Barcelona-Coach Valverde:Seine Resultate sprechen eine formidable Sprache

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In Barcelona werfen sie Ernesto Valverde Stilbruch und zu viel Defensive vor, dabei ist der Verein erfolgreich wie lange nicht. Portrait eines Trainers mit besonderer Begabung.

Von Javier Cáceres, Liverpool

Wenn sich Ernesto Valverde, der Trainer des FC Barcelona, am Dienstagabend in Anfield kurz vor 21 Uhr auf die Trainerbank setzt, wird er von Dutzenden Menschen umringt sein, die er gewissermaßen als Kollegen begreifen könnte. Und nicht anders wird es sein, wenn er nach der Partie, dem Rückspiel im Halbfinale der Champions League, im Presseraum das Surren und Klicken der Fotokameras hört und seine Augen wegen der blitzenden Lichter zu kleinen Schlitzen formt.

Valverde, 55, ist nicht nur der Trainer des alten und neuen spanischen Meisters - noch ein Spiel vom Champions-League- Finale und damit vom größten Erfolg seiner Karriere entfernt. Valverde ist auch Fotograf, und als solcher mit einem größeren künstlerischen Talent gesegnet als so mancher, der ihn von Berufs wegen ablichtet. Die Fotografie, sagte Valverde unlängst in einem bemerkenswerten Interview mit der Zeitung La Vanguardia, sei eine Form, dem Alltag zu entfliehen. Doch es sei "kein Hobby, sondern etwas sehr Ernsthaftes in meinem Leben".

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Bemerkenswert war das Interview auch deshalb, weil Valverde eigentlich für exklusive Gespräche nicht zur Verfügung steht, seit er 2017 die Arbeit bei Barça aufnahm. Das Gespräch mit dem Bildchef der Vangaurdia war eine Ausnahme, eine weitere machte er für die Zeitung Sport. Sie hatte Valverde aus Anlass des wundervollen Feiertags Sant Jordi, zu dem die Liebenden in Katalonien einander eine Rose und ein Buch schenken, gebeten, über seine literarischen Vorlieben zu reden. "Wer nicht liest, weiß nicht, was er verpasst", sagte Valverde. Das Buch, das ihn im vergangenen Jahr am meisten geprägt habe, sei "Sentimental Journey" von Nobuyoshi Araki gewesen, ein Bildband des, nun ja: japanischen Messis der Schwarzweiß-Fotografie.

Er wird "Txingurri" genannt, baskisch für die Ameise

Als Valverde die klassische Frage beantworten sollte, welche drei Bücher er mit auf eine einsame Insel nehmen würde, nannte er unter anderem einen Essayband von David Trueba und den Roman "Der Sohn des Akkordeonspielers" des baskischen Schriftstellers Bernardo Atxaga. Beide sind ihm gute Freunde. Für Trueba übernahm er einst bei einem Film die Bildregie, Atxaga hat mit Valverdes Bruder Mikel, einem renommierten Illustrator, Comics veröffentlicht - und den Prolog eines Ausstellungskatalogs Valverdes verfasst. "Die Fotografien von Ernesto Valverde sind gleichzeitig delikat und hart, wie von zwei Händen gemacht: von einer japanischen Hand, die auf die Landschaften achtet, vor allem auf die inneren, und einer deutschen Hand, die sich um die Porträts kümmert", schrieb Atxaga. "Manchmal agieren beide (Hände) zusammen." Weich und hart in schwarz und weiß, sozusagen.

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Oder eben in burgundrot und blau, den Farben des FC Barcelona. Valverde hat vor wenigen Wochen den zweiten Meistertitel in Serie perfekt gemacht, er steht zum zweiten Mal nacheinander im Pokalfinale, und seit dem 3:0-Hinspielerfolg gegen das Liverpool des Jürgen Klopp braucht er als Barça-Coach auch nicht mehr das Teleobjektiv, um den Endspielort Madrid zu sehen. Als Valverde nach dem ersten Titelgewinn gefragt wurde, wie er seinen Erfolgsanteil beschreiben würde, lieferte er eine Antwort, die achselzuckend klang und viel von seiner Diskretion erzählt, davon, dass er in aller Stille viel beobachtet - und erst dann abdrückt, wie der Fotograf, der er ist: "Man versucht halt Dinge beizutragen, dass die Mannschaft zusammen ist, und dass man dabei nicht zu sehr zu stört."

Valverde ist in der kargen Extremadura geboren, seine Eltern wanderten aus ins Baskenland, als er noch ein Baby war. Der Vater verdingte sich als Industriearbeiter in einer Reifenfabrik, bekam viele der brutalen Arbeitskämpfe mit, die irgendwann in Vergessenheit gerieten, als das Baskenland zu einem Synonym des bewaffneten Kampfes der separatistischen Eta wurde. Valverde wurde Fußballer, debütierte als Profi erst bei Deportivo Alavés, begann in Bilbao aber auch ein Studium der Biologie, das ihm vor allem eines gab: eine Frau fürs Leben.

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Faszination bereitete ihm damals schon die Fotografie, zu seinen Erinnerungen aus jenen Tagen gehört, dass er sich seine erste richtige Kamera von einem Kollegen auf den Kanaren erstehen ließ; damals waren die Steuersätze dort für solche Produkte erheblich günstiger. 1986 wechselte Valverde in die katalanische Hauptstadt und spielte dort nicht nur Fußball - zunächst bei RCD Espanyol, mit dem er im Uefa-Cup-Finale 1988 gegen Leverkusen unterlag, dann beim FC Barcelona unter Johan Cruyff, mit dem er einen Pokal und einen Europapokal der Pokalsieger holte.

Er schrieb sich vor allem am "Institut d'Estudis Fotogràfics" ein. 1990 ging er zu Athletic Bilbao, wo er wieder auf den Mann traf, der ihn "Txingurri" getauft hatte, baskisch für die Ameise: seinen Espanyol-Trainer Javier Clemente. Später sollte er in Bilbao unter Jupp Heynckes spielen, den er im Gespräch mit der SZ 2018 auf eine Stufe mit Clemente und Cruyff stellte und eine "wichtige Inspiration" für seine Trainerkarriere nannte, als der einstige Bayern-Coach seine Karriere beendete.

Die Trainerkarriere des Ernesto Valverde begann in der Nachwuchsabteilung von Athletic Bilbao, wo er auch die nunmehr florierende Frauenfußballabteilung aufbaute, und führte ihn bis zum Cheftrainerposten der ersten Mannschaft, die er in seinem zweiten Jahr, 2005, auf den fünften Platz der spanischen Liga führte. Es schlossen sich Engagements bei Espanyol (2006- 2008), Villarreal, Valencia, neuerlich Bilbao und vor allem zwei Mal bei Olympiakos Piräus an.

FANS OLYMPIACOS, PANATHINAIKOS-OLYMPIACOS, 2-1; Fotoserie von Ernesto Valverde, dem heutigen Trainer des FC Barcelona (Foto: Ernesto Valverde)

In Griechenland schoss er fantastische Fotos, gereichte aber vor allem vielen Griechen zur Gottheit, weil er Olympiakos zu drei Meisterschaften und zwei Pokalen führte - eine Labsal in widrigen Zeiten der monumentalen Krise. Er erlangte obendrein den Respekt von Barças Übervater Johan Cruyff ("Es macht Spaß, seinen Mannschaften zuzuschauen"). Dessen Worte klangen vielen Barça-Fans im Ohr, als Valverde 2017 den heutigen spanischen Nationaltrainer Luis Enrique beerbte, der 2015 das bislang letzte "Triple" Barças geholt hatte. Nun eifert Valverde ihm nach.

Sie attestierten ihm lange einen Stilbruch

Die Skepsis, die in Barcelona hin und wieder durchschimmerte, wird allmählich grobkörniger. Die Mannschaft hat er eh auf seiner Seite, weil sie seine unaufgeregte Art schätzt, seine Neigung, alles zu entdramatisieren, die Spieler einzubinden und ihnen im Zweifel die Entscheidungsgewalt auf dem Platz zu überlassen. Die radikalsten Puristen des "Cruyffismus" im Camp Nou aber attestierten ihm lange einen Stilbruch, weil er der Defensive einen höheren Stellenwert beimisst als diverse Vorgänger.

Im Hinspiel gegen das physisch fordernde Team Liverpools fand er nichts dabei, den früheren Bayern-Profi Arturo Vidal aufzustellen, weil man mit dem Chilenen in den Krieg ziehen kann, wie es Pep Guardiola einmal formulierte. Die Ballbesitz-Fraktion hätte lieber den Brasilianer Arthur spielen sehen. Die Ergebnisse sprachen eine so formidable Sprache für Valverde wie seine bisherige Gesamtbilanz. Er hat bei Barça in 116 Pflichtspielen 105 Siege erzielt. Am Samstag verlor Barcelona in Vigo als frischgekürter spanischer Champion erst sein viertes Ligaspiel - in zwei Jahren. Und: Valverde hat wichtige Fürsprecher. Allen voran Lionel Messi, 31.

Der Kapitän lieferte sich kleinere Scharmützel mit beiden Triple-Trainern Barças, mit Pep Guardiola und mit Luis Enrique. Mit Valverde aber versteht er sich, weil dieser "sich nicht darum schert, zu transzendieren, weil er weder Größenwahn noch Wichtigskeitsanfälle verspürt, sich nicht für den Wächter eines Stils hält, sondern alles macht, um zu gewinnen", wie die Zeitung El País nach der Partie bei Betis Sevilla beobachtete. Dort gewann Barça zwar mit 4:1, Messi wurde mit einer Ovation bedacht - in Barcelona aber kreisten die Debatten darum, dass Betis mehr Ballbesitz gehabt hatte.

Das Wort der Nummer 10 gilt. Amen

Für ein solches Sakrileg war ein Trainer der jüngeren Barça- Vergangenheit, Tata Martino, fast gevierteilt worden; Messi erstickte nach der Partie bei Betis jede Kritik im Keim. Man habe taktisch perfekt gespielt, das Spiel mit und ohne Ball beherrscht, sagte er. Ein solches Lob war ihm zuvor noch über keinen Trainer über die Lippen gekommen. Und das Wort der Nummer 10 gilt. Amen.

Und nun? Barcelona muss an der Anfield Road in Liverpool ein 3:0 verteidigen, mit Messi, mit Suárez, mit ter Stegen, mit Piqué und wie sie alle heißen. Und dennoch warnte Valverde schon nach dem Hinspiel, dass man letztes Jahr bei der AS Roma einen Dreitorevorsprung aus der Hand gegeben habe, was nichts anderes bedeutete, als dass man vor nichts gefeit sei, weder auf dem Rasen noch im Leben.

Genau das sei es auch, was er mit der Kamera einfangen wolle, sagte er einmal. In Schwarzweiß, weil dem "etwas Poetisches, Mysteriöses" innewohne, weil es "etwas sagt, ohne es zu sagen". Sollte er sich mal selbst porträtieren, würde er anstreben, "den Grad an Verletzlichkeit einzufangen, den wir alle haben", sagt Valverde. Und was sollte schon verletzlicher sein als eine Fußballmannschaft, so sehr sie oft in Technicolor geglänzt hat.

© SZ vom 07.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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