TSV 1860 München:Im Jubel geht alles unter

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Die Sechziger bejubeln den Führungstreffer, der letztlich zum knappen Sieg reichen sollte. (Foto: Ulrich Wagner/Imago)

Der TSV 1860 spielt schüchtern, gewinnt aber dank eines Eigentors 1:0 gegen Verl. Besonders glücklich ist darüber der viel kritisierte Geschäftsführer - doch die Fans schicken eindeutige Botschaften.

Aus dem Stadion von Christoph Leischwitz

Es war schon auffällig, wie viel Marc-Nicolai Pfeifer nach dem Spiel zu jubeln hatte. Er umarmte jeden, der ihm über den Weg lief, die Vizepräsidenten Hans Sitzberger und Heinz Schmidt zum Beispiel. Der Geschäftsführer des TSV 1860 München wirkte nach dem 1:0 (1:0) gegen den SC Verl sehr hemdsärmelig, er hatte sein Jackett ausgezogen.

Einerseits war da natürlich die offensichtliche Freude über den Sieg. Nach vier Niederlagen in Serie folgte jetzt der zweite Sieg in Serie, der Erfolg gegen Verl war nicht besonders schön, außerdem war auch keinem Sechziger ein Tor gelungen (der Verler Torge Paetow hatte letztlich den Ball über die Linie gedrückt). Aber das war gerade alles egal und ging im Jubel und der sehr oktoberfestlastigen Stadionmusik unter.

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Es gab aber wohl noch einen anderen Grund für Pfeifer, sich so sehr zu freuen, aus einer gewissen Erleichterung heraus: Die Fans hatten Pfeifer während des Spiels offen kritisiert, ganz offenkundig für seine Bekanntgabe tags zuvor, rechtlich gegen den kritischen Artikel eines Fanblogs vorzugehen. "Sechzig ist Tradition, das hast du nie begriffen, mach dei Arbeit, sonst hat sich's ausgepfiffen", war während der ersten Halbzeit auf einem Banner in der Westkurve zu lesen.

Letztlich geht es in dem Streit mit sechzger.de um die Frage, ob einige Funktionäre den Kader mit unprofessionellen Mitteln zusammengestellt haben - am Freitag hatten sich Pfeifer und Trainer Maurizio Jacobacci noch einmal energisch dagegen gewehrt. Dahinter wiederum steht die Frage, ob 1860 nicht einen erfahrenen Sportchef benötigt, damit es überhaupt nicht zu solchen Anschuldigungen kommen kann - die Position des Geschäftsführers Sport ist seit Monaten vakant. Wenn in solch einer Situation die von den aktuellen Funktionären zusammengestellte Mannschaft halbwegs funktioniert, ist das eben eine Genugtuung.

"Wir haben uns gegenseitig den Kopf gewaschen, ich glaube, dass es beim einen oder anderen gefruchtet hat", sagt Tim Rieder

Es sah am Samstagnachmittag auch nach den ersten Spielminuten nicht so aus, als ob Sechzig es endlich einmal wieder schaffen würde, sportliche Themen in den Vordergrund zu rücken. Sehr viel Torgefahr strahlte die Mannschaft lange Zeit nicht aus, das Team wirkte schüchtern. Die ersten Chancen gehörten den Gästen aus Verl, die mit den meisten Toren und den meisten Gegentoren der Liga (13:16) angereist waren. Es gab mit zunehmender Spieldauer allerdings ein paar Akteure, die das Publikum ein wenig entzücken konnten. Angreifer Joel Zwarts hatte keine zwingenden Chancen, zeigte jedoch viel Übersicht und gute Sololäufe, seine Ballbehauptung in der 40. Spielminute leitete letztlich auch das 1:0 ein.

Und dann war da noch der 23-jährige Kilian Ludewig, der erstmals in der Startelf stand. "So richtig erst heute Morgen", sagte die Leihgabe von RB Salzburg auf die Frage, wann er erfahren hatte, dass er dabei sein würde. Ludewig wie auch Albion Vrenezi waren nur dabei, weil Morris Schröter und Julian Guttau kurzfristig ausgefallen waren. "Ich bin überglücklich, nach so langer Zeit mal Spielzeit zu bekommen", freute sich Ludewig später, der von allen Seiten Lob erhielt. Er hätte sich sicherlich noch mehr gefreut, wenn er eine seiner drei Chancen versenkt hätte: "Im Training habe ich die Dinger reingehauen, heute leider nicht, da müssen wir noch dran arbeiten." Was, wenn es im Training sowieso schon klappt, logischerweise nur über weitere Einsatzzeit funktionieren kann.

Kapitän Jesper Verlaat freute sich über den "Ackerer" auf der rechten Seite, und womöglich hatten die Einsätze von Fabian Greilinger links und Ludewig rechts erfolgreich dazu beigetragen, was bei Sechzig nun aktuell auch als oberstes Gebot gilt: Über den Kampf ins Spiel finden, das Spielerische ergibt sich später. Warum die Mannschaft schon wieder zu Null spielte: "Ich habe ihnen gesagt, dass sie das Tor verteidigen müssen, wie wenn es ihre eigene Familie wäre", sagte Trainer Jacobacci.

Gestärkt aus der Krise gehen, dieses Bild bediente auch der Sechser Tim Rieder: "Wir haben uns gegenseitig den Kopf gewaschen, ich glaube, dass es beim einen oder anderen gefruchtet hat." Verlaat merkte an: "Eine Negativserie, das kann zusammenschweißen. Wir haben das für uns genutzt." Er gab aber ehrlicherweise auch zu: "Heute war auch nicht alles gut." Vor dem eigenen Strafraum habe man phasenweise schlecht verteidigt, fand er.

Eine klare Botschaft: "50+1 unverhandelbar", ist in der Fankurve zu lesen

Die Fans feierten hernach sehr lange mit den Spielern, als diese sich gerade von der Kurve verabschiedeten, wurde schnell klar, dass der zumindest vorübergehende Sprung auf einen einstelligen Tabellenplatz auch weiterhin die Streitthemen nicht komplett übertünchen konnte: "50+1 unverhandelbar", war da noch einmal zu lesen. Unter der Woche war bekanntgeworden, dass eine von der DFL geplante Maßnahme zur Festigung des 50+1-Modells (zur Einschränkung von externen Investoren) von Sechzig-Investor Hasan Ismaik verzögert wurde, mithilfe eines Befangenheitsantrags.

Ein Großteil der Fans ist gegen seine Einflussnahme, und so war diesmal auch wieder das polarisierende "Scheichlied" aus der Kurve zu hören. Am Dienstag spielt Sechzig in Ulm, am kommenden Samstag kommt Dynamo Dresden nach München. Sollte die Mannschaft weiter erfolgreich sein, könnten die Funktionäre aber weiter versuchen, die internen Probleme wegzuumarmen.

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