1860 München:Sechzigs Stimme verklingt

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"Münchens große Liebe": Stefan Schneider im April 2019 an einem seiner Lieblingsorte - beim Spiel der Sechziger gegen Preußen Münster im Grünwalder Stadion. (Foto: Wagner/Fotostand/Imago)

Stefan Schneider war 28 Jahre lang Stadionsprecher der Löwen. Wie er das schaffte? Indem er sich aus dem Politischen raushielt. Jetzt hört er auf und sagt: "Ich bin unendlich dankbar für alles."

Von Gerald Kleffmann, München

In seinem Leben als Stadionsprecher von 1860 München hat Stefan Schneider wahrlich viel erlebt. Schon der Start war typisch Sechzig, weil kompliziert: Anfang der Neunzigerjahre flog ihn sein damaliger Arbeitgeber Radio Energy, dessen markante Morgen-Stimme er war, aus dem Urlaub ein. Fuerteventura - Ibiza - Madrid - München, alles Linie. Er sollte einspringen, bei den Löwen, als Mann mit Mikro, nicht ahnend, dass er Teil der weiß-blauen Vereinshistorie werden würde.

Damals war er auch Zeuge, dass es das wirklich gab: eine Frau als 1860-Präsidentin! Liselotte Knecht freilich sollte bald durch den Großgastronomen Karl-Heinz Wildmoser abgelöst werden, die erfolgreichsten Jahre der Giesinger seit den Sechzigerjahren standen an, 1860 wurde Erstligist, mit dem Kinski-haften Werner Lorant als Trainer wurde Bayern besiegt, später die verpasste Champions-League-Qualifikation, Abstieg, Allianz Arena, 1000 Trainer, 1000 Manager, eine Million Funktionäre, noch mehr Schulden, zur Krönung der Kompliziertheit kam Hasan Ismaik. Aber er, Stefan Schneider: Stand stets da, auf dem Rasen. Eisern mit Rod-Stewart-Gedächtnis-Mähne, überlebte alle Amtsträger, die sich die Klinke gaben. Seine wichtigste Regel: sich aus dem Politischen raushalten! Er sah sich stets als Dienstleister der Fans, seiner "Kundschaft".

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Und so jubelte er 28 Jahre mit ihr, noch öfter litt er mit, es hagelte ja auch 1000 Niederlagen, "manche gehen zu einer Domina, ich geh' zu Sechzig", so sein legendärster Ausspruch, der alles ausdrückt: Leidensfähigkeit, Hingabe, Loyalität. Seine Mitgliedsnummer: 1860. Im Pass steht: 1,86 Meter groß. Die sportliche Bilanz war's sicher nicht immer, die Sechzigs Seele ausmachte. Der Verein war aber auch stets: die Christl. Der Svend. Der Benny. Der Pacult. Schoko Schachner. Kultfiguren machen Kultvereine aus. Schneider ist eine von ihnen.

"Für einen Rücktritt gibt es keinen richtigen Zeitpunkt", sagt Schneider

Groß war und ist daher das Entsetzen, bei Offiziellen, bei Anhängern, dass es den Stadionsprecher Schneider ab sofort nicht mehr gibt. "Ich hab's mir lange überlegt", sagt er am Dienstag am Telefon, "es war eine großartige Zeit, ich bin unendlich dankbar für alles." Am Montag, kurz vor Abpfiff, als die Löwen die Abendpartie gegen Dynamo Dresden 1:0 gewannen, legte er eine Pressemitteilung aus, in der er leise "Servus" sagte und "Vergelt's Gott". Immerhin geschah es in seinem geliebten Grünwalder Stadion. Schneider, der ein Bazi sein kann und die aussterbende Art des bayerischen Frotzelns beherrscht (was sie an der Säbener Straße sicher auch wissen), ging dieser Schritt nahe. Nur weiß er eben auch: "Für einen Rücktritt gibt es keinen richtigen Zeitpunkt."

Dass er ohne seine Kundschaft seit Monaten gelbe Karten und Einwechslungen vortragen musste, hat an ihm gezehrt. Das gibt er zu. Er geht im Guten, als Zeichen überlässt er dem Verein die Markenrechte seines Slogans "Münchens große Liebe", unentgeltlich. "Ich trete jetzt etwas kürzer", sagt er. Beim EHC München wird man ihn noch ein bisschen hören, "ich habe beim Eishockey meine Stadionsprecher-Karriere begonnen und werde sie da beenden". Trotz der Zäsur: Schneider, der am 7. April 59 Jahre alt wird, blickt froh nach vorne: "Ich freue mich, wenn ich irgendwann mit einem Bier wieder in der Kurve stehen kann, zusammen mit den Fans."

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