AC Mailand in der Champions League:Der große Naive des Fußballs

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Er läuft einfach so mit. Mit seiner nahezu demütigen Arbeitshaltung beeindruckt David Beckham beim AC Mailand die Skeptiker.

Birgit Schönau

Liebesgrüße aus Mailand. "Ich liebe diesen Klub noch immer", schreibt David Beckham über Manchester United. Falls er für den AC Mailand an diesem Dienstag, im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League, ein Tor schießen würde, verspricht Beckham keinen lauten Jubel, "schließlich bin ich ein Riesenfan".

Vor dem Duell gegen Manchester United nur noch Mitläufer in Mailand: David Beckham (Foto: Foto: Reuters)

Eine nette Geste für Manchester, aber die Gefahr ist ohnehin gering. Denn Beckham, der im Mai 35 wird, tritt bei Milan weniger als Torjäger in Erscheinung, mehr als Freistoßlieferant und Flankenspezialist. Er gilt er als "ordnendes Element" - was immer das heißen mag, besonders dynamisch klingt es nicht.

Vor allem aber gilt David Beckham als Ikone. Wann immer es mondän wird bei Milan, steht der Engländer in der ersten Reihe. Beispielsweise bei der Präsentation des neuen Trikotsponsors (Emirates Airlines), der sich die Werbung auf den Hemden des Berlusconi-Klubs in den nächsten fünf Jahren 60 Millionen Euro kosten lässt. Da war Beckham in seiner Eigenschaft als Werbeidol und Ersatzspieler lächelnder Zeuge neben Trainer Leonardo, Kapitän Massimo Ambrosini und Ronaldinho.

Als Gast bei den Mailänder Modeschauen wird er fast ebenso hoch gehandelt wie die American Vogue-Chefin Anna Wintour. Zum Glück ist Beckham aber nicht halb so zickig. Für Madame strichen die Schneider von Milano eilfertig ihre Termine von sieben auf übersichtliche drei Tage zusammen - Wintours Zeit ist Geld.

Beckham, der ungleich berühmter ist, schreckt auch vor Einsätzen wie der Eröffnung von Rino Gattusos Fischhandlung nicht zurück. Aus purer Freundschaft. An einem eiskalten Januartag ließ Beck's sich Arm in Arm mit Gattuso zwischen Styroporkisten voller toter Tintenfische und Sardinen ablichten, ein gefrorenes Lächeln im stoischen Gesicht. Der Andrang war grotesk. 5000 Fans kamen, plus ein paar hundert Polizisten, High Life in Milanello.

Beckham bringt nichts aus der Fassung, das macht ihn in Mailand populär. Im Januar kam er zurück, zum zweiten Mal als Leihgabe seines Arbeitgebers Los Angeles Galaxy, erklärtermaßen aus Nostalgie nach "echtem Fußball", die sich im Hinblick auf seine Nominierung für England und die bevorstehende WM auch irgendwie bezahlt machen wird.

Und wie schon im vergangenen Jahr, als er die zahlreichen Skeptiker mit seiner nahezu demütigen Arbeitshaltung beeindruckte, stellte Beckham sich bei Milan ganz hinten an. Mit dem Brasilianer Leonardo erwartete ihn ein neuer Trainer, der anders als Carlo Ancelotti auf schnellen Offensivfußball setzt.

Die ersten Einsätze erwiesen sich als enttäuschend, besonders im Derby gegen Inter Mailand fiel Beckham durch. Beim 3:2 gegen Udinese Calcio am vergangenen Freitag ließ Leonardo Beckham nur für die letzte Viertelstunde auf den Platz, vielleicht als kleinen Tribut für Manchesters Trainer Alex Ferguson auf der Tribüne.

Auch für Ferguson hat der wohlerzogene Beckham warme Worte: "Ich hatte großes Glück, so viele Jahre unter ihm zu spielen. Der beste Trainer der Welt, für mich war er wie ein Vater."

Auf Platz zwei folgt Fabio Capello, früher bei Milan, jetzt Englands Nationaltrainer, "seine starke, arrogante Persönlichkeit steht hinter unseren Erfolgen. Vor dem haben wir richtig Angst". Feldmaresciallo Capello wird sich bedanken, ein schöneres Kompliment kann man ihm kaum machen. Auch er lässt sich in Mailand blicken, um Beckham zu sehen, diesen großen Naiven der Unterhaltungsindustrie Fußball.

Als Werbeikone hat er sich weit vom Fußball entfernt, seinen Reichtum hat er zum größten Teil nicht auf dem Platz verdient. Beckham ist der einzige Protagonist des Fußballs, der nicht mehr spielen müsste, um im kollektiven Gedächtnis zu bleiben.

Im Gegenteil - die Leute wundern sich eher, ihn überhaupt noch auf dem Platz zu sehen. Das bringt ihn paradoxerweise in die Situation, das Spiel aus Spaß zu betreiben. Eigentlich ist Beckham längst ein besserer Freizeitkicker. Das Repräsentieren ist seine eigentliche Arbeit, außerdem will er partout noch ein bisschen spielen.

Beckham will unbedingt Fußballer sein, obwohl man das gar nicht von ihm erwartet. Die Ikone will echt sein, um jeden Preis. Bei Milan läuft Beckham mit bemerkenswerter Disziplin einem Image hinterher, das er nie erreichen wird: Dem guten Ruf des Ballarbeiters.

Kalte Erwiderungen

Anders als Ronaldinho, der sein Tief überwunden hat und bei Milan zum wichtigsten Mann aufgestiegen ist, hat Leiharbeiter Beckham keinen Platz im Team. Man hat ihn nicht herbeigesehnt, man braucht ihn nicht, er läuft einfach so mit. Als weitere Trophäe des Sammlers Berlusconi, die durchaus noch nützlich sein kann, wer weiß.

Schaden kann Beckham ja eigentlich nicht, und wenn es offiziell wird, macht er immer eine gute Figur. Im Klubanzug, die vielen Tätowierungen gut verborgen. Die neueste ist ein Christus am Kreuz auf der rechten Rippe. Exzentrik und Geschmacksverwirrungen aller Art sind bei Milan kein Problem - es sei denn, man sieht sie auf dem Platz.

Ob und wie lange man Beckham gegen Manchester spielen sehen wird, ist nicht sicher. "Am liebsten hätte ich meine gesamte Karriere bei United verbracht", hat er gestanden. Es waren immerhin 13Jahre - und das ist eine Weile her. Beckhams nostalgische Grüße wurden deshalb ziemlich kalt erwidert.

Was David bloß habe, konterte der alte Freund Gary Neville, "wir sind es wirklich gewöhnt, dauernd gegen ehemalige Teamkollegen zu spielen". Und ein bisschen von oben herab stichelte Neville: "Vielleicht ist Beckham so nervös, weil es für ihn am Dienstag das erste Mal ist." Das erste Mal gegen Manchester, und seien es nur ein paar Minuten.

© SZ vom 16.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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