Ärger nach Videobeweis:"Eine krasse Fehlentscheidung"

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Diskussionsrunde: Kölns Sportdirektor Jörg Schmadtke (Mitte), sein Trainer Peter Stöger (l.) machen Schiedsrichter Patrick Ittrich ihre Meinung klar. (Foto: Martin Meissner/AP)
  • Borussia Dortmund schlägt den 1. FC Köln deutlich mit 5:0, doch nach dem Spiel ist nicht die Leistung des BVB das Thema.
  • Der Video-Schiedsrichter greift zwei Mal in das Spiel ein und trifft eine höchst umstrittene Entscheidung. Köln will deswegen Protest beim DFB einlegen.
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Von Felix Meininghaus, Dortmund

Fußball, so die landläufige Meinung, ist ein Sport, der einen großen Teil seiner ungeheuren Popularität daraus zieht, dass er so viele Emotionen weckt. Und die, so geben die Gegner des Videobeweises gerne zu Protokoll, werden nun mal auch durch den Umstand genährt, dass der Schiedsrichter aus Fleisch und Blut ist, folglich also immer mal wieder zu Fehlern neigt, die dann trefflich diskutiert werden dürfen. Dem halten die Befürworter der neuen Technologie entgegen, dass es doch nur wünschenswert sein könne, die Zahl der Fehlentscheidungen zu reduzieren und das Spiel dadurch gerechter zu machen.

Der Feldversuch läuft seit einigen Wochen und es verfestigt sich der Eindruck, als könnten sich die Antipoden mit ihrer Sicht der Dinge gründlich geirrt haben.

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Beim Duell zwischen Borussia Dortmund und dem 1. FC Köln war keine Spur von kühler Sachlichkeit, die Geschehnisse im Westfalenstadion sorgten für emotionale Diskussionen. Es klingt beinahe wie Ironie, dass der auslösende Faktor genau die Institution war, die das Geschehen auf dem Rasen doch eigentlich versachlichen soll: Der Video-Schiedsrichter.

Im größten Stadion der Republik waren die 90 Minuten absolviert, als das Geschehen abseits des Rasens vor den Kameras ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte. So viel Gift und Galle nach einem mehr als eindeutigen 5:0-Sieg des Tabellenführers gegen den Letzten der Liga? Welche Meinungsverschiedenheiten sollte denn ein solch einseitiger Kräftevergleich hervorbringen? Der in aller Öffentlichkeit ausgetragene Disput entzündete sich daran, dass der in dieser Saison installierte Video-Schiedsrichter an diesem Sonntagabend gleich zwei Mal ins Spielgeschehen eingriff.

Beide Male zugunsten der Dortmunder. Zum Ende der ersten Halbzeit erklärte er den Treffer von Innenverteidiger Sokratis zum 2:0 für regulär, obwohl ihn Patrick Ittrich, der das Spiel auf dem Rasen leitete, zunächst nicht anerkannt hatte. In der zweiten Hälfte erkannte Felix Brych, der das Spiel in Köln vor dem Bildschirm beurteilte, ein Kölner Handspiel im Strafraum und wies Ittrich über dessen Headset an, auf Elfmeter zu entscheiden.

Kölns Sportdirektor spricht von einer "krassen Fehlentscheidung"

Doch diese Szene war nicht der Auslöser für die gereizte Stimmung nach dem Spiel. Es war die erste, die die Beteiligten auf beiden Seiten zu meinungsstarken Äußerungen verleitete, und die nach Lage der Dinge noch weit über den Tag hinaus erörtert werden wird. Was war geschehen? Nach einem Eckball ließ Kölns Torhüter Timo Horn den Ball in Bedrängnis fallen, Sokratis drückte ihn aus kurzer Distanz über die Linie. Die erste Frage, die zu beurteilen war, betrifft den Keeper. Wurde Horn im Fünfmeterraum regelwidrig bedrängt? Horn sagt dazu: "Es war keine eindeutige Situation, denn im Fünfmeterraum reicht eine leichte Berührung für ein Foul. Dann ist das eine Kann- und keine Muss-Situation, der Video-Schiedsrichter darf also nicht eingreifen."

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Gravierender scheint jedoch der Umstand zu sein, dass der Unparteiische pfiff, bevor der Ball die Torlinie überquerte. Das fand auch Kölns Sportdirektor Jörg Schmadtke, der von einer "krassen Fehlentscheidung" sprach. Der ehemalige Torhüter vertritt die Ansicht, der Video-Schiedsrichter hätte nicht eingreifen dürfen, da das Spiel unterbrochen war. "Wir müssen uns an das Protokoll halten", so Schmadtke: "Es darf doch nicht jeder machen, was er will. Wir werden das nicht akzeptieren und Protest einlegen."

Was die Kölner erreichen wollen, legte der 53-Jährige dar: "Das war eindeutig gegen das Regelwerk. Was wir wollen, ist eine Neuansetzung des Spiels." Trainer Peter Stöger unterstützt seinen Kollegen in dessen Argumentation. Schmadtke habe das Vorgehen mit ihm abgestimmt. "Wir sind mit dem Video-Schiedsrichter in einer Testphase und müssen diese Situation durchdiskutieren." Es gehe darum, sich an das zu halten, "was vorher kommuniziert wurde".

Die Kölner Argumentation verleitete wiederum Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke zu einer Kritik am Verhalten der Kölner - er warf dem Widersacher vom Rhein unsportliches Gebaren vor. Es habe "eine Attitüde des schlechten Verlierers, wenn du zu solchen Mitteln greifst. Wenn man 0:5 verloren hat, dann wischt man sich den Mund ab und versucht, es beim nächsten Mal besser zu machen." Und fügte ironisch hinzu: "Nach solch einem Spiel so aufzutreten, da muss ich schon sagen: Chapeau!"

Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc sieht es ähnlich. Es sei "nahezu grotesk und lächerlich", die Wertung des Spiels infrage zu stellen: "Der Ball war unterwegs. Es gab keine Möglichkeit für irgendeinen Spieler, noch einzugreifen. Für mich ist völlig unerheblich, ob der Ball kurz vor oder hinter der Linie war, als der Pfiff ertönt ist. Es war kein Foulspiel, es war ein reguläres Tor."

So sieht das auch der Torschütze: "Ich habe nichts gemacht, habe den Torhüter nicht behindert", sagte Sokratis. Der Grieche befürwortet es ausdrücklich, "dass wir den Video-Schiedsrichter heute hatten". Wenige Tage zuvor, so der Verteidiger, "hätten wir diese Möglichkeit gerne gehabt". Sokratis erinnerte an den mit 1:3 verlorenen Champions-League-Auftakt gegen Tottenham Hotspur im Londoner Wembley Stadion, bei dem der Unparteiische einem regulären Treffer von Torjäger Pierre-Emerick Aubameyang wegen angeblicher Abseitsstellung die Anerkennung verweigerte. Es wäre der 2:2-Ausgleich für den BVB gewesen. Doch im Gegensatz zur Bundesliga gibt es in der Königsklasse keine Möglichkeit, strittige Szenen überprüfen zu lassen. Schiedsrichter Patrick Ittrich, der in Dortmund mit seinem Pfiff die hitzig geführte Kontroverse ausgelöst hatte, mochte sich zum Vorfall mit dem "Verweis auf ein laufendes Verfahren" nicht äußern. Er wird vor dem ermittelnden Ausschuss seine Aussage machen.

Es ist offensichtlich, dass noch erheblicher Diskussionsbedarf besteht, ehe der Videobeweis sich als das Instrument etabliert, für das er eingeführt wurde: Den Fußball transparenter und gerechter zu machen. Derzeit gerät ein starker Auftritt des Tabellenführers zur Nebensache, weil er gänzlich von der Diskussion überlagert wird. Im Dortmunder Lager wirkte nicht nur Hans-Joachim Watzke reichlich genervt, weil der Kantersieg des BVB schon bald die Sportgerichtsbarkeit beschäftigen wird. Das Einzige, was er zu diesem Thema noch beizusteuern habe, betonte der 58-Jährige, sei, "dass der 1. FC Köln offenbar nicht anständig verlieren kann".

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