1860 München:Verein der verkauften Talente

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Zweitligist 1860 München erlebt bereits zum Saisonstart eine Debatte, die die Gemüter erhitzt: Muss schon wieder ein fähiger Jungprofi veräußert werden?

Gerald Kleffmann

Es war verhältnismäßig lange still in München beim TSV 1860, wo die Zweitligakicker die Sechziger oder die Löwen genannt werden. Seit dem Rücktritt des polarisierenden Geschäftsführers Manfred Stoffers im Juli ist Ruhe eingekehrt beim ewigen Problemklub. Sein Nachfolger Robert Niemann verfolgt eine gedämpft vorgetragene "Politik der Stabilität". Als Erstes hat der frühere DFL-Mann Frieden mit dem mächtigen Arena-Besitzer FC Bayern geschlossen und den Streit wegen den Mietbedingungen in dem Fußballtempel beendet. Ansonsten hält sich Niemann zurück.

Wieder ein Stich für 1860: Peniel Mlapa traf für Hoffenheim gegen Bremen. (Foto: APN)

Die Klubgremien, oft zerstritten, haben sich längst in Wohlfühl-Workshops verwandelt. Alles scheint gerichtet für eine Saison ohne negative Schlagzeilen, auch die obligatorische Aufstiegsdebatte fällt bisher aus. Sechs Mal wurde nach dem Abstieg 2004 die Rückkehr in die erste Liga als Ziel genannt - sechs Mal gab es überwiegend Leid, Frust, Tränen. Inzwischen haben die größten Träumer kapiert, dass der Aufstieg kein Naturrecht ist, das einem Traditionsverein per se zusteht.

Fast könnte man glauben, die Löwen seien auf einem guten Weg. Aber der Eindruck täuscht. Es ist nicht mehr still.

Denn bei 1860 München ist vor dem Saisonstart beim VfL Bochum an diesem Montag (20.15 Uhr/Sport1) eine heftige Debatte entbrannt, die wieder sinnbildlich ist für die Situation des Klubs. In Stefan Aigner - 23, gebürtiger Münchner, talentierter Dribbler und nach eigenem Befinden "Löwenfan auf dem Platz", was ihn zur Galionsfigur für die Anhänger macht , soll der nächste fähige Jungprofi zu Geld gemacht werden. Erstligist VfB Stuttgart ist an ihm interessiert, und 1860-Sportchef Miroslav Stevic war angetan von der Idee, eine Millionensumme einzunehmen - dann schossen einige quer.

Aigners Berater Michael Koppold sprach: "Stefan will bei Sechzig bleiben." Aigner selbst sagte: "Ich habe hier einen Vertrag bis 2012. Das heißt, dass ich bis 2012 bleibe. Wenn ich einen Vertrag bis 2015 hätte, würde ich bis 2015 bleiben." Am heftigsten reagierten die Anhänger, die im Internet - erstmals bei Sechzig - eine Petition zum Verbleib eines Spielers initiierten und empört fragten: Hört das denn nie auf, dass Sechzig die besten Jungprofis hergeben muss?

Nein. Es hört offenbar nie auf.

1860 ist der Verein der verkauften Talente. Er war das zwar nicht immer. Aber seitdem 1860 wieder Zweitligist ist, seit 2004 also, ist er es. Ohne Wenn und Aber.

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Warum, ist allen eigentlich klar: Es fehlt Geld. Eine Ursache dafür ist, dass 1860 5,3 Millionen Euro pro Saison dafür aufbringen muss, um in der Arena anzutreten; in seiner Verzweiflung denkt der Verein sogar über eine Rückkehr ins Olympiastadion nach. Und bezeichnenderweise hat der Klub das Ziel ausgegeben, in dieser Saison 4,5 Millionen Euro an Transfererlösen hereinzuholen, um weitere Schieflagen zu vermeiden. Doch noch fehlt einiges. Durch die Verkäufe der Eigengewächse Peniel Mlapa (1,3 Millionen/1899 Hoffenheim) und José Holebas (650.000/Olympiakos Piräus) sammelte man nicht einmal die Hälfte ein. Die wie Topaktien angepriesenen Antonio Rukavina und Aleksandar Ignjovski konnten noch nicht abgegeben werden.

Die Elf ehemaliger 1860-Talente: Für die komplette Grafik bitte auf das Bild klicken. (Foto: SZ-Graphik)

Als Stevic Ende vergangener Woche zum Fall Aigner Stellung beziehen sollte, schien er - wohl wissend um diese heikle Personalie - den Transfer bereits zu rechtfertigen. "Durch diese Verkäufe kann der Verein existieren. Das ist der einzige Weg", erklärte er. Womit er nicht gerechnet hatte, waren die Reaktionen der Fans - und auch damit, dass sich der Spieler nicht beruflich verbessern will, zumindest vorerst nicht. Aigner möchte schon Erstligaprofi sein, irgendwann. Nur eben nicht jetzt. Heimatverbundene Menschen wie er packen nicht gerne über Nacht die Koffer, schon gar, wenn über ihr Schicksal einfach verfügt wird. Stevic vollzog die Kehrtwende, der Buhmann möchte er nicht sein. Und versprach nun: "Ich möchte, dass wir solche guten Spieler und Identifikationsfiguren halten. Ich werde alles versuchen, diesen Transfer zu verhindern."

Vielleicht gelingt es ihm. Wahrscheinlicher aber ist, dass es nur eine Frage der Zeit ist, wann Aigner geht. 1860 hat nicht mehr allzu viele namhafte Spieler, die die dringend benötigten Ablösen erwirtschaften können. Und wenn die Vergangenheit eines gelehrt hat, dann dies: Jeder, der bei Sechzig ausgebildet und sich einen Namen gemacht hat, wurde früher oder später zu Geld gemacht. Auch die Ausgabe von Schmuckanleihen oder die Gründung einer Vermarktungstochter, über die Darlehensgeber an Transfererlösen partizipieren können, hat bisher an der Entwicklung nichts geändert.

Das Schicksal des TSV ist und bleibt es, dass er nur davon träumen kann, was gewesen wäre, wären Lauth, Träsch, Gebhart, die Benders, Mlapa - der in seinem ersten Spiel für Hoffenheim traf - und die anderen nie weggegangen. Die Elf der verkauften Sechziger liest sich wie ein fähiges Erstliga-Team; mit der Wirklichkeit haben diese Spielchen nichts zu tun. Die sieht so aus: "Der Grund, warum Spieler bei 1860 verkauft werden, hat sich nicht geändert", sagte Stevic. "Nur die Spieler ändern sich." Das nächste Talent kommt bestimmt, das 1860 wieder verlassen muss.

© SZ vom 23.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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