Demichelis im argentinischen Fußball:Meistercoach made in München

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Ehrenrunde durchs Estadio Monumental: Martín Demichelis feiert die Meisterschaft in Argentiniens Liga. (Foto: Gustavo Garello/dpa)

Der frühere Bayern-Profi Martín Demichelis krönt seine Debütsaison als Cheftrainer bei River Plate mit dem Titelgewinn - und führt den Erfolg auch auf seine Zeit in Deutschland zurück.

Von Javier Cáceres

Die Partie war noch nicht vorbei, da flossen über die Wangen von Martín Demichelis Tränen der Freude und des Schmerzes. River Plate war, erstmals unter seiner Regie und zum 37. Mal insgesamt, argentinischer Champion geworden. Und die Tränen, das verriet er später im TV, seien den Menschen geschuldet gewesen, die das nicht mehr erleben konnten. Dem Vater, der vor seinem Tod gesagt hatte, er sei sicher, dass er, der frühere Bayern-Verteidiger Martín Demichelis, "ein großer Trainer werden" würde. Und der Mutter, die er verloren hatte, als er 15 war, und die Zeit ihres Lebens sein "Fan Nummer 1" gewesen war.

Er habe in seinem ganzen Leben nur ein Trikot gerahmt und daheim aufgehängt - das River-Plate-Shirt vom Muttertag 2001, damals hatten alle Spieler den Namen ihrer Mutter auf dem Hemd getragen, "Ilda Margarita" stand auf seinem Shirt. Vor dem Spiel vom Samstag gegen Estudiantes de La Plata (3:1) hatte Demichelis' Schwester das Trikot aus dem Rahmen geholt, er zog es nach dem Spiel an, unter das Sakko und das Meistertrikot mit der roten Schärpe auf weißem Grund. "Sie sind heute nicht mehr bei mir. Aber ich weiß, dass sie mich von irgendeinem Ort unterstützen."

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Den 70. Titel der River-Geschichte insgesamt holte Demichelis auf überaus souveräne Weise, vor einem wieder einmal mit 85 000 Zuschauern ausverkauften, rot und weiß erstrahlenden Estadio Monumental. Man hatte damit vorab nicht rechnen müssen. Demichelis, der schon in der Jugend bei River gespielt hatte, war zu Jahresbeginn auf die Klublegende Marcelo Gallardo gefolgt, und der war als der erfolgreichste Trainer des Vereins überhaupt in die Geschichte eingegangen.

"Die River-Welt ist glücklich. Wegen des Titels? Nein. Wegen der Art und Weise", sagt Demichelis

Demichelis hielt dem Vergleich stand, hinsichtlich der Resultate und der Emotionen. Denn siehe: "Die Liebe nach der Liebe", die von der argentinischen Rocklegende Fito Páez Anfang der 1990er Jahre besungen wurde, "sie existiert", schrieb die Zeitung Clarín. "Michonario", lautete die Schlagzeile des Sportblattes Olé - ein Wortspiel, das die Spitznamen Rivers (Millonarios) und von Demichelis (Micho) miteinander verkuppelt. "Die River-Welt ist glücklich. Wegen des Titels? Nein. Wegen der Art und Weise", sagte Demichelis, nachdem er sich mit seinem Assistenten und Freund, dem früheren Nürnberg-Profi Javier Pinola, so innig umarmt hatte wie mit seinem Sohn Bastian, der Balljunge im Monumental ist.

Die "Art und Weise" hat viel mit dem Werdegang von Demichelis zu tun. Die Fußball-Philosophie des viermaligen deutschen Meisters und WM-Finalisten von 2014 speist sich einerseits aus den Ideen, die er bei Ramón Díaz, Manuel Pellegrini (River Plate) und Ottmar Hitzfeld aufgesogen hat, der 2003 sein erster Trainer in Deutschland wurde. Aber auch aus dem, was er sich bei Pep Guardiola, Diego Simeone und Louis van Gaal abschaute. Vor allem hat sein Erfolg viel mit dem FC Bayern zu tun, wie er in der vergangenen Woche in einem Interview mit der Zeitung La Nación zu erkennen gab.

So sah das Stadion von River von ganz oben aus: Ein rotweißes Rund. (Foto: Tomas Cuesta/Getty Images)

Dort blickte er nicht nur darauf zurück, wie glücklich er in seinen sieben Jahren als Bayern-Profi gewesen war, obschon ihn van Gaal aus dem Klub drängte. Sondern auch darauf, dass die Münchner ihm die Gelegenheit boten, sich als Trainer auszuprobieren, erst bei der U19, dann bei der U21. "Es ist eine sehr schöne Geschichte", sagte Demichelis dazu. "Die Bayern gaben mir die Chance, mich als Spieler zu bilden, nachdem sie mich gekauft hatten, als ich 22 Jahre alt war. Und dann übertrugen sie mir, als Ausländer, die Verantwortung, Deutsche auszubilden."

In München werde einem nichts geschenkt, man werde täglich gefordert, könne sich aber eben auch als Nachwuchstrainer mit den Chefs austauschen - ganz gleich, ob sie Hansi Flick oder Julian Nagelsmann hießen. Das gebe es nicht in Argentinien. "Es wird genau kontrolliert, wie die Übungen und die Trainingseinheiten durchgeführt werden. Ich hatte alles von A bis Z zu begründen, von Montag bis Freitag, und musste nach den Spielen eine Analyse abgeben..." Die Folge: "Ich habe mir enormes Rüstzeug angeeignet".

Dieses Rüstzeug führte zu einem vorzüglichen Ergebnis: River holte 57 Punkte in 25 Spielen, bei einem Torverhältnis von 45:16 - in einer Liga, die so chaotisch ist wie das Land, mitten in der Saison wurden die Regeln für den Abstieg geändert. Nach all den Jahren in Alemania sei das gewöhnungsbedürftig gewesen, sagte Demichelis. "Javi (Pinola) und ich stellen oft fest, dass wir sehr deutsch sind. Ja, sehr deutsch", sagte der neue Meistertrainer.

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