die Frage, wie sich der viel zu lange bräsig-konservative Verband für die Zukunft rüstet. Digitalisierung, Nachwuchs, Sportentwicklung, so heißen die Zukunftssäulen. Um sie zu forcieren, wurden Hildebrand und dem Hallen-Sportdirektor Christian Dünnes zwei neue Vorstände vor die Nase gesetzt, so empfanden sie das jedenfalls, Julia Frauendorf, eine ehemalige Unternehmensberaterin, und Bernd Janssen, ehemaliger Banker. Sie sollten den Laden ein wenig aufräumen, alte Zöpfe abschneiden, was prinzipiell kein schlechter Ansatz ist. Nur konnte man, wenn man die Fluktuation im Verband (in Halle und Beach) in den jüngsten zwei Jahren betrachtet, den Eindruck gewinnen, dass da mit der Heckenschere gearbeitet wird.

Dass auch beim Spitzensport gekürzt wird, dagegen verwehrt sich Janssen: "2022 haben wir so viel Geld wie nie zuvor in den Spitzensport investiert, mehr als die Hälfte unserer freien Mittel, davon 60 Prozent für Beach und 40 Prozent für Halle." Klar ist zugleich, dass die DVV-Erfolgssparte Beachvolleyball unter Druck steht, Hildebrand jedenfalls forcierte die Zentralisierung der besten Beachvolleyball-Teams in Hamburg, er wollte an die Olympiasiege von 2012 und 2016 anknüpfen. Medaillen bei solchen Großereignissen sind inzwischen das wichtigste Kriterium, um Fördergelder des DOSB fließen zu lassen. Nicht alle fanden die Zentralisierung gut, auch weil das meiste Geld nach Hamburg floss. "Das Einzige, was ich Niclas vorwerfen kann, ist, dass er sämtliche Ressourcen nach Hamburg gelenkt hat. Für den Nachwuchs war das eine Katastrophe", sagt etwa Jörg Ahmann.

Der 52-Jährige gewann mit Axel Hager 2000 in Sydney Bronze, es war die erste Olympia-Medaille überhaupt fürs deutsche Beachvolleyball. Mit den Sponsorengeldern finanzierte sich Ahmann ein Haus, was damals noch undenkbar erschien in diesem Sport. Ende des vergangenen Jahres hat er seinen Job beim DVV als leitender Bundestrainer Nachwuchs aufgegeben, seither ist er Bundesstützpunkttrainer in Stuttgart. "Bei zwei Zehn-Stunden-Honorarstellen für Nachwuchs-Bundestrainer braucht man sich nicht zu wundern, wenn es im Nachwuchs Probleme gibt. Wir haben außerdem viel zu wenige Trainer und Vereine, die den Nachwuchs adäquat ausbilden", sagt er.

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Es ist auch ein Generationenkonflikt, der sich da offenbart, am deutlichsten vielleicht auf der deutschen Beachvolleyball-Serie. Das einst stolze Flaggschiff, früher die lukrativste und zuschauerträchtigste nationale Serie in Europa, versank in den vergangenen Jahren im Chaos. Während der Corona-Pandemie hatte es der Verband gänzlich versäumt, ihr wieder Leben einzuhauchen, 2021 sagte er sie ganz ab. Und dass die Vermarktungstochter Deutsche Volleyball Sport GmbH (DVS) Ende April 2022 insolvent ging, machte alles noch schlimmer. Der Serie drohte das Aus - bis Alexander Walkenhorst in das Vakuum sprang.

Mit seinem Start-up übernahm er die Lizenz und sicherte so die Austragung der Tour. Gestreamt wird auf dem Kanal Spontent, dessen Geschäftsführer Walkenhorst ist. Er selbst sieht sich als Pionier und Wegbereiter in die digitale Zukunft, die Fans werden interaktiv beteiligt. Walkenhorst macht das ziemlich gut, er hat viele Unterstützer gefunden, im Verband, auch im Feld der Spieler, die ihn als eine Art Retter des Beachvolleyballs sehen. Immerhin ist da mal einer, der die Dinge in die Hand nimmt, so ist der Tenor.

Sieht viele Probleme im Beachvolleyball-Sommer 2022: Jörg Ahmann, der Bronze-Gewinner von Sydney 2000 (Foto: Florian Peljak)

Für andere ist er ein Provokateur, der übers Ziel hinausschießt.

Beim Turnier in München lobte Spielervertreter Jonas Reinhardt Mitte Juni die neue Vermarktung in einem längeren Instagram-Post, beklagte aber auch, dass Walkenhorst die Frauen benachteilige, weil sie kaum auf dem Center-Court und damit auch im Stream spielen würden, und beschwerte sich über Walkenhorsts manchmal deftige Wortwahl. Zuletzt polarisierte dieser wieder in seinem Podcast, wo er zum Beispiel sagte, Ahmann und Hildebrand würden sich "hassen".

Ahmann sagt: "Hassen ist völliger Blödsinn, ich kann mich nicht anfreunden mit seiner Polemik. Aber Alexander macht auch vieles richtig. Er hat die deutsche Tour gerettet, das kann man ihm gar nicht hoch genug anrechnen." Allerdings ist Walkenhorst Stand jetzt nur der Retter für einen Sommer. Denn am 18. Juli verkündete der DVV, dass die Gespräche mit der Spontent GmbH über die Ausrichtung ab 2023 gescheitert seien: "Die Vorstellungen beider Seiten lagen zu weit auseinander, was einen Konsens unmöglich machte."

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