100-Meter-Endlauf bei Olympia:Usain Bolt rennt allen davon

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In diesem Jahr schien sich anzudeuten, dass Usain Bolt nun doch schlagbar ist - in München musste er sich wegen einer Verletzung behandeln lassen. Doch in London setzt sich der Jamaikaner im bisher höchstklassigsten 100-Meter-Finale der Geschichte mit 9,63 Sekunden durch. Dabei fordert ihn die Konkurrenz lange.

Thomas Hahn, London

Usain Bolt schaut die Bahn hinunter. Diese unscheinbare Gerade von 100 Metern, die er gleich hinunterrennen wird vor 80 000 Zuschauern im Olympiastadion von London und vor Millionen von weiteren Menschen, die in allen Ecken der Welt vor dem Fernseher sitzen, um zu erfahren, wer bei diesen Spielen der schnellste Mann der Welt ist.

Usain Bolt siegt über 100 Meter
:Wenlock in Blitz-Pose

Er ist zurück: Usain Bolt krönt sich im olympischen 100-Meter-Rennen in einer Zeit von 9,63 Sekunden zum schnellsten Mann der Welt. Auch in London scherzt und posiert er wieder wie eh und je - vor und nach dem Rennen. Der 100-Meter-Endlauf in Bildern.

Es können seine letzten Augenblicke sein als der Usain Bolt, der kein wichtiges Finale verliert. In wenigen Minuten, wenn das Rennen vorbei ist, wird er vielleicht ein anderer Bolt sein. Der Verlierer Bolt, der Entthronte und Übertrumpfte, und wer weiß, vielleicht könnte er gar nicht so schlecht damit leben, weil er dann ein bisschen etwas abgeben könnte von dieser vereinnahmenden Berühmtheit, die ihn längst seine Freiheit gekostet hat.

Usain Bolt, 25, duckt sich in den Startblock. Der Schuss. Er rennt. Er löst sich von den anderen. Er gewinnt. In der zweitschnellsten je erzielten 100-Meter-Zeit von 9,63 Sekunden.

So schnell findet ein Rätsel seine Lösung. Binnen weniger Momente ist die Spannung weg und man fragt sich: Gab es überhaupt ein Rätsel? Das Rennen hat jedenfalls anschaulich gezeigt, dass Usain Bolt mittlerweile nicht mehr beliebig zu seinen großen Siegen steuert. Denn die anderen waren nicht weit hinter ihm und formierten sich zum höchstklassigen 100-Meter-Finale in der Geschichte: Yohan Blake mit 9,75 Sekunden Zweiter, der Amerikaner Justin Gatlin mit 9,79 Dritter, auch noch unter 9,90 die Amerikaner Tyson Gay (9,80) und Ryan Bailey (9,88).

Nach den Spielen 2008 in Peking, bei denen er als Dreifach-Olympiasieger und Dreifach-Weltrekordler zum Helden der Leichtathletik-Vermarktung aufgestiegen war, wirkte Bolt lange unantastbar auf den Sprintstrecken. Und jetzt? Unantastbar wirkt Bolt nicht mehr. Er muss sich wehren. Vor allem gegen einen:

Yohan Blake, seinen Trainingspartner, den 22 Jahre alten Weltmeister, der im vergangenen Jahr noch von einem Fehlstart Bolts im WM-Finale von Daegu profitierte. Blake hat Bolt zwar nicht erwischt im entscheidenden Moment. Aber das muss ja nicht so bleiben.

Seit Blake im vergangenen September in Brüssel mit 19,26 Sekunden nur knapp über Bolts 200-Meter-Weltrekord geblieben ist, ist das Duell eröffnet, natürlich zunächst als Fernduell. Ihr Trainer Glen Mills ließ sie erst gegeneinander antreten, als es nicht mehr anders ging, bei den jamaikanischen Meisterschaften, über die Jamaikas Leichtathletik-Verband auch die Olympia-Ausscheidung organisierte. Blake schlug Bolt über 100 und 200 Meter.

Anschließend reiste Bolt nach München zum FC-Bayern-Arzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, um sich wegen Rückenbeschwerden behandeln zu lassen, die in den Oberschenkel ausstrahlten. In der Leichtathletik-Szene machten sich viele Sorgen, die Spiele könnten ihre größte Attraktion verlieren.

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Er ist zurück: Usain Bolt krönt sich im olympischen 100-Meter-Rennen in einer Zeit von 9,63 Sekunden zum schnellsten Mann der Welt. Auch in London scherzt und posiert er wieder wie eh und je - vor und nach dem Rennen. Der 100-Meter-Endlauf in Bildern.

Olympia in London war die erste große Bewährungsprobe für diese ungleichen Trainingspartner. Bolt war das Thema in den Zeitungen und erstrahlte in großflächigen Anzeigen mit seiner Haltung von Lässigkeit und Lebensfreude. Der trainingsfleißige Blake interessierte weniger oder machte sich rar, so genau war das nicht zu unterscheiden. Er bestritt eine Pressekonferenz bei seinem Ausrüster, davor fehlte er beim PR-Termin des Verbandes, obwohl er angekündigt war. Und nach seinem Vorlauf verhielt er sich seltsam.

Mit Leichtigkeit qualifizierte er sich fürs Halbfinale in 10,00 Sekunden und drückte sich anschließend an einer Absperrung vorbei, um nicht in die Interviewzone zu müssen. Volunteers holten ihn zurück, weil alle Sportler müssen durch die Interviewzone. Blake gehorchte, aber eilte an allen Mikrofonen vorbei. Trainer Mills habe ihm untersagt zu sprechen. Warum? Blake verschwand und hinterließ ein Fragezeichen.

Bolt lief 10,09 und sagte: "Ich bin beim fünften Schritt gestolpert, aber insgesamt war es ein gutes Rennen." Er wirkte entspannt, aber auch etwas zurückgenommener bei seinem Gestentheater als sonst. Spürte er den Druck? Insgesamt ließ die erste Runde wenige Rückschlüsse zu. Bailey, 23, der jüngste Amerikaner im Turnier neben den früheren Weltmeistern Tyson Gay und Justin Gatlin, rutschte bei günstigem Rückenwind auf der schnellen Bahn im Olympiastadion die schnellste Vorlaufzeit heraus, unnötig gute 9,88 Sekunden, die er prompt "doof schnell" nannte.

Im Halbfinale legten die Männer zu, natürlich. Gatlin qualifizierte sich als Schnellster fürs Finale mit 9,82 und jubelte laut, während Jamaikas früherer Weltrekordler Asafa Powell sich vor lauter Lässigkeit beim Austrudeln fast verspekuliert hätte und erst als Zeitschnellster das Finale erreichte (9,94). Gay zog mit 9,90 hinter Blake in den Endlauf der besten Acht ein, Bailey in 9,96 hinter Bolt. Es war eine kleine Demonstration der jamaikanischen Doppelspitze.

Blake (9,85) wie Bolt (9,87) bremsten auf den letzten Metern deutlich ab. Bolt war immer noch nicht der gleiche Clown früherer Meisterschaften, aber er lachte. Und auch Blake machte einen entspannten Eindruck. Theater? Jamaikanischer Zeitgeist?

Wenig später standen sie wieder an den Startblocks. Bolt trug eine seltsame Skimütze, als wolle er sich vor der Londoner Sommerkühle schützen. Es waren keine guten Temperaturen für die sonnenverwöhnten Karibiksprinter. Ein leichter Wind ging. Bolt nahm seine Mütze ab. Er machte sich bereit. Er schaute die Bahn hinunter. Er stand auf Bahn sieben, Blake auf Bahn fünf, Gatlin dazwischen. Die Vorstellung. Gestentheater von allen Beteiligten. Und dann gewinnt Usain Bolt wieder.

© SZ vom 06.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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