Grand-Slam-Turnier:Kerber triumphiert in Melbourne

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Zum ersten Mal in ihrer Karriere küsst Angelique Kerber einen Grand-Slam-Pokal. (Foto: dpa)
  • Angelique Kerber hat die Australian Open gewonnen und ihren ersten Grand-Slam-Titel geholt.
  • Mit einer läuferisch und spielerisch außergewöhnlichen Leistung bezwingt sie Serena Williams im Finale von Melbourne mit 6:4, 3:6 und 6:4.
  • Das Match in der Liveticker-Nachlese finden Sie hier.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Das Match war noch gar nicht entschieden, da setzte eine eigenartige Stimmung in der Rod Laver Arena ein. Reporter rannten los, von der Pressetribüne in den "Media Work Room". Viele Zuschauer riefen nun immer öfter zwei Namen, "C'mon, Angieeee!" - "C'moooon, Serenaaaa!" Das Gefühl war ja jetzt einfach da, dass die ganz große Überraschung tatsächlich eintreten könnte. Kerber hatte das Erreichen ihres ersten Grand-Slam-Finales als halben Traum bezeichnet. Jetzt war sie dem ganzen nur um wenige Punkte nahe. Es ging hin und her, diese Endspiel der Australian Open in Melbourne. Angelique Kerber, 28, geboren in Bremen, nun in Polen wohnhaft, die beste deutsche Tennisspielerin der Gegenwart, sie hat dann tatsächlich das Unglaubliche geschafft.

Um 21.55 Uhr kam der Moment, der Geschichte bedeutete. Ein Volley war im Aus. Und nun?

Nun gibt es nicht mehr nur einen 7. Juli 1985. An dem Tag siegte Boris Becker als 17-Jähriger in Wimbledon. Es gibt jetzt auch den 30. Januar 2016. Der Tag, an dem Angelique Kerber in Melbourne triumphierte.

6:4, 3:6, 6:4. Serena Williams hatte verloren. Und diese furiose Kerber gewonnen. In Deutschland wird es jetzt sicher laut erschallen: Wir sind Angie!

Tennis
:Kerber gewinnt die Australian Open

Zum ersten Mal nach 17 Jahren gewinnt eine deutsche Tennisspielerin ein Grand-Slam-Turnier. Angelique Kerber vergoss nach dem Sieg über Serena Williams Freudentränen und rang nach Worten.

Und in Las Vegas wird sich vielleicht eine Person besonders freuen. Kerber verteidigte Steffi Grafs Rekord von 22 Grand-Slam-Erfolgen. Serena Williams, 34, bleibt weiterhin bei 21 Erfolgen.

Die Siegerehrung bot dann Momente der Klasse. Zuerst zeigte sich Williams als entzückend faire Verliererin. "Ich bin so glücklich für dich, du verdienst es", sprach sie ins Mikrofon vor der Tenniswelt. "Genieß es!" Das tat Kerber, mit Tränen in den Augen. Sie hielt eine noch entzückendere Siegerrede. Sie strahlte. Sie schluchzte halb. Ihre Stimme war brüchig. Aber jeder verstand sie. "Ich bin jetzt Grand-Slam-Champion, das ist verrückt", sagte sie, "das waren die besten zwei Wochen meiner Karriere, meines Lebens." Sie räumte mit Charme ein, sie sei "nicht immer einfach", daher lobte sie auch ihr Team für die Geduld mit ihr. "Ich habe das beste Team, das es gibt." Und dann marschierte sie mit der Daphne Akhurst Memorial Trophy vor die Fotografenschar.

Es war in jeder Hinsicht ein intensives Endspiel. Eines, das um 19.30 Uhr (Ortszeit) standesgemäß begann. Williams und Kerber betraten die Arena, ihnen wurde ein Strauß Blumen in die Hand gedrückt, sie spielten sich ein. Kerber gewann die Wahl, entschied sich für Rückschlag. Und oben auf der Tribüne ertönten "Deutschlaaaaand"-Rufe, von einer kleinen Gruppe deutscher Zuschauer, die eine Fahne hochhielten. Den ersten Punkt machte Williams, ein Volley. Sie ging 1:0 in Führung, aber Kerber glich trotz Doppelfehler aus. 1:1. Nervös wirkte sie nicht. Im zweiten Aufschlagspiel von Williams sprang Kerber in die rechte Ecke und punktete spektakulär mit der Rückhand, die unerreichbar für Williams cross übers Netz flog.

Kerber nimmt Williams den Aufschlag ab - ein starkes Zeichen

Sie nahm tatsächlich Williams den Aufschlag ab. Das war ein starkes Zeichen. Williams wusste, dass sie verletzbar war.

Und dieser Fehlstart verunsicherte die Amerikanerin. Ihr unterliefen leichte Fehler. Kerber unterliefen keine leichten Fehler. Sie spielte clever. Hielt den Ball im Spiel, blockte die Aufschläge zurück. Williams bewegte sich, als wäre sie gerade erst aus dem Bett gekommen. Kerber bewegte sich, als sei sie Akrobatin beim Cirque du Soleil. Sie war flink. Wann würde Williams kontern?

Bei 3:2, 15:15 schlug Williams einen Vorhandball die Linie entlang und weit ins Seitenaus. Sie ließ einen spitzen Schrei los. Sie wackelte. Spielball zum 4:2. Jetzt konterte Williams. Ein Return-Winner, Re-Break. 3:3. "C'moooon!", schrie Williams. Es blieb umkämpft, Williams blieb verkrampft. Ihr Vorhand-Topspin-Volley bei einem Breakball für Kerber landete hinter der Grundlinie. 4:3 für die Deutsche. Ein sicheres Aufschlagspiel, Williams streute die Bälle wie Baseball-Spieler, die Home-Runs schlagen. 5:3. Williams fabrizierte bis zu diesem Zeitpunkt 19 "unforced errors", Kerber nur zwei solcher vermeidbarer Fehler. 5:4. Kerber schlug zum Satzgewinn auf. Vier - man muss es nochmal betonen - vier leichte Fehler von Williams. 6:4.

Zweiter Satz. Williams schaffte ihre zweite Führung. 1:0. Sie lächelte ungläubig. Kerber hielt ihr Niveau aufrecht. Ein Ass, ein Service-Punkt, 1:1. Jetzt spielte Williams kurz sicherer, 2:1 und ein Break zum 3:1. Sie bewegte sich jetzt, als sei sie immerhin schon eine Stunde wach. 4:1. 4:2. Erst jetzt gelang Williams das erste Ass. 5:2. 5:3. Aufschlag Williams zum Satzgewinn. Sie schaffte es, holte das Spiel zu 15, wie man sagt, nach 40:15-Führung also. 6:3. Auch wegen dieser Statistik: Aus dem Fehlerverhältnis von 23:3 zwischen Williams und Kerber wurde ein 5:7. So einfach lässt sich manchmal Tennis erklären.

21 Uhr Ortszeit, es wurde dunkel in Melbourne, die Sonne verzog sich, ein paar Möwen kreisten über der Rod Laver Arena. Dritter Satz, entscheidender Satz.

Winner Kerber, Return-Fehler Williams, Aufschlag-Winner, 1:0 - Kerber war präsent. Ballte die Faust. Wieder ein bizarrer Vorhandfehler von Williams, und ein bizarrer Volley. Dachte sie an New York, als sie im Halbfinale gegen die Italienerin Roberta Vinci sensationell verlor und den Saison-Grand-Slam verpasste? Ein Traumpassierball Kerber, 0:40, das erste Break, 2:0 für Kerber. Jetzt knisterte es wieder wie in Satz eins.

Aber Williams sammelte sich. Nahm Kerber nun das Aufschlagspiel ab, alles wieder in der Reihe. Und ein ohrenbetäubender Schrei - "C'mooooooooon!" 2:2. Kerber hielt den Aufschlag, 3:2. Dann ein Netzroller Kerbers, der Ball flog der ans Netz rennenden Williams ins Gesicht - ein Bild, das viel aussagt. Der Vorhandfehler von Williams folgte, zwei Breakbälle. Andrea Petkovic, Kerbers gute Profikollegin, meldete sich per Twitter und formulierte nur ein Wort, es bringt alles auf den Punkt: "Absurd."

Kerber lief sich die Lunge aus dem Leib, Punkt Williams. Dann ein Ass. Dritter Breakball wieder. Williams wehrte ab. Ein Zauberstopp Kerbers. Was war hier los? Und noch ein Zauberstopp. Und Doppelfehler Williams. Und Break. 4:2 nach zwölf Minuten.

Kerber kommen die Tränen

Es war jetzt nur noch ein Nervenspiel. Und Williams verlor es. Kerber knallte ein Ass hinüber. 5:2. Und Trainer Torben Beltz guckte in der Box, als sehe er ein Ufo landen.

Williams brachte mit Mühe ihr Aufschlagspiel durch, dann schlug Kerber zum Sieg auf. Sie verlor seltsam schnell das wichtigste Aufschlagspiel ihres Lebens. 5:4. Was um alles in der Welt war hier los? Um 21.55 Uhr erster Matchball. Der letzte Schlag von Williams landete im Aus, ein Volley. Kerber fiel auf den Rücken, Tränen stiegen in ihr auf.

Es war vollbracht. Kerber ist Grand-Slam-Siegerin in Melbourne. 22 Jahre nachdem Steffi Graf dieses Turnier gewonnen hatte.

Und das Allerverrückteste: In der ersten Runde wehrte Kerber einen Matchball gegen die Japanerin Misaki Doi ab. Sie wiederholte das, was Li Na vor zwei Jahren schaffte; die Chinesin hatte 2014 in der dritten Runde auch einen Matchball überlebt und dann das Turnier gewonnen. "Ich war mit einem Bein im Flieger", sagte Kerber beglückt, "und jetzt bin ich hier." Und zwar als neue Weltranglisten-Zweite.

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