Dritte Liga:Leere Köpfe

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Einsamer Debütant: Michael Wagner stand in Duisburg erstmals in einem Drittligaspiel im Tor von Türkgücü München, weil René Vollath nicht mehr berücksichtigt wird und Franco Flückiger wohl Corona hat. (Foto: Ralf Treese/Imago Images)

Zur sportlichen Erfolglosigkeit und der Insolvenz kommt nun auch noch der Elf-Punkte-Abzug: Türkgücüs Abstieg in die Regionalliga ist kaum mehr zu verhindern.

Von Christoph Leischwitz, München

Andreas Heraf entwich nach dem Spiel ein Satz, den man von Trainern im Profifußball sonst nie zu hören bekommt, aber es herrschen eben besondere Umstände bei Türkgücü München. Nach dem 0:2 beim MSV Duisburg sagte der Trainer nämlich: "Eigentlich hatten wir gar keine Chance." Wobei das rein sportlich streng genommen nicht stimmte, zumindest eine gute Chance hatte Sinan Karweina sehr wohl gehabt (69.). Doch der österreichische Coach meinte natürlich etwas anderes: Körperlich sei die Mannschaft aufgrund der jüngsten englischen Wochen ohnehin erschöpft, jetzt kam auch noch eine mentale Erschöpfung dazu, ein "Schlag ins Gesicht": die elf Punkte Abzug nämlich, die der DFB noch am Freitagabend bekanntgab. "Eigentlich hatte ich auf sechs Punkte gehofft", sagte Heraf, auf eine Art Härtefall-Regelung also, weil wegen der Pandemie schwerer zu wirtschaften ist.

Neun Punkte wurden wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgezogen, da lassen die Statuten auch gar keinen Spielraum. Zwei Punkte wurden abgezogen, weil eine Frist zum Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht eingehalten wurde. Nun kann der Verein das Ergebnis einerseits noch bis Freitag anfechten. Andererseits hat der DFB noch gar nicht alle Strafen bekannt gegeben. Immer noch offen ist, in welchem Umfang Türkgücü sanktioniert wird, weil man zu lange keinen Coach mit Fußballlehrer-Lizenz hatte. Heraf war bekanntlich lange nach einer vorgegebenen Zwei-Wochen-Frist vorgestellt worden.

Wir haben keine Chance - also nutzen wir sie! Der Rumpfkader beim Gastspiel verfuhr offensichtlich nach diesem Motto. Im Tor stand dabei der 21-jährige Michael Wagner, der aber bei seinem Profidebüt allerdings gar nicht so viel zu halten bekam. Denn in Sachen Laufarbeit und Zweikampfführung war den Vorderleuten wenig anzukreiden, viele Möglichkeiten bekamen die Gastgeber nicht. MSV-Kapitän Moritz Stoppelkamp verwandelte dann aber sicher einen Foulelfmeter, den Paterson Chato verschuldet hatte (21.). Er erhöhte dann auch zum 2:0 (55.) nach einer sehenswerten Vorarbeit des im Stadion gefeierten John Yeboah. Aufgrund der "neuen Ohrfeige", so Heraf, wollte der Trainer seiner Mannschaft aber auch keine Vorwürfe machen. Die Köpfe seien leer, es herrsche "Unfrische", die Mannschaft hat nach dem Spiel auch erst einmal bis einschließlich Dienstag frei bekommen - die nächste Partie findet erst am folgenden Montag statt, ein Heimspiel gegen den 1. FC Saarbrücken.

So sehr sich der Trainer vor das Team stellt, so sehr spricht aber auch vieles dafür, dass der Trainer mit einem nicht geringen Teil der Spieler gar nicht mehr plant. So war überraschend Sercan Sararer gar nicht mitgereist nach Duisburg, etwas weniger überraschend auch Torwart René Vollath, der vom Trainer schon länger nicht mehr berücksichtigt wird. Plötzlich war der Kader noch kleiner als ohnehin schon: Auf Nachfrage hieß es am Samstag vom Verein, es habe kurz vor dem Spiel plötzlich einen Corona-Fall und zwei Verdachtsfälle gegeben. Demnach fehlten coronabedingt wahrscheinlich Nico Gorzel, Lukas Scepanik und Torwart Franco Flückiger. Außer Debütant Wagner stand tatsächlich kein weiterer Torwart im Aufgebot, als Ersatzkeeper hätte im Notfall Angreifer Eric Hottmann fungiert. Das mag die Erklärung sein, warum Hottmann trotz seines Traumtors gegen 1860 München, das den überraschenden 2:1-Derbysieg eingeleitet hatte, erneut nicht in der Startelf stand. Ünal Tosun, Sebastian Maier und Filip Kusic trainieren zwar, reisten aber erneut nicht mit. Heraf führt dafür immer wieder sportliche Gründe an.

In den vergangenen Wochen hatten die Spieler in TV-Interviews immer wieder Werbung für sich gemacht und gehofft, ein Investor möge den Verein noch retten. Dies haben sie auch getan, weil den Spielern, so ist zu hören, von Vereinsseite gesagt wird: Wenn bis zum 1. April kein neuer Geldgeber gefunden wird, wird es schwer, den Spielbetrieb bis zum Saisonende fortzusetzen. Der Punkteabzug dürfte die Suche noch schwerer machen, denn immer mehr steigt die Gewissheit, dass hier ein Absteiger zum Verkauf steht.

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