Arbeitssieg für Bayer 04:Schweigen im Keller

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Von allen Bochumern verlassen: Amine Adli erzielt per Kopf das frühe Siegtor für Leverkusen. (Foto: Dennis Ewert/RHR/imago)

Leverkusen rückt auf einen Champions-League-Platz vor. Doch das schmeichelhafte 1:0 gegen Bochum offenbart die Schwachstellen des Werksklubs. Der Aufsteiger muss derweil zwei sonderbare Entscheidungen des Video-Assistenten verkraften.

Von Milan Pavlovic, Leverkusen

Wer mit dem Bundesliga-Fußball der 1970er aufgewachsen ist, für den gab es damals in jedem Jahr mehrmals Bescherung. Denn das ZDF-Sportstudio leistete sich immer mal wieder satirische Beiträge von Rainer Brandt. Der legendäre Synchronsprecher, der schon Dialoge von Jean-Paul Belmondo und Tony Curtis aufgepeppt hatte, legte Kernfiguren der Bundesliga-Historie absurde Sätze in den Mund und verwandelte Udo Lattek, Hennes Weisweiler & Co. in Komödianten. Vieles war absurd, manches nur albern, einiges geradezu genial. Heute würden viele Menschen protestieren, weil der Fußball und das Leben so ernst geworden sind.

An Rainer Brandt konnte man denken, wenn man am Samstag Gerardo Seoane in Leverkusen zusah: Der Trainer von Bayer 04 versuchte beim Spiel gegen den VfL Bochum, von der Seitenlinie Einfluss zu nehmen. Weil viel zu justieren war, artete das zu einer Pantomime aus, zu der Rainer Brandt bestimmt die richtigen Worte gefunden hätte.

Am komischsten war freilich, dass Leverkusen am Ende 1:0 gewann und damit auf Platz vier der Tabelle kletterte, trotz epidemischer Verletzungsmisere und hoher Fehlerquote. Seoane bilanzierte später in seinem Schweizer Singsang nüchtern: "Es war das erwartet schwierige Spiel. Wir wollten nicht so ein offenes Spiel. Wir haben viele Situationen, die wir nicht gut ausspielen. Wir hatten aber die klareren Chancen und haben deswegen verdient gewonnen." Gästetrainer Thomas Reis, dessen Team 18 Torschüsse abgefeuert hatte und damit fast doppelt so viele wie Leverkusen (zehn), sah das erwartungsgemäß anders: "Ein Punkt wäre verdient gewesen." Was soll man sagen - beide hatten recht.

Die frühe Führung ist Gift für Leverkusen

Die Bochumer, die zuletzt besonders in der Defensive erstligareif aufgetreten waren (nur zwei Gegentore in den vergangenen vier Spielen), wirkten noch ungeordnet, als eine mustergültige Flanke von Jeremie Frimpong zum zweiten Pfosten flog. Dort stand in der dritten Spielminute kein Bochumer, dafür genossen zwei Leverkusener alle Freiheiten. Vielleicht glaubten die Gäste, dass der eher klein gewachsene Amine Adli (1,76 Meter) kein brauchbares Kopfballspiel beherrscht, aber der junge Franzose bestrafte sie für diese Nachlässigkeit.

Mitunter sind frühe Tore freilich Gift für die Mannschaft, der das 1:0 gelingt. So auch in Leverkusen, wo die Bayer-Elf die Partie langsam, aber unsicher aus der Hand gab. Auffällig, dass die Leverkusener in der ersten halben Stunde fast durchgängig falsch standen, falsch liefen und den falschen Pass zur falschen Zeit spielten - nicht entschlossen genug und viel zu kompliziert. Während der unterforderte VfL-Keeper Manuel Riemann in seinem Strafraum Dehnübungen gegen die hereinschleichende Kälte machte, hatte sein Gegenüber Lukas Hradecky einen Ballkontakt nach dem anderen, zumeist Abschläge, die in großer Regelmäßigkeit beim Gegner landeten, weil Leverkusen falsch stand, falsch lief ...

Ein ziemlich klarer Elfmeter: Jonathan Tah (rechts) trifft im eigenen Strafraum nicht den Ball, sondern Christopher Antwi-Adjej - doch der Schiedsrichter sieht sich die Szene nicht einmal an. (Foto: Frederic Scheidemann/Getty)

Die Leverkusener konnten von Glück sprechen, dass die strukturierter wirkenden Bochumer erstens ziemlich ungefährlich waren und zweitens zumindest in zwei Szenen über den Einsatz des Videobeweises klagen durften: als Frimpong am Ball vorbeisäbelte und dann in derselben Bewegung unabsichtlich den Bochumer Elvis Rexhbecaj fällte (29.). Und als etwas später Leverkusens Innenverteidiger Jonathan Tah nach einem fatal verunglückten Dribbling am eigenen Strafraum-Eck nicht den Ball trat, sondern den Knöchel des Bochumer Stürmers Antwi-Adjei - der Video-Assistent entdeckte erstaunlicherweise kein Vergehen (39.).

"Der Schiedsrichter sagte zu mir: ,Dunkel-Gelb', aber Dunkel-Gelb gibt es eben nicht!"

"Das kann man schon pfeifen", gab Tah zu. Und Rexhbecaj haderte: "Was willst du noch mehr machen, damit du eine rote Karte bekommst? Schiedsrichter Schlager sagte zu mir: ,Dunkel-Gelb', aber Dunkel-Gelb gibt es eben nicht: Entweder Rot oder Gelb! Ich weiß nicht, was die in Köln im Keller machen. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass wir nur der VfL Bochum sind, dass es egal ist ..." Sein Trainer verzichtete auf Verschwörungstheorien, sondern merkte an: "Ich glaube, das Spiel wäre mit einem Elfmeter und einer roten Karte gegen Leverkusen anders gelaufen."

Die Partie taugte unterdessen als weiterer Beweis dafür, dass Bayer 04 seit der 1:5-Demütigung gegen den FC Bayern Mitte Oktober um Orientierung und Sicherheit bemüht ist. Die Deckung ließ viel zu viele Abschlüsse zu. Das Selbstbewusstsein der Flügelspieler Diaby und Nadiem Amiri sank gegen den VfL mit jedem verbockten Dribbling, wobei der Franzose Diaby wohl noch nie in einem Bundesliga-Spiel so viele falsche Entscheidungen getroffen hat. Taktgeber Kerem Demirbay trat auf, als sei er der wiedergeborene Toni Kroos - allerdings der Kroos der EM 2021, der das Spiel verschleppte statt das Tempo zu erhöhen.

Und Florian Wirtz, der sonst so unwirklich coole Teenager, wirkte nach überstandener Verletzung fast menschlich, als er drei Großchancen ausließ: zunächst per Kopf (16.), dann frei vor Riemann nach kluger Mitnahme (39.), schließlich nach langem Sprint (57.). Hätte der 18-Jährige eine dieser Chancen zum 2:0 genutzt, wäre der Arbeitssieg wohlwollender betrachtet worden. So aber resümierte Hradecky: "Das Zweikampfverhalten und Ballbesitzspiel haben mir überhaupt nicht gefallen. Am Ende war es ein geglückter Tag mit den drei Punkten, aber sonst müssen wir uns wieder verbessern." Niemand würde ihm widersprechen.

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