1. FC Köln:Tierisch was los beim FC

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Kölns Sportdirektor Horst Heldt steht mit Maske im Stadion. Er hat derzeit gut zu tun. (Foto: Lars Baron/dpa)

Der 1. FC Köln startet mit Zwist, politischen Ränkespielen und einem großen Vakuum im Sturm in die neue Spielzeit. Sportchef Horst Heldt erlebt eine Art Déjà-vu.

Von Philipp Selldorf, Köln

George Orwells "Farm der Tiere" stammt zwar aus dem Jahr 1945, ist aber als politische Parabel ein zeitloses Werk. Es handelt vom erfolgreichen Aufstand der Tiere gegen ihren menschlichen Unterdrücker auf einer Farm und davon, wie aus der brüderlichen Revolution eine neue Diktatur entsteht, als die intelligentesten Tiere, die Schweine, die Macht übernommen und Gefallen daran gefunden haben.

Dieses Buch kam dem Kölner Anwalt Jörg Heyer in den Sinn, als er neulich für ein täglich erscheinendes Online-Magazin namens Geissblog einen Gastbeitrag über die Diskussion um die nächste Mitgliederversammlung beim 1. FC Köln verfasste. Von der Analogie hat er schließlich abgesehen, sie war ihm zu kompliziert für seine juristische Betrachtung und vielleicht auch zu delikat, aber auch ohne Verweis auf Orwell trug sein Text einen beinahe literarischen Titel, er lautete: "Der Mitgliederrat sucht Schutz vor den Mitgliedern."

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Heyer, ehedem Aufsichtsrat beim FC und einer der beiden Autoren der 2012 reformierten Klubsatzung, erörterte unter rechtlichen Aspekten die Frage, ob es den demokratischen Geboten und der FC-Verfassung widerspräche, die nächste Mitgliederversammlung online abzuhalten oder als Mischform aus Präsenzveranstaltung und virtueller Teilnahme. Vertreter des Mitgliederrats, der die 110 000 FC-Mitglieder in den Klubgremien repräsentiert, lehnen eine virtuelle Versammlung ab.

Es geht auch um den Wert der Mitsprache der Anhänger

Der Ratsvorsitzende Stefan Müller-Römer, ebenfalls Rechtsanwalt und ein Reformer aus alten Zeiten, erklärte, auf diese Weise könne mangels lebendigen Austauschs im Plenum das Prinzip der "gelebten Demokratie" nicht verwirklicht werden. Für Heyer ist "dieses Demokratieverständnis völlig absurd". Durch die Einbeziehung der vielen auswärtigen Mitglieder sei ein Tele-Konvent der Mitbestimmung sogar förderlich. Sein Fazit: Eine virtuelle Versammlung wäre rechtlich unbedenklich, technisch machbar und wegen der Corona-Beschränkungen sinnvoll. Der amtierende Vorstand solle daher notfalls gegen das Veto des Mitgliederrates die Aussprache ermöglichen - zugunsten der Mitglieder.

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Jenseits der Welt des 1. FC Köln mag der Zwist spitzfindig und nebensächlich wirken. Aber für die Bewohner dieser Welt bedeutet er eine weitere Episode in einem politischen Ränkespiel. Als Gleichnis für politische Prozesse ist der Fall damit auch für andere deutsche Profivereine lehrreich: Es geht um den Wert der Mitsprache der Anhänger und darum, wie viel Beteiligung den Klubs guttut. Und auch darum, was Macht aus Menschen macht. In Köln verfolgte die Neufassung der Satzung die idealistische Absicht, die Mitglieder zwar stärker ins Geschehen einzubeziehen, aber aus dem operativen Geschäft herauszuhalten. Inzwischen sind allerdings die Spitzenvertreter des Mitgliederrates führende Akteure der Vereinspolitik geworden.

Nach Müller-Römer, 52, der bis September 2019 als kommissarischer Klub-Präsident fungierte, ist seit Dezember 2019 auch dessen Mitstreiter Carsten Wettich, 40, im dreiköpfigen Vorstand tätig, ebenfalls "kommissarisch". Aus dem Interims-Posten soll bei den nächsten Wahlen ein ständiges Engagement werden. "Ich habe das Amt nicht angestrebt, aber in der Zeit als kommissarischer Vize-Präsident gemerkt, dass ich Beruf und die Aufgabe beim FC gut unter einen Hut bekomme", erklärte Wettich dem Express in den Worten eines politischen Profis: Eigentlich habe er im Sommer den Nachfolger einarbeiten wollen, "aber dann kam Corona" und nun habe er das Gefühl, es sei "nicht der richtige Zeitpunkt, von Bord zu gehen".

Nicht alle Kenner, die dem FC in Rat und Tat nahestehen, zeigen sich von diesen Argumenten überzeugt. Sie erkennen eher das Interesse am Erhalt von Macht und Vorstandstitel. Der frühere Nationalspieler Stefan Engels, 60, beklagte öffentlich, seine Bewerbung für die Vizepräsidentschaft sei vom Mitgliederrat sabotiert worden, er spricht von einem "abgekarteten Spiel". Ähnliches berichtete, in diskreteren Worten, der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, der sich vor anderthalb Jahren für die Präsidentschaftskandidatur interessierte und vom Mitgliederrat erfuhr, dass er sich die Mühe sparen könne, die Wahl sei schon getroffen. Gemeint war der jetzige Vorstand um Präsident Werner Wolf. Demokratisch fand das der Christdemokrat Bosbach nicht gerade.

In die Rubrik politische Machenschaften ordnen Kritiker auch den Umgang mit Medienchef Tobias Kaufmann ein, den die Geschäftsführer Horst Heldt und Alexander Wehrle auf Weisung des Vorstands entlassen mussten. Die 15 Abteilungsleiter auf der Geschäftsstelle rebellierten daraufhin mit einem Protestbrief. "Das Schreiben hat den Vorstand sehr betroffen gemacht", der Brief sei "Ausdruck von Missverständnissen", sagte Wettich, übrigens auch Rechtsanwalt.

Der Sportchef Horst Heldt erlebt in Köln also eine Art Déjà-vu, auch bei Schalke 04 und Hannover 96 begleiteten chronische Unruhen im Umfeld seine Arbeit. Wenn's da mal wenigstens in der sportlichen Planung rund liefe, doch auch hier sieht es nicht fröhlich aus. Vor dem Pokalspiel gegen den Regionalligisten VSG Altglienike macht vor allem die Sturmbesetzung Sorgen. Der eine Wunschkandidat - Paderborns Streli Mamba - bestand den Medizincheck nicht, der andere Kandidat, der Grieche Dimitrios Limnios, durfte wegen eines positiven Corona-Tests bisher nicht einreisen.

Die Torjäger Mark Uth (Schalke) und Simon Terodde (HSV) sind nicht mehr da, Anthony Modeste ist verletzt, und Torjäger Jhon Cordoba ist wechselwillig und verbreitet nach Ansicht ständiger Beobachter schlechte Laune. "Wir müssen die Qualität im Kader steigern, das reicht nicht, da muss noch was kommen", sagt Heldt. Schon vor dem Start ist also tierisch was los am Geißbockheim.

© SZ vom 12.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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