Basketball-EM:Die ganze Halle ist fix und fertig

Dennis Schröder Daniel Theis Basketball

Dennis Schröder und Daniel Theis waren in Köln Zeugen eines spektakulären Basketballspiels gegen Litauen.

(Foto: Thilo Schmuelgen/Reuters)

Deutschlands Nationalteam erlebt in einem verrückten Spiel gegen Litauen, was Basketball für einen Sog entwickeln kann. Für Aufregung sorgt ein Protest der Litauer wegen eines "vergessenen" Freiwurfs.

Von Jonas Beckenkamp, Köln

Dass diese Hitchcock-Nummer gegen Litauen ein "instant classic" ist, daran dürften nur Spielverderber zweifeln. Zu was für einem intensiven und kuriosen Basketballmatch sich diese dritte deutsche Gruppenbegegnung bei der EM entwickelte, dokumentierten irgendwann die Gesichter auf den Tribünen. Da kauerten perplexe Menschen vor ihren Sitzen, durchgebeutelt und den Wendungen dieses Nachmittags ausgesetzt. Emotionen gab es tonnenweise.

"Ein ganz verrücktes Ding" sei das gewesen, meinte Johannes Thiemann, von "Wahnsinn" sprach gar der sonst besonnene Johannes Voigtmann. Die Superlative purzelten nur so durch die Interviewzone nach dem 109:107 gegen die Litauer. Die Seltenheit von zwei Verlängerungen hatte es gebraucht, ehe das Heimteam erneut einen Sieg davontrug. 3:0 Siege lautet nun die Bilanz, das Achtelfinale ist damit klar, nach den restlichen Duellen gegen Slowenien (Dienstag) und Ungarn (Mittwoch) geht es weiter in Berlin.

Basketball-EM: Franz Wagner spielte in seinem erst achten Länderspiel überragend - und wurde zum Man of the Match gewählt.

Franz Wagner spielte in seinem erst achten Länderspiel überragend - und wurde zum Man of the Match gewählt.

(Foto: Thilo Schmuelgen/Reuters)

Das Selbstbewusstsein dieser Generation deutscher Basketballer schwillt gerade an wie ein überreifes Gewächs. Aus dem DBB-Lager kommen mittlerweile Töne voller Überzeugung, dass es bei diesem Turnier wirklich aufs Podium gehen könnte. So wie zuletzt 2005, als man Silber holte. "Wir haben nie daran gezweifelt, dass was geht", sagte Andreas Obst. Ob er diese These auch während der Schlussphase des Litauen-Thrillers aufrechterhalten hätte, als die Spannung kaum auszuhalten war? Als die Geschichte des Spiels mehrfach über den Haufen zu werfen war, weil wieder jemand eins draufsetzte?

Der letzte Versuch des Litauers Arnas Butkevičius knallte wie in Zeitlupe gegen den Ring

Eine Erfolgserzählung ist gewiss die Vorstellung von Franz Wagner, der 32 Punkte erzielte, dazu acht Rebounds und Litauen mit seinen Riesenschritten zum Korb, seinem Kreativgeist und seiner "Scheiß dir nichts"-Attitüde immer wieder übermannte. "Es war einfach toll, ihm zuzuschauen", fand Voigtmann, "auch seine Verteidigung war beeindruckend." In der Tat: Zu den Wagner-Festspielen in der Offensive gesellten sich wieder zwei Blocks aus der Kategorie "highlighttauglich".

Und so wird immer klarer, wer bei dieser EM als größtes Spektakel beim DBB gelten darf. Es ist der 21-Jährige von den Orlando Magic, der sich in jeder Sekunde auf dem Parkett fortzuentwickeln scheint. "Auch diese individuelle Klasse hat uns diesmal gerettet", fand Thiemann, "wir haben gemerkt, dass unsere Scorer übernehmen können." Neben Wagner kamen auch Maodo Lô (21) und Dennis Schröder (25) auf mehr als 20 Punkte - in einem deutschen Team gab es das bei einer EM zum ersten Mal in der Fiba-Historie.

"Aber sie haben auch gefühlte 50 Minuten gespielt heute", scherzte Bundestrainer Gordon Herbert, "alle drei können eben ein Spiel auf diese Weise an sich reißen." Am Ende, als alle in der Arena nach Luft japsten, als nur noch jene Basketballer auf dem Feld standen, die noch laufen konnten und keine fünf Fouls hatten, war Maodo Lô derjenige mit der größten Eiseskälte: Zwei Dreier in der zweiten Verlängerung, da konnten die Litauer nicht mehr nachziehen - ihr letzter Versuch von Arnas Butkevičius knallte wie in Zeitlupe gegen den Ring. Die Halle tobte im Dezibelbereich eines Raketenstarts, ein Litauer blieb am Auge blutend liegen.

Ende. Basketball, um Himmelswillen.

"Ich wäre heute auch gerne Zuschauer gewesen", meinte Voigtmann, vor Erschöpfung über eine Balustrade gelehnt. "Es hat extrem viel Spaß gemacht, ich habe jede Sekunde genossen", fand Wagner, der wie Schröder (in der regulären Spielzeit) den vermeintlichen Gamewinner in den Händen hatte, aber in der ersten Verlängerung scheiterte. "Jeder, der selber in einem Sport gespielt hat, kennt das", beschrieb der Berliner seine Gefühle, "man spielt am besten, wenn man seinen Instinkten folgt."

Basketball-EM: Bundestrainer Gordon Herbert kassierte ein technisches Foul, das zwar geahndet wurde - aber der fällige Freiwurf für Litauen blieb aus.

Bundestrainer Gordon Herbert kassierte ein technisches Foul, das zwar geahndet wurde - aber der fällige Freiwurf für Litauen blieb aus.

(Foto: Thilo Schmuelgen/Reuters)

Und die scheinen Wagner und seine Kollegen derzeit nicht zu verlassen. Es ist was entstanden in diesen Tagen von Köln, dafür besteht eine stichhaltige Beweislage. Deutschland hat eine Truppe "mit viel Chemie", erklärte Herbert und man habe diesmal auch besser zusammengespielt als zuletzt beim Zupfen und Ringen mit Bosnien-Herzegowina. Und der Coach wiederholte prompt das Ziel dieser Basketball-Mission im eigenen Land: "Wir wollen hier eine Medaille, das ist klar."

Die Litauer legen nach Spielschluss offiziellen Protest ein - es geht um einen Freiwurf, der "vergessen" wurde

So blieb zum Schluss noch eine Sache zu klären, wegen der die Litauer im Nachgang offiziell Protest einlegten: Sechs Sekunden vor Ablauf der ersten 40 Minuten hatte sich Aufregung wegen einer Szene 1:26 Minuten vor Schluss des dritten Viertels verbreitet. Die Schiedsrichter wollten kurz vor Spielschluss offenbar einen litauischen Freiwurf nachholen lassen, doch eine solche Maßnahme gibt das Regelwerk nicht her. Litauens Koloss Jonas Valančiūnas (34 Punkte, 14 Rebounds) hatte nach einem Foul zwei Freiwürfe geworfen - nicht aber einen dritten.

Den hätte er wegen eines zusätzlich ausgesprochenen technischen Fouls gegen den ungehaltenen Gordon Herbert bekommen müssen. Weil die Angelegenheit trotz Einwänden seitens der litauischen Bank (und offenbar auch des Kampfgerichts) bis zum Spielende aber ungeklärt blieb, teilte der Hallensprecher im Getümmel mit, die Spielleitung hätte einen Freiwurf "vergessen" - und die Partie lief schließlich weiter.

Regel 44.2.1 des Fiba-Handbuches besagt, dass eine Korrektur in solchen Fällen nur bis zur nächsten Spielunterbrechung nach der fragwürdigen Szene möglich ist. Noch in der Nacht veröffentlichte der Verband ein Statement, in dem er den Protest der litauischen Delegation abwies. Begründung: Es habe zudem ein Formfehler vorgelegen, da die Balten ihre Klage nicht binnen 60 Minuten nach der Schlusssirene ausreichend begründet hätten. Ein bisschen verrückt, so wie dieses ganze Spiel eben.

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