ATP-Finale in London:Die Besten auf dem Gipfel

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Showdown zum Jahresende: Novak Djokovic (links) und Roger Federer bestreiten in London das Finale (Foto: dpa)

Novak Djokovic gegen Roger Federer - das Endspiel beim ATP-Finale in London ist ein Geschenk für den Tennissport. Die schwierigste Herausforderung der Saison hat Djokovic bereits gemeistert.

Von Philipp Schneider, London

Novak Djokovic schaut nach links zum Fragesteller, er zieht die Augenbrauen in die Höhe und klopft mit den Händen zweimal auf den Tisch. Dann sagt er: "Ganz ehrlich, es war heute ein bisschen schwierig für mich, mich zu konzentrieren." Er habe ja schon vorher drei sehr emotionale Matches erlebt während dieser Turnierwoche in London. Und dann noch diese Partie am Vortag, in der er sein großes Ziel erreicht habe. "Emotional fühle ich mich ein bisschen platt heute", sagt Djokovic. "Deshalb habe ich etwas Zeit benötigt, um mich in Schwung zu bringen."

Das große Ziel, von dem Novak Djokovic am Samstag spricht, das hatte er schon am Freitag erreicht. Und eben nicht erst an diesem Sonntag, wenn er wie in den vergangenen zwei Jahren schon wieder im Finale des Jahresabschlussturniers der besten acht Spieler in London stehen wird. Wofür er sich am Samstag mit einem 6:1, 3:6, 6:0 im Halbfinale gegen den japanischen US-Open-Finalisten Kei Nishikori qualifizierte.

In einem Match, in dem er tatsächlich nicht ganz so schwungvoll wie gewöhnlich spielte - und erstmals in dieser Woche in London ein paar kleinere Schwierigkeiten hatte. Zum ersten Mal musste er immerhin einen dritten Satz bestreiten (auch wenn dieser gegen Nishikori ziemlich kurz ausfiel). Doch im Vergleich zu seinen drei Matches in der Vorrunde gegen Marin Cilic, Stanislas Wawrinka und Tomas Berdych, während derer er insgesamt nur neun Spiele verlor, benötigte Djokovic diesmal zumindest 88 Minuten. Vor allem, um sich der formidablen, knackig-variablen Vorhand des Japaners anzupassen, die Djokovic im zweiten Satz sieben Mal unerreichbare Bälle ins Feld hieb.

Bereits am Freitag jedenfalls durfte Novak Djokovic einen großen silbernen Pokal in die Höhe stemmen, der ihm ausnahmsweise nicht für einen Turniersieg verliehen wurde. Sondern für seine Jahresgesamtbilanz. Und was soll man sagen? 2014 gab es mal wieder keinen besseren Tennisprofi auf der Welt als Novak Djokovic. Er wird das Tennisjahr als Weltranglistenerster abschließen, niemand kann ihm diesen Titel mehr rauben. Auch nicht der Schweizer Roger Federer, der sich hier in London noch geringe Hoffnungen hatte machen dürfen, vor der anstehenden Silvesterfeier an Djokovic in der Rangliste vorbeizuziehen.

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Für dieses unwahrscheinliche Szenario hätte der Serbe allerdings mindestens eines seiner drei Vorrundenspiele verlieren müssen, das Finale sowieso. Der Schweizer wiederum hätte zusätzlich alle Partien des Turniers in London gewinnen müssen und noch das Endspiel des Davis Cups, das er am kommenden Wochenende gemeinsam mit seinem Landsmann Stanislas Wawrinka gegen Frankreich bestreiten wird, den er am späten Samstagabend zunächst einmal besiegen musste. Im zweiten Halbfinale, das Federer mit 4:6, 7:5, 7:6 (8:6) gewann.

Der ersten ausgeglichenen Begegnung dieses Turniers, einer Partie, die mehr Geschenk war als Sport. Zwei Schweizer traten an, um eine Veranstaltung in England zu retten, die vor Eintönigkeit und Langeweile so manchen Zuschauer in die Verzweiflung getrieben hatte. Und plötzlich? Drei wunderbare Sätze. 168 Minuten Spielzeit.

"Ich kann ihn schlagen, ganz sicher", hatte Wawrinka am Tag zuvor angekündigt, obwohl er zuvor nur zwei von 16 Begegnungen gegen "den Boss" für sich entscheiden konnte, wie er Federer mehr ehrfürchtig als spaßeshalber nennt. Ansatzweise hatte Wawrinka sogar seinen Matchplan ausgeplaudert: "Wenn du gegen Roger in der Halle spielst, dann musst du von Beginn an nah an ihm dran bleiben. Sonst wird es hart. Er legt schnell los, mit viel Druck, serviert unheimlich stark. Der Start in die Partie wird für mich entscheidend sein."

Also legte Wawrinka schnell los, nahm Federer gleich sein zweites Aufschlagspiel. Wawrinka servierte härter, schlug neun Asse und trieb Federer mit seiner Rückhand vor sich her. Im dritten Satz vergab er vier Matchbälle. Tiebreak. Federer Zeit. Ein Volleystopp wie aus dem Traum. Ende.

Am Sonntag trifft Djokovic im Finale also abermals auf Federer. Wie schon 2012. Auf einen Gegner, der ebenfalls gerne jenen Silberpokal gestemmt hätte, den Djokovic schon am Freitag während einer kleinen Zeremonie überreicht bekam, den sich der Weltranglistenerste verdient hat. Und neben ihm, ebenfalls im Scheinwerferlicht, standen seine zwei Trainer, die seit einiger Zeit offenbar ziemlich harmonisch und eifersuchtsfrei miteinander arbeiten können: Marian Vajda und Boris Becker applaudierten.

Nadal als Nummer eins am Jahresende abgelöst

"Die Nummer eins der Welt zu sein, das ist der Gipfel unseres Sports", sagte Djokovic: "Genau wie Siege bei Grand-Slam-Turnieren. Mit beidem kann man Geschichte schreiben." Welche Auszeichnung nun bedeutender sei, das könne er gar nicht sagen, befand Djokovic. Absolut unmöglich.

Er sei einfach sehr, sehr glücklich darüber, dass er 2014 in Wimbledon gewonnen hatte, und nun zugleich auch noch Weltranglistenerster am Jahresende sein dürfe. Wie schon 2011 und 2012. Im Vorjahr nämlich hatte sich Rafael Nadal diesen Titel gesichert, der diesmal in London gar nicht anwesend ist. Weswegen der Silberpokal durchaus zugleich Djokovic' Trainer Boris Becker gebührte, der sich Anfang der Saison einem Tabellenzweiten angeschlossen hatte.

Auch wenn die vergangenen Becker-Monate nicht einmal die erfolgreichsten in der langen Karriere von Djokovic gewesen waren. Aber was heißt das schon bei einem wie ihm, der in seinem Rekordjahr 2011 drei Grand-Slam-Titel gewann, dazu noch fünf Turniere der Masters-Kategorie - für die Profis nach den Grand Slams und dem Saisonabschlussturnier die meisten Weltranglistenpunkte erhalten. In diesem Jahr genügten ihm der Titel in Wimbledon und seine Siege bei den Masters in Indian Wells, Miami, Rom und Paris sowie einem kleineren Turnier in Peking.

Federer kann zum siebten Mal gewinnen

Die Nummer eins zu sein, sagte Djokovic, das sei eine "der größten und schwierigsten Herausforderungen", die es im Tennis überhaupt gebe. Insbesondere deshalb, weil der Sport "in den vergangenen fünf bis zehn Jahren physisch unglaublich anspruchsvoll" geworden sei. Für einen Wimbledonsieg genügen einem Novak Djokovic schon einige gute Tage. Um aber dauerhaft der Beste zu sein, muss einer dauerhaft der Beste sein. "Weil Nadal und Federer so gut sind, dass du eigentlich immer einen oder zwei Grand Slams gewinnen musst."

Sollte Djokovic an diesem Sonntag das Finale gewinnen, wäre es sein vierter Sieg bei den ATP World Tour Finals nach 2008, 2012 und 2013. Er trifft ausgerechnet auf Federer, dem er die Weltranglistenspitze diesmal nicht vergönnte. Der hier aber als Rekordsieger bereits sechsmal triumphierte. Auf dem Gipfel treffen sich die zwei Besten. Djokovic wird diesmal kaum platt sein. Federer schon eher.

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