Venus Williams:Raus mit erhobenem Kopf

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Stiller Schmerz: Venus Williams bei der viertelstündigen Behandlungspause - dann nahm sie den Schläger und spielte weiter. (Foto: William West/AFP)

Venus Williams verletzt sich bei den Australian Open am Knöchel - doch die 40-Jährige gibt ein Beispiel, wie man mit zäher Würde ein Tennismatch zu Ende spielt.

Von Barbara Klimke, Melbourne/München

Vielleicht der schönste Punkt der Partie kam gleich zu Beginn des zweitens Satzes: ein Return, lang, hart, elegant, mit enormer Geschwindigkeit geschlagen. Vernichtend wie ein Laserstrahl fräste sich der Ball in den Boden, nahe an der Gegnerin, aber Lichtjahre jenseits der Erreichbarkeit. Ein Schlag wie ein Monument, ein Kunstwerk des Tennis, das Venus Williams noch immer jederzeit hervorbringt. Auch wenn sie nicht mehr laufen kann, wenn sie bei jedem Schritt einknickt und hinkt.

Venus Williams ist 40 Jahre alt, sie hat sieben Grand-Slam-Titel gewonnen, fünfmal allein in Wimbledon, und eine aberwitzige Anzahl von Matches gespielt. Diese Partie der zweiten Runde der Australian Open gegen die Italienerin Sara Errani aber wird in Erinnerung bleiben; nicht wegen des Ergebnisses (1:6, 0:6), nicht einmal wegen Venus Williams' fantastischer Vorhandschläge, sondern wegen ihrer Disziplin, ihres Arbeitsethos und ihrer Entschlossenheit, sich von nichts und niemandem unter keinen Umständen kleinkriegen zu lassen.

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Es war im ersten Satz passiert, beim Stand von 1:5, als Williams zum Netz lief, umknickte und vor Schmerz laut aufschrie. Sie konnte kaum noch den Fuß aufsetzen. Die Physiotherapeuten wurden auf den Platz gerufen, zwei medizinische Auszeiten beansprucht, der rechte Knöchel verbunden, das schon vorher lädierte linke Knie umwickelt. Dann griff Venus Williams zum Schläger und spielte weiter, so gut es ging - würdevoll, einen ganzen Satz lang, sogar zwei Matchbälle wehrte sie noch ab. Und jeder, der zusah, konnte erkennen, dass die Wucht ihres Aufschlags und die aufblitzende Eleganz dem Spiel ihrer auch schon 33 Jahre alten Gegnerin trotz allem überlegen waren.

Ihr Alter? "Tennis ist mein Job"

Zur Diagnose lagen bis zum Abend keine offiziellen Informationen vor, und so klang nach, was die ältere der beiden Williams-Schwestern am Montag bei ihrem Auftaktsieg gegen die Belgierin Kirsten Flipkens (7:5, 6:2) gesagt hatte: "Egal, was passiert, man muss den Kopf hochhalten, man muss immer hundert Millionen Prozent geben." Das versuche sie jeden Tag aufs Neue, darauf sei sie stolz.

Auf ihr Alter wird sie ungern angesprochen, die Replik fällt meist scharf und schnell wie ein Schwert: Tennis sei ihr Job. Ende der Debatte. Die frühere Nummer eins der Welt ist inzwischen auf Ranglistenplatz 81 zu finden. Das Vorbereitungsprogramm für die Australian Open, die sie zum 21. Mal beehrt, hat sie mit ihrer ein Jahr jüngeren, noch erfolgreicheren Schwester Serena absolviert. Es gibt wohl keinen besseren Sparrings-Partner. Serena Williams strebt in Melbourne ihren 24. Grand-Slam-Titel an, nach einem 6:3, 6:0 über die Serbin Nina Stojanovic liegt sie bei ihrer einsamen Rekordjagd auf Kurs und könnte auch davon profitieren, dass zwei weitere ehemalige Grand-Slam-Siegerinnen, Petra Kvitova, 30, und Bianca Andreescu, 20, am Mittwoch auf der Strecke blieben.

Auch ansonsten stehen sich die beiden künstlerisch, unternehmerisch und sportlich tätigen Schwestern weiterhin sehr nahe. Das Architektur-Magazin AD hat jüngst einen Bericht über Serena Williams' Haus in Florida veröffentlicht, entworfen und ausgestattet hat sie es gemeinsam mit Venus und deren Designfirma V Starr. In diesem Haus gibt es, so ist nachzulesen, ein Karaoke-Zimmer mit aquamarinblauen Samtmöbeln, in dem beide manchmal singen. Verpönt seien Songs wie "Bohemian Rhapsody", heißt es, oder "I Will Survive" (zu deutsch: "Ich werd's überleben"). Naheliegend, wenn man Venus Williams' Leidensfähigkeit kennt. Über das, was man erlebt, braucht man ja nicht zu singen.

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