Kerber hat nun am Donnerstag wie auch die DTB-Kollegen Laura Siegemund und Peter Gojowczyk die Möglichkeit, die dritte Runde zu erreichen. Aber im Grunde muss die hochdekorierte dreimalige Grand-Slam-Siegerin niemandem mehr etwas beweisen, höchstens sich selbst. Das unterscheidet sie von dem zehn Jahre jüngeren Alexander Zverev, dessen erhoffter Katapultstart in eine neue Umlaufbahn ebenfalls Dienstagnacht in Down Under, nur ein paar Meter entfernt, begann. Wie es die Turnierleitung wollte, die für ihr Abendprogramm am Yarra River Tennisprofis mit Meriten oder großen Namen bucht, war auch Zverevs Partie in der benachbarten Margaret-Court-Arena als letztes Auftritt in der "Night Session" angesetzt. Sein Matchball gegen den Italiener Marco Cecchinato, 27, schlug nur eine Minute später als Kerbers auf den Platz.
Die Erleichterung Zverevs über seinen Dreisatzsieg war ebenfalls offensichtlich. Schon deshalb, weil er vor australischem Publikum einiges gutzumachen hatte nach drei blamablen Auftritten zu Beginn des Monats, als er bei dem neu geschaffenen Mannschaftswettbewerb ATP Cup in Brisbane, einem Prestigeprojekt des australischen Verbandes, seinen Ruf als Weltranglisten-Siebter und Coverboy einer neuen, aufregenden Tennisprofigeneration riskierte. Dreimal war der 22 Jahre alte ATP-Weltmeister von 2018 dort angetreten, dreimal hatte er krachend verloren und eine Art Komplettkontrollverlust beklagt: "Ich habe rumgestanden wie jemand, der die Bälle aufsammelt." Von Fernsehexperten wie dem früheren Weltklassespieler Mats Wilander musste er sich vorhalten lassen, dass er mit den Top-Spielern derzeit wegen taktischer Defizite nicht mehr mithalten könne. Er spiele "zu passiv und zu wenig variabel", bei Grand Slams sei das verhängnisvoll.
Als es darauf ankam im Match gegen Cecchinato, Nummer 77 der Welt, einen Spieler, dem Sandplätze mehr als harte, schnelle Böden liegen, eroberte sich Zverev die Kontrolle zurück. In jedem Satz lag er zurück, in jedem holte er in den Rückstand umgehen wieder auf. Der zuletzt alarmierende Aufschlag war stark verbessert, vier Doppelfehler standen acht Asse gegenüber. Den schönsten Punkt zum ersten Satzgewinn sicherte er sich bei einem Netzduell per Volley und Lob.
Als er zum Hallenmikrofon gebeten wurde nach dem erlösenden Auftaktsieg, sicherte Zverev dem Publikum finanzielle Hilfe bei der Behebung der Schäden der Buschbrandkatastrophe zu. 10 000 Australische Dollar will er nach jedem Sieg in Melbourne spenden. Und falls er das Turnier gewinnen werde, soll das gesamte Preisgeld, vier Millionen Dollar, an den Benefizfond gehen. "Wir sind hier als Tennisprofis jedes Jahr einen Monat im Land zu Hause", sagte er. "Und weil wir zu den glücklichen, nicht betroffenen Menschen gehören, dann können etwas zurückgeben." Er verließ die Halle unter Applaus.