Als S04-Fan in Dortmund:"Als Schalker zolle ich dem BVB Respekt"

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Er lebt im Pott. Er ist Schalke-Fan. Doch er wohnt ausgerechnet in der Heimat des Rivalen Borussia Dortmund. Wie geht das zusammen? Vor dem Revierderby an diesem Wochenende erzählt der Dortmunder Blogger Benjamin Ehrchen über zwei Fan-Lebenswelten in einer Region.

Matthias Mederer

Der gebürtige Wuppertaler Benjamin Ehrchen ist 26 Jahre alt, leidenschaftlicher Fußballfan und wenn er sich nicht gerade einen Spaß daraus macht, als Schalke-Anhänger durch Dortmund zu spazieren, studiert er Deutsch und Geschichte auf Lehramt. Sein Blog "Der gemeine Schalker in Dortmund" kostet ihn zwar viel Zeit, aber das sei es wert, sagt er. Vor dem ersten Revierderby dieser Saison zwischen dem BVB und S04 an diesem Samstag nahm er sich Zeit für ein Gespräch mit Süddeutsche.de.

SZ.de: Herr Ehrchen, ein S04-Fan in Dortmund - das klingt hart. Leiden Sie an Paranoia?

Ehrchen: (lacht) Eigentlich nicht. Ich drehe mich nicht ständig um und schaue, ob ich verfolgt werde oder so. Ich trage aber auch meistens eine Jacke über dem Trikot, wenn ich auf dem Weg vom Stadion nach Hause bin. Da spitzt dann nur noch der Kragen raus.

Und zu Derby-Zeiten, so wie an diesem Wochenende?

Da gilt es, vorsichtiger zu sein. Wir wissen zum Beispiel noch nicht genau, wie wir ins Stadion kommen. Die Schalke-Fans aus Gelsenkirchen fahren direkt mit dem Zug zur Arena, mein Freund und ich könnten eigentlich laufen, aber von dem Weg raten viele dringend ab. Vielleicht gehen wir neutral und tragen unsere Sachen drunter. Im Stadion ziehen wir uns dann um.

Mit Verlaub: Wie kommt ein Schalke-Fan dazu, ausgerechnet in Dortmund zu wohnen?

Das hat sich bei mir so ergeben. Ich komme ursprünglich aus Wuppertal, bin dann für das Studium vor fünf Jahren nach Dortmund gezogen und seitdem lebe ich hier ...

... und aus Trotz wurden Sie ein Königsblauer?

Nein, das war ich schon davor. Mein Vater hat mich mit ins Stadion genommen und mit acht Jahren findet man eben gut, was der Papa gut findet. Bei mir ist das geblieben, bis heute.

Haben Sie je daran gedacht, die Farben zu wechseln?

Nein, nie.

Was tun Sie gegen die Isolation als Schalker Einsiedler in Dortmund?

(lacht) Also über Einsamkeit kann ich mich nicht beschweren. Zum einen habe ich hier in Dortmund einen völlig normalen Freundeskreis - darunter sind logischerweise auch BVB-Fans, aber das ist für uns kein Problem - zum anderen gibt es hier mehr Schalke-Fans als anzunehmen ist. Es existiert sogar ein Fanklub, der sich Blau-Weißer-Stachel nennt.

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Das erinnert an Spionagefilme über den Kalten Krieg? Wie lange dauert es, bis man Zugang zu diesem Kreis erlangt?

Geheime Bündnisse sind mir nicht bekannt, alles ist sehr offen in der Stadt. Und von einer Geheimsprache habe ich noch nichts gehört. Das einzige, was mich mal ein wenig an ein Undercover-Dasein erinnert hat, war ein Schalke-Fan, der mich über Facebook kontaktiert hat. Ich hatte da eine Gruppe gegründet für Blau-Weiße in Dortmund und er hat mich und einen Kumpel im Zug belauscht, als wir darüber gesprochen haben. Einen Tag später kontaktiert er mich via Internet. Im Zug hatte er nichts gesagt.

Leider kennt die Rivalität auch eine ernste Seite. 1000 Polizisten rücken diesmal zum Spiel an. Gewaltparolen kursieren seit Tagen durchs Netz.

Hier ist er zuhause: Der Schalke-Fan Benjamin Ehrchen in der Nordkurve der Arena in Gelsenkirchen. Und Dortmund? Da wohnt er.  (Foto: N/A)

Das ist richtig. Doch die meisten distanzieren sich davon deutlich - auf beiden Seiten. Es sind ein paar Gruppierungen von Dummen, die wirklich auf Gewalt aus sind. Wenn ich mich mit meinen Freunden unterhalte, reden wir auch über die Rivalität, aber wir sind uns einig, dass diese Gewaltbereitschaft nichts mit der sportlichen Rivalität der Fans zu tun hat. Manchen geht es einfach gar nicht um Fußball, sondern nur ums Kloppen. Die Farben der Vereine sind denen egal. Die könnten auch schwarz und weiß tragen, oder grün und rot.

Welche Erfahrungen haben Sie mit gewaltbereiten Gruppen gemacht?

Nahezu keine. Es gab mal einen Vorfall in der U-Bahn nach einem Spiel. Da war eine Gruppe von vier oder fünf Dortmund-Fans, darunter ein Mädchen. Und ausgerechnet sie meinte dann: "Ganz schön mutig von dir hier als Schalker rum zu laufen, du weißt schon, wo du hier bist?" Die Sache endete aber glimpflich und sie empfahlen mir, aufzupassen, denn nicht alle seien so friedlich wie sie.

Nimmt die Gewaltbereitschaft in Ihren Augen tendenziell zu oder wird es besser?

Es ist gut, dass die Polizei Präsenz zeigt. Um wirklich eine Aussage machen zu können, bin ich noch nicht lange genug dabei, aber gefühlt scheint sich der Hass bei den gewaltbereiten Gruppen zu steigern. Nur als Beispiel: Vergangene Saison beim Spiel auf Schalke, gab es vorab eine Schweigeminute für einen damals verstorbenen Schalker Ex-Torwart; das ganze Stadion hielt sich daran, nur eine Gruppe Dortmunder skandierte: "Tod und Hass dem S04".

Nun geht es in Dortmund zur Sache. Was erwarten Sie von dieser Partie?

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Vor allem freue ich mich auf eine unglaubliche Atmosphäre. Selbst als Schalke-Fan zolle ich den Dortmundern hierfür Respekt. Ansonsten ist es bei einem Derby sehr schwer, eine Prognose abzugeben. Da kann alles passieren. Zehn Minuten nach Anpfiff ist das schon einfacher. Ich hoffe aber auf ein 2:1 für uns.

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