Zu den wichtigsten Exponaten im Vereinsmuseum des FC Porto im Estádio do Dragão zählen ein Tor und ein Punkt. Der Punkt steht für die Stelle, an der Rabah Madjer stand, als er im Europapokal der Landesmeister von 1987 im Praterstadion von Wien eines der aufregendsten Tore der Endspielgeschichte schoss. Der Brasilianer Juary gab den Ball in den Strafraum und erwischte Madjer gewissermaßen auf dem falschen Fuß. Beziehungsweise: mit dem Rücken zum Tor. Madjer blieb nichts anderes übrig, als den Ball mit dem Absatz ins Tor zu wuchten - und damit die gesamte Hintermannschaft des FC Bayern zu düpieren. Am Ende stand es 2:1, Porto holte erstmals den großen Henkelpott und sicherte einem Mann mit Walross-Schnäuzer ewigen Ruhm: Artur Jorge, damals Trainer des FC Porto - und Schöngeist.
Artur Jorge Braga de Melo Teixeira, wie er mit vollem Namen hieß, war einer der besseren Stürmer Portugals gewesen, ein "Neuner" mit goldenen Füßen. Er begann seine Profikarriere in Porto (1964/65), doch seine größten Erfolge feierte er nach einem vierjährigen Engagement bei Académica de Coimbra bei Benfica Lissabon. Unter anderem an der Seite des großen Eusébio, und ehe er seine aktive Karriere bei Belenenses beendete. Schon damals, als er noch kurze Hosen trug, galt er als linker - nicht kommunistischer - Intellektueller: Er hatte in Coimbra Germanistik studiert, er las Sartre und Camus, verehrte den Revolutionär Che Guevara, gründete Portugals Fußballergewerkschaft. Das wäre schon aufsehenerregend gewesen. Im Portugal des faschistischen Diktators Salazar galt das umso mehr.
Andreas Brehme in Mailand:Nostalgie um "il biondo"
Andy Brehme ist auch südlich der Alpen verehrt worden, dort strahlte er noch heller, geradezu makellos. Jene Erfolge, die er mit Matthäus und Klinsmann in Mailand feierte, waren eine Ouvertüre zur WM 1990 - und für Generationen unvergesslich.
Dass Artur Jorge später - unter anderem nach einem Lehrgang an der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig, lange vor dem Mauerfall - der erste Portugiese wurde, der als Trainer den Landesmeisterpokal gewann (Benfica war Anfang der 1960er Jahre vom Ungarn Béla Guttmann zu Siegen geführt worden), das war das eine. Artur Jorge war aber auch "der Erste, bei dem die Kultur und die akademische Ausbildung zum Ausgangspunkt für eine Karriere wurden, die viele inspiriert hat".
So schrieb es vor einigen Jahren José Mourinho - auch er ein Trainer, der mit Porto die wichtigste Vereinstrophäe der Welt holte -, und zwar nicht etwa in einer Sportzeitung. Sondern im Katalog zur Ausstellung ausgewählter Objekte aus der Kunstsammlung von Artur Jorge. Und was für eine Sammlung das war! Sie umfasste Gemälde talentierter junger Portugiesen, aber auch Werke von Beuys, Tàpies, Basquiat, Chagall, Kandinsky, Warhol oder Miró. Der Legende zufolge schaute Artur Jorge Live-Fußball zu Klassik und Jazz. Die Inkompetenz der TV-Kommentatoren galt ihm als unerträglich.
Artur Jorge war Kunstsammler und Germanist - aber als Coach führte er ein unstetes Leben
Als Trainer führte Artur Jorge ein unstetes Leben. Er trainierte an mehr als fünfzehn Stationen und hatte nicht überall Erfolg wie bei Porto (drei Meistertitel und der Sieg im Meisterpokal) oder Paris Saint-Germain (Meister 1994). Als portugiesischer Nationaltrainer blieb er titellos, mit der Schweiz scheiterte er 1996 krachend. Auch weil er, umgeben von einer Aura des Unverstandenen, als verschlossener Geist galt.
Eine Autobiografie zu schreiben, das lehnte er ab. "Die Menschen kennen meine Geschichte mehr oder weniger: Eine Person, die Fußballer und Trainer und sonst was war, und seine Tore", sagte er vor ein paar Jahren der portugiesischen Zeitschrift Visão. Aber er war eben auch einer, der, wie der FC Porto in seiner Trauermeldung erklärte, "unvergesslich wurde wie die Nacht von Wien". Treffende Worte über einen Mann, der am Donnerstag nach langer Krankheit verstarb, Artur Jorge wurde 78 Jahre alt.