Videobeweis:Bitte sehr dringend klarer definieren

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Ein Handspiel von Perisic, eine vergrößerte Körperfläche von Pavard - das Spiel Schalke gegen Bayern zeigt: Der grundsätzlich begrüßenswerte Videobeweis macht sich allmählich lächerlich.

Kommentar von Christof Kneer

Die Frage ist ja, was in so einem Fall passieren würde: wenn ein Feldspieler im eigenen Strafraum den Ball fängt, wenn er ihn unter den Arm klemmt, mit dem Ball eine Runde um den Platz läuft und ihn dann im Mittelkreis ablegt. Wäre das Hand? Und falls der Schiedsrichter es nicht gesehen hätte: Müsste der Videoassistent dann nicht eingreifen und sagen, du, Kollege, übrigens, da is' grad einer mit dem Ball unterm Arm um den Platz gelaufen, willst du dir das vielleicht nicht mal anschauen?

Wenn man sich's genau überlegt, müssten die Antworten auf beide Fragen "ja" und "ja" lauten. Ja, das wäre Hand. Und ja, der Videoreferee müsste eingreifen - im unwahrscheinlichen Fall, dass der Schiedsrichter die Hand nicht selbst erkannt hätte. Und damit nach Schalke.

Handspiel oder nicht Handspiel, das ist hier die Frage: Ivan Perisic lenkt beim Freistoß von Daniel Caligiuri den Ball mit dem Arm ab. (Foto: Horstmüller/imago)

Auch auf Schalke gab es jetzt ja einen unwahrscheinlichen Fall: Beim Spiel gegen den FC Bayern übersah Schiedsrichter Marco Fritz ein Handspiel, für dessen Identifizierung man nicht mal diesen modernen Videobeweis gebraucht hätte. Man hätte auch in den Gründungsjahren der Liga auf einem krisseligen Schwarz-Weiß-Bild erkannt, dass hier ein Spieler (in diesem Fall: der Münchner Perisic) in der Abwehrmauer mit einer statutenwidrig aktiven Armbewegung klärt.

Das sei "ganz klar Körpervergrößerung" gewesen, sagte Schalkes Trainer David Wagner später, "der Spieler sieht den Ball, man weiß, welche Bewegung man hier als Spieler macht, deswegen ist das für mich eine ganz klare Sache". Zuvor hatte schon Bayerns Pavard den Ball im Strafraum mit der Hand berührt, wobei er, wie das im Regeldeutsch heißt, ebenfalls seine Körperfläche vergrößerte. In diesem Fall ließ sich die Schuldfrage etwas ergebnisoffener diskutieren als im glasklaren Fall Perisic, aber das Problem ist ja: Auch von so einer Diskussion hat man nicht viel mitbekommen - auch wenn der Schiedsrichter später Kontakt mit dem Kölner Überwachungsstudio einräumte. Dort habe man ihm signalisiert: keine klaren Fehlentscheidungen.

Kurzer Themenwechsel: Kann man sich spontan erinnern, dass eine strittige Szene zuletzt gegen und nicht für Bayern ausgelegt wurde? Und hatte der Schiedsrichter des Pokal-Halbfinales Bremen gegen Bayern vor seinem kuriosen Elfmeterpfiff für die Bayern im April nicht auch aufs Sichten der TV-Bilder verzichtet?

An diesem kleinen Gedankensprung zeigt sich, wie fatal es ist, dass sich der grundsätzlich begrüßenswerte Videobeweis in solchen Momenten manchmal lächerlich macht. Gerade um so gefährliche Debatten wie die um einen angeblichen Bayern-Bonus zu vermeiden, müsste dem DFB und seinen Referees an größtmöglicher Transparenz gelegen sein. Das Spiel auf Schalke lässt nur noch diese Schlussfolgerung zu: Die Kommunikations- und Hierarchieketten müssen dringend klarer definiert werden. Die Leitstelle in Köln sollte Schiedsrichter in solchen Fällen verpflichtend zum Monitor an den Rasenrand schicken können, lieber einmal zu viel als einmal zu wenig. Sonst passiert genau das, was durch den Videobeweis eigentlich abgeschafft sein sollte: dass der Schiedsrichter wieder der einzige im Stadion ist, der's nicht gesehen hat.

© SZ vom 26.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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