Auftakt der Vierschanzentournee:Österreich drückt die Daumen

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Richard Freitag und Severin Freund wecken die Hoffnung auf eine neue, einträgliche Skisprung-Begeisterung in Deutschland. Den Seriensiegern aus Österreich kommt ein gutes deutsches Team sehr gelegen - denn "Konkurrenz belebt das Geschäft". Von einem "Hype" will beim DSV trotzdem keiner reden.

Thomas Hahn, Oberstdorf

In seiner Rede zum Auftakt der 60. Vierschanzentournee befasste sich der österreichische Cheftrainer Alexander Pointner mit dem Thema Österreichs Vormacht im zeitgenössischen Skisprung gestern, heute, morgen und übermorgen auch. Worüber hätte Pointner auch sonst reden sollen? Seine Sportler, "in Österreich auch Super-Adler genannt" (Pointner), siegen seit Jahren so verlässlich, dass es fast langweilig ist. Team-Gold bei Großereignissen beziehen sie praktisch im Abonnement, die jüngsten Tournee-Gewinner waren Wolfgang Loitzl, Andreas Kofler und Thomas Morgenstern, alle Österreich.

"Man könnte den ganzen Tag Interviews geben": Cheftrainer Werner Schuster (links im Bild) mit seinen deutschen Hoffnungsträgern Richard Freitag (Mitte) und Severin Freund. (Foto: dpa)

Pointners Team stellt den Gesamtweltcup-Ersten (Kofler), den Dritten (Gregor Schlierenzauer) und noch zwei (Morgenstern, Martin Koch) unter den ersten Zehn. Da war es nur fachmännisch, dass Pointner sagte: "Österreich geht wieder als Favorit in die Tournee." Und selbst wenn ihm vor lauter Stolz mal ein Superlativ verrutschte, hatte das was. "Ich kann wieder sagen: Wir haben die beste Vorbereitung aller Zeiten gemacht." Wieder die beste aller Zeiten - das ist ein Ausdruck für Meisterschaft in Ewigkeit.

Aber natürlich ist Alexander Pointner ein viel zu kluger Stratege, als dass er nur auf Österreich schauen würde. Gerade die wirtschaftlichen Zusammenhänge interessieren ihn sehr, und vor allem für die Segnungen, die in der Vergangenheit vom großen Nachbarn über seinen kleinen Showsport gekommen sind, hat er ein klares Bewusstsein.

Deutschlands Medienmaschine mit Privatsender RTL und seiner leicht überdrehten Begeisterung für die Siegspringer Martin Schmitt und Sven Hannawald hat einst nicht nur dem Deutschen Skiverband (DSV) Reichtum gebracht. Auch die Konkurrenz profitiert, wenn ein 82-Millionen-Volk ausflippt, Stadien füllt und Einschaltquoten hebt. Die lange Krise der Deutschen ab 2003 hat deshalb auch den Siegern nie so richtig gefallen.

Und wenn man Pointner jetzt fragt, wie er den aktuellen Weltcup mit vielen neuen Sieganwärtern einschätze, ist er gleich beim nächsten großen Thema: Deutschland im Wandel des zeitgenössischen Skisprungs unter besonderer Beachtung der Sportler Severin Freund, 23, und Richard Freitag, 20. "Ich bin sehr froh, dass in Deutschland der Aufwind da ist, auf den man schon ein paar Jahre wartet", sagt Pointner, "weil mir bewusst ist, dass das, wo wir jetzt stehen, viel mit Deutschland zu tun hat."

Die Massenbegeisterung um Schmitt und Hannawald mit Zuschauer- und Fernsehgeld-Rekorden hat man damals wahlweise als "Hype" oder "Boom" beschrieben, und natürlich fragt man sich jetzt, ob das Duo Freund/Freitag die nächste große Hausse verursachen kann. Erste Anzeichen dafür gibt es durchaus.

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Vor allem die Weltcupsieg-Premiere von Richard Freitag vor seinem drittplatzierten Zimmernachbarn Freund am dritten Adventsonntag in Harrachov hat Aufsehen erregt. Zwei Deutsche auf dem Podest und unter den ersten Zehn des Gesamtweltcups gab es seit besagten Schmitt/Hannawald nicht mehr. Prompt meldete die Tournee einen beschleunigten Kartenvorverkauf, und den DSV erreichten so viele Anfragen, dass Cheftrainer Werner Schuster feststellte: "Man könnte den ganzen Tag Interviews geben."

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Zum nächsten deutschen Skisprung-Wahnsinn fehlt aber doch noch etwas. Bis Mittwochabend waren für das Auftaktspringen an diesem Freitag in Oberstdorf noch 10 000 der 25 000 Karten zu haben. Und auch DSV-Sprecher Ralph Eder mag die Symptome des Hochs nicht überbewerten: "Hype ist das nicht, das ist gesteigertes Interesse."

Es ist ja auch wirklich zu früh zum Ausflippen. Freitag und Freund sind exzellent in die Saison gestartet. Es gab in dieser Saison noch kein Weltcupspringen, in dem nicht mindestens einer der beiden unter den ersten Zehn landete. Zu Freitags Perspektiven sagt Schuster: "Er wird mehr als ein Springen gewinnen, dafür lege ich meine Hand ins Feuer." Auch Freund kann im Grunde in jedem Wettkampf seinen dritten Erfolg erreichen nach den zweien, die er im vergangenen Winter in Sapporo und Willingen feierte.

Und beide zeigen dieses ruhige Selbstvertrauen, das die Voraussetzung für weite Flüge ist. Druck? Nehmen sie nicht als Bedrohung wahr. Freitag sagt: "Es ist ja nicht so, dass die Zuschauer böse sind, wenn es nicht klappt." Aber nicht klappen kann es halt auch. Freund und Freitag hat es selbst in dieser Saison zwischendurch mal ins tiefere Mittelfeld zurückverschlagen. Das bleibt nicht aus bei Leuten, die noch nicht allzu lange zum dichten Weltklassefeld zählen.

Team Österreich drückt jedenfalls die Daumen - zumindest solange sich das mit den eigenen Interessen vereinbaren lässt. Pointner und seine Leute ticken in dieser Hinsicht ziemlich ähnlich. "Sehr lässige, sehr gemütliche Typen, mit denen man gut reden kann", nennt Tournee-Titelverteidiger Thomas Morgenstern die deutschen Kollegen Freund und Freitag und sieht deren Aufstieg "positiv".

"Deutschland ist sowieso wichtig für uns", sagt Morgenstern, "Konkurrenz belebt das Geschäft." Im Klartext heißt das: Die Deutschen dürfen gerne zum wirtschaftlichen Erfolg der Skispringerei beitragen. Aber das Gewinnen würden die Österreicher doch ganz gerne wieder selbst übernehmen.

© SZ vom 30.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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