Basketball-EM in Tiflis:"Sonst verlassen wir das Turnier"

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Der türkische Coach Ergin Ataman regt sich auf, weil auch er in Tiflis vom Parkett musste. (Foto: Irakli Gedenidze/Reuters)

Beim EM-Spiel der Türkei gegen Georgien laufen auf mysteriöse Weise 22 Sekunden Spielzeit von der Uhr. Am Ende gibt es eine Prügelei - die Türken protestieren und drohen.

Von Jonas Beckenkamp, Köln

22 Sekunden sind eine Ewigkeit im Basketball, genug Zeit, um noch mindestens einen Angriff zu starten. Doch der türkischen Nationalmannschaft ist bei ihrem Gruppenspiel in Tiflis gegen Georgien genau dieser Anteil an Spielzeit auf mysteriöse Weise abhandengekommen. Die Begegnung endete nach zwei Verlängerungen 83:88 (75:75, 68:68, 33:36) aus türkischer Sicht - und auf ziemlich skandalöse Weise. Die Türkei legte Protest ein, der Weltverband Fiba kündigte eine Untersuchung an.

Wenige Minuten vor Spielende war die Uhr trotz einer Unterbrechung der Referees einfach weitergelaufen, obwohl keiner der zehn Basketballer auf dem Parkett in diesem Moment wirklich spielte. Die Szenen aus Georgien, wo neben Deutschland, Italien und Tschechien auch Vorrundenpartien stattfinden, umrahmten ein Spiel, das nun eine deftige Nachbetrachtung findet. Nur wenige Stunden nach den Turbulenzen beim deutschen Spiel gegen Litauen ereignete sich damit bei dieser Basketball-EM das nächste Chaos. Auf türkischer Seite erwägt man drastische Schritte, sollte es keine Aufklärung und Sanktionen geben.

Am Sonntagabend hatte die Hitze eines arg umkämpften Duells im Schlussviertel zu reichlich Diskussionen geführt - und zu handfesteren Themen. Nach einer Schubserei zwischen Furkan Korkmaz und Georgiens Duda Sanadze war der türkische NBA-Mann von den Schiedsrichtern des Feldes verwiesen worden. Die Szene ereignete sich, als noch 4:48 Minuten auf der Uhr übrig waren, der Spielstand war eng, beide Teams wollen ins Achtelfinale. Als Korkmaz runter musste, tickte die Spielzeit deutlich sichtbar einfach weiter, ehe es aus dem Getümmel mit einem Angriff der Türken weiterging. Die Tumulte auf der Bank führten so weit, dass in der Folge auch der türkische Nationaltrainer Ergin Ataman aus der Halle flog.

Ähnlich echauffieren musste sich in diesem tosenden Duell auch Georgiens Nationaltrainer Ilias Zouros. (Foto: Irakli Gedenidze/Reuters)

Das war noch lange nicht das Ende der Aufregung, wie der türkische Verbandsvizepräsident Ömer Onan laut dem Portal Eurohoops erklärte: "Als Furkan durch den Gang zur Kabine wollte, attackierten ihn Spieler des georgischen Teams, die nicht im Kader standen, gemeinsam mit einem ebenso vom Feld gestellten Spieler (Sanadze, d. Red.)." Auch die Polizei soll den Profi von den Philadelphia 76ers physisch angegangen sein, angeblich hätten 30 (!) Beamte die Türken zu einer heftigen Rangelei genötigt. "Ich fordere den Weltverband auf, sich hier nichts vormachen zu lassen", regte sich Onan auf: "Wir sind nicht bescheuert. Sie sollen uns die Kamera-Aufzeichnung von den Ereignissen im Kabinengang liefern und zwar Minute für Minute - sonst verlassen wir das Turnier."

Diese Drohung relativierte Coach Ataman tags darauf zwar, er blieb aber bei der türkischen Sichtweise: "Eigentlich haben wir nicht vor, auszusteigen, aber wenn es so weitergeht, können wir keinen Basketball spielen." Er habe mit anderen Teams gesprochen, mit den ebenfalls in Tiflis aktiven Montenegrinern, mit den Spaniern, "sie alle beschweren sich über die Bedingungen hier". Ataman betonte, dass die Angelegenheit nun bis in höchste Kreise gelangen könnte. "Ohne die nötige Sicherheit ist das auch ein Thema für unseren Verband, die Botschaft und unsere Regierung."

"Wir sind hier, um Basketball zu spielen, nicht zum Boxen", schimpft der türkische Co-Trainer

Unter den Angreifern soll auch Georgiens bester Basketballer Toko Shengelia gewesen sein, der bei der EM verletzt zuschauen muss. "Die Polizei tat so, als würde sie uns schützen, aber sie haben uns geschubst und beinahe hätten wir uns mit den Beamten geprügelt", beschrieb Funktionär Onan die Situation. Der türkische Co-Trainer Hakan Demir, der für Ataman übernommen hatte, sprach davon, dass die Georgier seine Delegation respektlos behandelten: "Wir sind hier, um Basketball zu spielen, nicht zum Boxen. Das hier ist ein großer Skandal."

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Und was die geklaute Spielzeit betraf, da vermuten die Türken niederes Gedankengut. "Es waren eben nicht ein oder zwei Sekunden, sondern 22, deshalb gehen wir von Absicht aus", echauffierte sich Demir. Zu dem Zeitpunkt lagen die Georgier vorne, jede Sekunde von der Uhr erhöhte den Druck auf die Türken. "Wir sind hergekommen in der Annahme, dass Georgien uns freundlich empfängt", sagte Demir, "aber das können wir nicht akzeptieren."

Während die Kölner Halle meist voll ist, selbst wenn Deutschland nicht spielt, sei die ganze Atmosphäre in Georgien "sehr schlecht", wie Coach Ataman schon im Vorfeld erzählt hatte. "Hier kommen teils nur 100 Fans in die Halle", die Organisation lasse ebenfalls zu wünschen übrig. So bleibt neben der Frage, wie die Georgier die Sache sehen, vor allem eines hängen: Auch hier machten die Schiedsrichter einen überforderten Eindruck.

Es wird deutlich, dass bei dieser EM nicht die besten Referees ihres Fachs am Werk sind: Die Schiedsrichter, die als Profis in der Euroleague pfeifen, dürfen beim Fiba-Event Europameisterschaft nicht ran, weil der Weltverband seit Jahren mit der Euroleague im Clinch liegt. Es geht um Geld, Einfluss, freie Zeitfenster für Spiele der Nationalmannschaften und Wettbewerbe, die teils parallel aneinander vorbeilaufen. Bei der EM stellt die Fiba ihre eigenen Schiedsrichter, doch deren wenig stringente Handhabe wirkt schon im ganzen Turnierverlauf fragwürdig - siehe ein "vergessener" Freiwurf für die Litauer im Duell mit Deutschland.

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