Volleyball:Das Spiel ihres Lebens

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Entrückt nach dem verwandelten Matchball: Dachaus Libero Marvin Primus (vorne) und seine Kollegen kennen kein Halten mehr. (Foto: Wolfgang Fehrmann/HMB-Media/Imago)

Dachaus Volleyballer schaffen mit dem 3:2-Heimsieg über Meister Berlin die größte Überraschung seit ihrer Erstliga-Rückkehr - im Rahmen eines Event-Spieltages in Unterschleißheim, der auch auf ihr drängendstes Problem hinweist: ihre marode Halle.

Von Sebastian Winter

Es gab so viele Szenen, die diesen Samstagabend versinnbildlichen, dass man sie gar nicht alle aufzählen kann. Vielleicht war es Satoshi Tsuiki, Libero der Berlin Recycling Volleys, wie er nach dem verlorenen vierten Satz seine Trinkflasche auf den Boden pfefferte. Oder Außenangreifer Ruben Schott, der bei den Olympischen Spielen in Paris mit den deutschen Volleyballern um die Medaillen kämpfen will - aber gegen den ASV Dachau slapstickhafte Annahmefehler machte oder Angriffe ins Netz pritschte. Aber vor allem war es diese Entrücktheit, mit der die Dachauer Spieler nach ihrem verwandelten Matchball ausschwärmten. Minuten später verschwanden sie in einem Jubelknäuel, das immer größere Dimensionen annahm, weil auch viele Fans von den Rängen aufs Spielfeld gestürmt waren.

Dem Erstliga-Aufsteiger Dachau ist gegen den übrigens 48 Stunden zuvor ins Champions-League-Viertelfinale eingezogenen Dauermeister Berlin etwas gelungen, was gemeinhin als Spiel des Lebens bezeichnet wird. Etwas, das sich einbrennen wird im Gedächtnis der Beteiligten. Mit 3:2 (21:25, 25:21, 14:25, 25:22, 15:13) haben sie Berlin nach weit mehr als zwei Stunden Spielzeit geschlagen, dem Überklub aus der Hauptstadt die zweite Saisonniederlage in der Bundesliga zugefügt - und als erster Aufsteiger die selbst ernannte Lokomotive der Liga geschlagen.

"Fassungslos, wortlos: Diese Mannschaftsleistung war perfekt."

"Fassungslos, wortlos", fasste Dachaus überragender Angreifer Simon Gallas, der spätere MVP, den Abend im Stakkato zusammen, bevor er in die Arme seiner Eltern fiel: "Diese Mannschaftsleistung war perfekt, es kann keinen besseren Tag geben." Gallas war das Epizentrum der Dachauer Angriffswucht, Berlins Starensemble stand ihm wie auch den kaum fassbaren 14 Dachauer Blocks ohnmächtig gegenüber. Alle "haben über ihrem Limit" gespielt, sagte später Teammanager Raiko Worf - ob nun Zuspieler Moritz Gärtner, Libero Marvin Primus in Abwehr und Annahme, Iven Ferch und Fabian Suck im Block oder Einwechselspieler wie Fabian Bergmoser. "Die haben es sich verdient, sie hatten mehr Biss, mehr Energie, waren einfach besser. Und bei uns haben heute ein paar Leute keinen Bock gehabt. Dann reicht es einfach nicht, selbst wenn es der Aufsteiger ist", zog Berlins Zuspieler Johannes Tille, der Kopf der deutschen Nationalmannschaft, ein bitteres Fazit.

Den so außergewöhnlichen Abend versüßte den ASV-Volleyballern, die es auf Platz neun trotz des Sieges nur noch schwerlich in die Playoffs schaffen dürften, auch noch ein anderer Umstand. Sie zelebrierten ihn nicht wie üblich in ihrer alten, düsteren, undichten Georg-Scherer-Halle, sondern im funkelnden Ballhausforum in Unterschleißheim, ein an ein nobles Hotel angeschlossenes Kongresszentrum. Dorthin hatten sie ihren Event-Spieltag verlegt.

Volleyballfest in neuem Ambiente: Aufsteiger Dachau bei seinem erfolgreichen Eventspieltag gegen Meister Berlin. (Foto: Winter/oh)

Nur ihre Wette verloren sie knapp. Sollten mehr als 2000 Zuschauer kommen, würden die ASV-Volleyballer gemeinsam mit Lohhof 2000 Euro an das Kinderhaus Atemreich spenden. Es kamen dann rund 1500 Fans - neuer Zuschauerrekord für den Aufsteiger. Das Geld, kündigten die Verantwortlichen an, werde trotzdem ans Kinderhaus gespendet. Und eine Neuauflage des Spieltags im Ballhausforum soll es auch geben in der nächsten Saison. Dies führt unmittelbar in das wohl größte Dilemma hinein, in dem sich der Klub befindet.

Denn seine alte Halle, in der der ASV in den Neunzigern unter Stelian Moculescu noch deutscher Meister und Pokalsieger wurde, ist längst bereit für die Abrissbirne, es zieht dort und tropft durch die Decke - und niemand weiß so ganz genau, wie es unter der Halle aussieht, wo sich das Wasser seit Jahren seine Wege bahnt. Doch längst ist ihre Zukunft ein Politikum. Denn dass eine neue Halle gebaut werden muss, ist klar - nur widerstrebt es einigen, dass dafür die Eislaufbahn, die auch viele Familien aus dem Umland anzieht, geopfert werden muss. Mehrere Entwürfe für den Hallenneubau gibt es, 36 Millionen Euro soll er angeblich kosten, der ASV würde sich finanziell beteiligen. Der Bauauftrag wird nun europaweit ausgeschrieben, allein das dauert Monate, danach müsste der Stadtrat entscheiden. Es werden Jahre vergehen, bis in einer neuen Halle Erstliga-Volleyball gespielt werden könnte. Wenn überhaupt, angesichts der leeren Kassen der Stadt Dachau, wo schon der Neubau des Hallenbades immer teurer wird.

Das Ballhausforum jedenfalls sei "eine sehr schöne, moderne Halle, die Stimmung kommt gut an auf dem Feld", sagt selbst der weit gereiste Tille vom Gegner Berlin. Und Gallas, Dachaus so schlagkräftiger Angreifer, richtete gleich noch einen Appell an die Stadt: "Vielleicht ist dieser Abend ja auch ein Anreiz in Richtung Dachau, die neue Halle schnellstmöglich zu bauen, damit wir auch eine schönere, höhere Arena haben. War jedenfalls geil hier."

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