American Football:Eine neue Glaubensrichtung

American Football: American Football vor vollen Rängen: Zum Auftakt verlieren die Munich Ravens (in Schwarz) gegen die Raiders Tirol.

American Football vor vollen Rängen: Zum Auftakt verlieren die Munich Ravens (in Schwarz) gegen die Raiders Tirol.

(Foto: Heike Feiner/Eibner/Imago)

Das erste Spiel der Munich Ravens, des achten deutschen Teams in der European League of Football, lockt über 6000 Fans nach Unterhaching. Es soll der Anfang von etwas Großem sein - die Klubhistorie beginnt aber mit einer Niederlage.

Von Christoph Leischwitz und Andreas Liebmann

Das Neuland ließ sich nicht leicht erobern. Schon aus der Ferne hörte man es von dort trommeln und lärmen, doch die Zufahrtsstraßen waren verstopft. Autos mit fremden Kennzeichen durchstreiften Wohngebiete auf der vergeblichen Suche nach Parklücken, und an den Eingängen und Essensständen stauten sich Menschenmassen. Manche hörten nur von dort die Nationalhymnen Österreichs und Deutschlands vorbeiwehen.

Einen solchen Andrang und eine vergleichbare Euphorie hat der Münchner Vorort Unterhaching länger nicht erlebt, auch wenn seine Einwohner natürlich noch die Glanzzeiten seiner Fußballer präsent haben. Ihr Stadion allerdings würden sie an diesem Sonntag nicht wiedererkennen: Die großen Längstribünen gut gefüllt, der Rasen in Yardlinien unterteilt, darauf Männer mit Helmen, die sich um 13.08 Uhr zu hechten, zu rennen und sich zu kugeln beginnen - und jede ihrer Aktionen ist die jeweils erste in der Geschichte des neuen Football-Teams Munich Ravens.

Sportlich begann es nicht gut, denn den Raiders Tirol, den ersten Gästen in der Geschichte des Münchner Franchise-Teams, gelang nach wenigen Minuten der erste Touchdown. Der erste erfolgreiche Lauf der Gastgeber wurde dann von ohrenbetäubendem Jubel begleitet, der zeigte, dass hier keineswegs ein fachfremdes Publikum seine Neugier stillte. Es dauerte nicht lange, bis auch den Münchnern der erste Touchdown gelang, durch Jannik Nowak, dies für die Geschichtsbücher. Sie gingen sogar 14:6 in Führung. Quarterback Chad Jeffries deutete an, wieso ihn Chefcoach John Shoop als "spektakulär" bezeichnet. Für Shoop dürfte es eine Herausforderung gewesen sein, dieses völlig neue Team zu formieren: In zwei Monaten Vorbereitung, erzählte er vor der Partie, habe man erst einmal gemeinsam herausfinden müssen, worin man gut sei. Die Gäste glichen aus, das erste Viertel endete 21:21, zur Pause stand es 28:38, am Ende dann 38:59. Die etablierten Gäste setzten sich durch.

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel, den alten Sepp-Herberger-Spruch darf man sicher auch mal verwenden, wenn den Fußballrasen ein paar Linien mehr als üblich unterteilen. Denn die Frage, die über diesem Premierenspiel lag, war angesichts der schon im Vorverkauf abgesetzten 5000 Tickets, ob dies wohl nur ein kurzfristiges Phänomen sein würde oder doch der Auftakt zu etwas Großem. Und was das dann für die Sportart in München und den alteingesessenen Erstligisten Munich Cowboys zu bedeuten hätte.

Die European League of Football (ELF), die seit 2021 Spiele austrägt und in den Ravens ein achtes deutsches Mitglied bekommen hat, hat schließlich durchaus schon ein paar gescheiterte Vorgänger, angefangen mit der Football League of Europe Mitte der Neunziger. Der ähnliche Klang könnte Skeptiker ein wenig an die Judäische Volksfront und die Volksfront von Judäa erinnern, eine Szene aus dem Monty-Python-Film "Das Leben des Brian", in der sich die einen über die anderen empören. Aber vielleicht ist die ELF nun tatsächlich professioneller aufgezogen als die Vorgänger - oder die Zeit inzwischen einfach reif dafür. Der allgemeine Football-Boom jedenfalls geht nach dem überaus erfolgreichen Gastspiel der amerikanischen Profiliga NFL im vergangenen November in München offenbar weiter. Die ELF meldete, dass zum ersten Heimspiel der Hamburg Sea Devils gegen Düsseldorf 30 000 Fans erwartet werden. Auch für das Saisonfinale in Duisburg sollen schon 20 000 Tickets verkauft sein. Die offizielle Zuschauerzahl bei der Premiere in Unterhaching lautete letztlich: 6238.

Im Prinzip hat der American Football in Deutschland, und nicht nur hier, eine Spaltung erfahren

Im Prinzip hat der American Football in Deutschland, und nicht nur hier, eine Spaltung erfahren: Auf der einen Seite die German Football League (GFL), die über Jahre versucht hat, die US-Sportart in klassisches deutsches Vereinsdenken einzubetten, obwohl sie schon allein aufgrund ihrer Mannschaftsstärke eigentlich fast nur mit professionellen Strukturen funktionieren kann - und deren zuständiger Verbandspräsident sich über Jahre hartnäckig gegen Neuerungen sperrte. Und auf der anderen Seite nun also eine europaweite Liga, die darauf angewiesen ist, Profit zu machen, die allerdings die Talente aus den Vereinen klauen muss, weil es anders als in den USA keine Spieler gibt, die man aus der Universität rekrutieren kann. Und nun beginnen diese beiden Ligen auch noch fast gleichzeitig ihre jeweilige Saison: Die Ingolstadt Dukes etwa starteten vor einer Woche in die neue GFL-Spielzeit.

Ob und wie die beiden Glaubensrichtungen in Zukunft parallel existieren können, ist offen. Erste Gespräche zum Thema Ausbildungsvergütung für e.V.-Teams soll es gegeben haben, allerdings ohne konkrete Ergebnisse. In München betonen die Ravens zwar, eine friedliche Koexistenz mit den Munich Cowboys anzustreben, aus dem Cowboys-Umfeld wiederum ist zu hören, dass es noch bis unmittelbar vor Saisonstart Abwerbungsversuche gab. Insgesamt 15 Spieler waren allein stadtintern ohnehin schon gewechselt, schließlich können die Ravens zumindest ein kleines Gehalt anbieten, die Cowboys den meisten Spielern bestenfalls Fahrtkosten erstatten. "Unser Ziel war es, Spieler aus ganz Bayern hierher zu bringen", sagte Ravens-Sportdirektor Sean Shelton, der zuletzt noch Quarterback der Raiders Tirol war - und "überrascht" davon, wie viel Arbeit es gewesen sei, das neue Team zu formen. Tatsächlich hatten alle bayerischen Teams zuletzt Weggänge zu verzeichnen.

An anderen Standorten, die gleichzeitig ein ELF-Team und einen Erstligisten beheimaten, wie zum Beispiel in Tirol, scheinen sich die Teams gegenseitig Zuschauer wegzunehmen. Bei den Cowboys lag der Saisonschnitt zuletzt meist bei knapp mehr als 1000 Besuchern. Die Zuschauer bei der Ravens-Premiere in Unterhaching dürfte das erst einmal nicht beschäftigt haben. "Jeden Einzelnen" von ihnen brauche man jetzt, flehte der Stadionsprecher, als es im dritten Viertel schlechter lief. Selbst wenn es der Anfang von etwas Großem gewesen sein sollte: Die Historie der Munich Ravens begann trotzdem mit einer Niederlage.

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