Atlético Madrid:Chefspediteur Simeone gibt Rätsel auf

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Diego Simeone. (Foto: dpa)

Bayern-Gegner Atlético Madrid wechselt 2017 in eine neue Arena - das beunruhigt viele Fans genauso wie die kuriose Vertragsverkürzung des Trainers.

Von Javier Cáceres

Es könnte Zeit sein, um Abschied zu nehmen von einem Gemäuer mit einem wunderbaren Charme - zumindest für die Gäste aus München. Denn nach menschlichem Ermessen wird der FC Bayern an diesem Mittwoch in der Champions League zum letzten Mal im Estadio Vicente Calderón auflaufen. Soweit man das in Spanien bei größeren Bauvorhaben behaupten kann, ist der Umzug von Atlético Madrid fix terminiert, ab September 2017 soll der Verein im Estadio de La Peineta spielen, das Calderón soll abgerissen werden.

Es müsste also schon ein weiteres Champions-League-Duell mit Atlético in der zweiten Saisonhälfte ausgelost werden, damit die Bayern noch einmal in den Genuss einer Atmosphäre kommen, die in Spanien als unvergleichlich gilt und bereits jetzt vermisst wird. Denn viele Atlético-Fans fürchten, dass der Umzug traumatische Folgen haben wird. Der Klub ist fest verwurzelt im Calderón, es wurde vor knapp 50 Jahren errichtet und das eine oder andere Mal renoviert, obwohl man es dem Stadion nicht mehr ansieht. Vor allem nicht den Aufgängen mit ihrem spröden Charme.

Das Peineta-Stadion, die künftige Heimstatt, liegt mehr als 20 Kilometer entfernt am anderen Ende der Stadt und war als mögliches Olympiastadion Teil der mehrmals gescheiterten Bewerbung Madrids. Der Plan, das Calderón zu verkaufen, gedieh noch unter dem verstorbenen Atlético-Unikum Jesús Gil und hätte den Eignern der Aktiengesellschaft Atléticos, zu denen vornehmlich der Geschäftsführer Miguel Ángel Gil Marín, Klub-Chef Enrique Cerezo und der chinesische Investor Wang Jangli zählen, einigen Reichtum beschert.

Trainer Simeone hat seinen Vertrag um zwei Jahre verkürzen lassen

Dann aber kam die Immobilienkrise, die Preise fielen, mögliche Käufer wie die Baugesellschaft Martinsa machten pleite. Einen Käufer hat der mit einem dreistelligen Millionen-Betrag verschuldete Klub noch immer nicht gefunden - dafür aber einen Kreditgeber, der dafür bürgt, dass die neue Arena fertiggestellt werden kann.

Mit umziehen wird wohl auch der schillernde Trainer des Teams - obwohl er soeben eine der kuriosesten Vertragsabänderungen in der Geschichte des Profifußballs bekanntgegeben hat. Denn Diego Simeone hat nicht etwa vorzeitig verlängert, sondern um zwei Jahre bis 2018 verkürzt.

"Zwischen uns ist alles in Ordnung", versicherte der seit 2011 amtierende Coach, als die Vertragsverkürzung durch eine Indiskretion öffentlich wurde. Nervös waren die Fans dennoch. Allen ist noch im Gedächtnis, dass Simeone bereits nach der jüngsten jener vielen großen Enttäuschungen, die Atlético in seiner Geschichte verdauen musste, der Champions-League-Final-Niederlage gegen Real im Mai, mit seinem Abschied kokettiert hatte. Damals hatte er einen Verbleib offengelassen, und es besteht kein Zweifel mehr daran, dass er das Amt aufgegeben hätte, wenn Atlético nicht im Elfmeterschießen verloren, sondern endlich den in drei Finals dreimal verpassten Henkelpott gewonnen hätte.

Nun also die Vertragsverkürzung, und die Frage lautet: Ist Simeone also doch auf dem Absprung? Offiziell sind keine nachvollziehbaren Argumente für die kuriose Nachverhandlung seines Kontrakts präsentiert worden. Doch dass der Klub darauf einging, den von den Fans im Wortsinn vergötterten Simeone weniger lang zu halten, als vertraglich vereinbart war, hat auch mit dem Umzug in die Peineta zu tun. Dem Vernehmen nach hat der Klub Simeone gedrängt, zumindest den Umzug 2017 mitzugestalten, bis die Fans sich in dem neuen Stadion heimisch fühlen. Fußball ist ein Gemütszustand, und der Wechsel verheißt Chaos.

Das neue Stadion liegt an der Ringautobahn M 40, auf der der Verkehr regelmäßig zusammenbricht - zuletzt gar am europaweiten autofreien Donnerstag. Ein 26 Autos umfassender Korso von "Señales de Humo", einer Fanvereinigung, die sich unter anderem gegen den immer wieder verzögerten Umzug stemmt, wurde neulich richterlich verboten.

Eine Begründung: Eine solche Demonstration würde den Verkehr zu sehr beeinträchtigen. Bei 26 Autos. Wie soll es da erst werden, wenn Atlético im kommenden Jahr wieder Champions-League-Heimspiele austrägt und Zehntausende nach einem Parkplatz suchen? Bislang ist nur ein Parkhaus geplant, für 4600 Fahrzeuge, sowie eine Metro-Station.

Simeone glaubt, dass sich sein Stil abnutzt

Simeone wiederum beschleichen schon länger Zweifel, wie lange sein Führungsstil funktionieren kann. Das Geheimnis seines Erfolges basiert vor allem auf dem kontinuierlichen, fanatischen Appell an die Selbstüberwindung und Opferbereitschaft der Spieler - derlei kann sich abnutzen.

Dazu kommen die Lockrufe von Inter Mailand, wo er als Aktiver einst den Status eines Kultspielers errang, sowie des argentinischen Verbandes, der nach dem verlorenen Copa-América-Finale auch bei ihm anklopfte, dann aber Edgardo Bauza verpflichtete. Widersprüchliche Angaben gibt es zu der Frage, ob sich Simeone, der Oberspediteur, nun besser entlohnen lässt - und ob seine Ausstiegsklausel, die bei famosen 20 Millionen Euro gelegen haben soll, nun erhöht oder verringert wurde.

Belegt ist hingegen, dass die Debatten bislang keine Auswirkungen auf die sportliche Performance Atléticos hatten - auch weil der französische Stürmer Antoine Griezmann in Bestform ist. Bei PSV Eindhoven errangen die Madrilenen zum Auftakt der Champions League einen 1:0-Sieg, in der Liga steht Atlético nach einem holprigen Start mit zwei Unentschieden gegen Aufsteiger nur noch zwei Punkte hinter Real auf Rang drei. Und der Impuls, der von den Rängen des Calderóns auf die Mannschaft strömt und sie beseelt, ist noch immer derselbe.

© SZ vom 28.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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