VfB Stuttgart:Champions League von unten

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Neu in Stuttgart: Galatasarays Ozan Kabak. (Foto: dpa)
  • Der VfB Stuttgart muss in der Rückrunde der Bundesliga vieles gutmachen.
  • Der Verkauf von Benjamin Pavard bringt dem Klub Geld, aber was will man damit anstellen?
  • Auch Mario Gomez sucht seine Chancen - ihn braucht der VfB dringend.

Von Christof Kneer

Okay, sie haben nicht wirklich dran geglaubt beim VfB, wobei: Weiß man's? Im Stillen haben sie sich jedenfalls ein bisschen amüsiert über diese sehr lässige Nebenabrede, die sie da bei der letzten Vertragsverlängerung in den Vertrag von Benjamin Pavard hineingeschrieben hatten. Im Sommertrainingslager haben sie noch ein paar Witze darüber gemacht, ha, die Bayern werden staunen, wenn wir in der kommenden Saison plötzlich Vierter werden!

Im Falle einer Qualifikation für die Champions League wäre Pavards 35-Millionen-Euro-Ausstiegsklausel ungültig geworden, die Ablösesumme wäre wieder frei verhandelbar gewesen, und die Stuttgarter hätten sagen können: Servus, du FC Bayern, aber sooo billig gibt's unseren Weltmeischder übrigens nicht. Vermutlich hätten die Stuttgarter dann irgendwelche sittenwidrigen Summen aufgerufen, sich anschließend runter handeln lassen, und am Ende hätten sie strahlend die 50 plus X Millionen eingesteckt. Und womöglich hätte der FC Bayern sogar das Gefühl gehabt, noch günstig davon gekommen zu sein - bedenkt man, dass Pavards französischer Weltmeisterabwehrkollege Lucas Hernández gemäß Klausel auf 80 Millionen veranschlagt wird.

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Der Vertragszusatz war eine Art professionelle Spielerei, hineingeschrieben vom Sportvorstand Michael Reschke, der in den vergangenen zwei Jahrzehnten schon sehr, sehr viele Verträge gesehen und verhandelt hat und aus vielen übrigens immer noch auswendig zitieren kann. Reschke, 60, ist ein branchenbekannter Pfiffikus, der in Leverkusen schon Kaderplaner war, als der Begriff noch gar nicht erfunden war. So ein Cleverle (schwäb. für Pfiffikus) weiß natürlich, dass in dieser Branche mit mindestens allem zu rechnen ist, also wollte Reschke dieses Kleingedruckte vorsichtshalber in Pavards Vertrag drin stehen haben, aber wie gesagt: Trotz der herausragenden Rückrunde haben sie beim VfB nicht ernsthaft damit gerechnet, dass sie tatsächlich Vierter werden.

Ein halbes Jahr später wären sie schon froh, wenn sie Vierter von unten wären. "Unser Ziel muss ganz klar Platz 15 sein, das ist in allen Köpfen drin", sagt Reschke an diesem Mittwoch, drei Tage vor dem Heimspiel gegen den FSV Mainz 05.

Für gut zehn Millionen Euro soll jetzt noch Verteidiger Ozan Kabak aus der Türkei kommen

Das hätte im Sommer selbst er, der Weitgereiste, nicht für möglich gehalten: dass er im Winter mal so einen Satz würde sagen müssen. Im euphorischen Sommer hat Reschke noch kess gesagt, dass man "mit dem Abstieg nichts zu tun haben" werde, und wenn die Verantwortlichen in ihrem euphorischen Sommer da so in Ruhe beieinander saßen, dann sind ihnen schon ein paar Teams eingefallen, die in der neuen Saison auf jeden Fall hinter ihnen bleiben würden, Mainz etwa, der nächste Gegner, oder der SC Freiburg, der überübernächste. Beide haben nach der Vorrunde übrigens sieben Punkte mehr als der VfB.

Was ist da bloß schief gegangen?

Wenn man nicht zufällig Verantwortlicher beim VfB wäre, könnte man es fast charmant finden, dass dieser Fußball seinen eigenen Kopf hat. Er lässt sich nicht berechnen, nicht mal von Michael Reschke. "In eine Spirale" sei man geraten, meint Reschke, die Spirale begann in der ersten Pokalrunde beim Drittligisten Rostock: Fehler von Holger Badstuber, Niederlage. Dann das erste Punktspiel in Mainz: Fehler von Badstuber, Niederlage. Dann das zweite Punktspiel, Heimspiel gegen einen sehr motivierten FC Bayern: Da brauchte es keinen Fehler von Badstuber, um zu verlieren.

Schon war der Start also missraten, und alles, was man brauchte, um vom Anti-Lauf wieder in einen Lauf zu wechseln, hatte der VfB nicht: Glück, Mut und jene Individualisten, die das Glück auch mal mit einer einzigen Aktion erzwingen können. Beziehungsweise: Er hatte die Individualisten schon, aber sie waren entweder verletzt (Daniel Didavi) oder wurden vom eher unmutigen Trainer Tayfun Korkut nicht eingesetzt (Anastasios Donis). Und als dann der mutigere Trainer Markus Weinzierl in die Stadt kam, war plötzlich auch Donis verletzt, und so ganz ohne Unterstützung spielte auch Mario Gomez, 33, plötzlich, als sei er in vier Wochen vier Jahre gealtert.

So bleibt dem großen VfB Stuttgart erst mal nichts anderes übrig, als sich vorzustellen, er sei so etwas wie der FC Augsburg. Die beiden Winterzugänge Alexander Esswein (ausgeliehen von Hertha BSC) und Steven Zuber (ausgeliehen von der TSG Hoffenheim) wurden mit nahezu identischen Hausmitteilungen begrüßt, freudig wurde auf die "Wucht, Dynamik, Geschwindigkeit und Mentalität" der Neuen verwiesen. Das sind präzise jene Attribute, die Weinzierls FC Augsburg einst auszeichneten - dort marschierte eine Elf mit hohem Tempo, strammer Physis und soldatischer Disziplin, und im Idealfall soll so jetzt der VfB der Rückrunde aussehen, geschmückt mit dem gesunden Passfuß von Daniel Didavi, von dem sich dann wiederum die Schussbeine von Mario Gomez verjüngt fühlen.

Kaltschnäuzigkeit verliere man nicht in einem halben Jahr, sagt Reschke über Gomez. Er ist überzeugt, dass der Stürmer wieder trifft, wenn man ihn auf dem Feld in einen anderen Zusammenhang bringt.

Natürlich geht es Reschke auch darum: zu zeigen, dass er immer noch der versierte Kaderplaner ist, für den alle ihn halten, er selbst übrigens auch. Bisher sind die Pläne nicht aufgegangen, die erfahrenen Zugänge Didavi oder Gonzalo Castro waren verletzt oder wirkten verwirrt, und die jungen Zugänge haben ganz überzeugt (Marc-Oliver Kempf), halb überzeugt (Borna Sosa), ein Viertel überzeugt (Nico Gonzalez) oder gar nicht überzeugt (Pablo Maffeo). Für die drei Letzteren haben die Schwaben über 20 Millionen angelegt, und Reschke geht sicherheitshalber mal davon aus, dass seine Spieler ihre Qualitäten in einer funktionierenden Elf noch zeigen werden.

Am Mittwoch kam aus Istanbul die Nachricht, wonach der 18-jährige Verteidiger Ozan Kabak bereits im Winter von Galatasaray zum VfB überlaufe, für gut zehn Millionen Euro. Der VfB hat den Transfer noch nicht bestätigt, aber wenn es so weit ist, könnte es noch mal spannend werden: Sollte Benjamin Pavard dann ebenfalls noch im Winter nach München wechseln, müssten die Bayern den Preis tatsächlich noch einmal neu verhandeln.

© SZ vom 17.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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