Nicht durch Ausdauer, nicht durch Taktik werden Tennismatches bei den Australian Open bisweilen entschieden. Sondern manchmal nur durch den Versuch, die eigene Verunsicherung zu überspielen. Angelique Kerber, die verletzt nach Melbourne gereist war, hat in ihrem Eröffnungsspiel gegen die Italienerin Elisabetta Cocciaretto (6:2, 6:2) ein Lehrstück in dieser Teildisziplin gegeben. Und in einer bemerkenswerten Duplizität der Ereignisse bezwang ihr Kollege Alexander Zverev nahezu zeitgleich ebenfalls einen Gegner vor und einen hinter der Netzkante (6:4, 7:6 /4, 6:3), Marco Cecchinato und die eigenen Selbstzweifel.
Nacht lag schon über Melbourne, als Kerber, 32, am Dienstag um 22 Uhr ihren ersten Arbeitstag im Match gegen die 18-jährige Qualifikantin aus Ancona in der Rod-Laver-Arena beginnen konnte. Der Verzug kam ihr nicht unrecht. Je länger sie ihren Oberschenkel schonen könne, desto besser, lautete der Rat ihrer Physiotherapeuten. Die Blessur hatte sie sich in der Vorwoche zugezogen, beim Turnier in Adelaide, das ihr als Vorbereitung für den erste Grand-Slam-Wettkampf des Jahres, die Australian Open, dienen sollte. Doch statt sich in Adelaide in Form zu spielen, lag sie dort mit schmerzverzerrtem Gesicht bäuchlings auf dem Court und ließ die Mediziner kommen. Als sie sich wieder aufrappeln konnte, musste die Generalprobe allerdings doch abgebrochen werden. Das Risiko war einfach zu groß, weiter die Gesundheit zu gefährden. Aber die Zeit bis zu ihrer Premierenvorstellung in Melbourne wurde knapp.
"Ich wusste nicht, wie ich mich fühlen würde", gab Kerber zu, als sie am Dienstag die erste Härteprobe gegen Cocciaretto, Nummer 175 der Weltrangliste, überstanden hatte. Allein die ersten beiden Spiele dauerten 24 Minuten, bis sie sich einen 2:0-Vorsprung erarbeitet hatte. Der Sieg war schwerer erkämpft, als das Ergebnis vermuten ließ, gab die Titelträgerin von 2016 zu, sie kannte weder die junge Kontrahentin noch die Belastungsfähigkeit der eigenen Beine. Am Ende wusste sie zumindest, dass die Schmerzen sich in Grenzen hielten und die Behandlungen der vergangenen Tage angeschlagen hatten. Letztendlich, sagte sie, gehe sie nun mit einiger Zuversicht in die nächste Runde des Turniers.
Nach Kerbers Plänen soll 2020 mit neuem Team und Trainer die Wende bringen nach der vergangenen Saison, in der sie nicht nur ohne Turniersieg blieb, sondern bei den Grand-Slam-Wettbewerben in Paris sowie in Flushing Meadows schon in der ersten Runde verlor. Tiefpunkt war das Wimbledonturnier, wo sich für die Titelverteidigerin nach der zweiten Runde die schmiedeeisernen Pforten des Nobelklubs vorzeitig hinter ihr schlossen. Sie hat sich danach lange Zeit gelassen, ehe sie in Dieter Kindlmann, der früher unter anderem mit Maria Scharapowa gearbeitet hatte, einen neuen Coach fand, dem sie vertraut. "Er kennt die Tour", sagt sie, Kindlmann ist ein Experte der Frauentennisszene, diese Zusammenarbeit wird nun ersten Belastungsprüfungen unterworfen. Aber das Duo sieht sich auf einem guten Weg.